Lässt sich noch was Positives über Franz Beckenbauer sagen? Vielleicht dieses:
„Anders als der medial an der Grenze zur Selbstzerstörung agierende Wolfgang Niersbach, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), weiß Beckenbauers Management mit dem Vermarkter Marcus Höfl im Vordergrund, dass man im Krisenfall erst einmal abwartet, und keine voreiligen Pressemitteilungen losschickt.“
So formuliert es Evi Simeoni heute in der FAZ. Anlass ist Beckenbauers erste offizielle Wortmeldung nach den Enthüllungen des Spiegel. Niersbach, dessen nahezu selbstzerstörerisches Agieren hier am Freitag Thema war, hat also schlechte Berater, Beckenbauer möglicherweise nicht so schlechte bzw. eine „professionelle Entourage, die ihresgleichen sucht“ (Simeoni).
Aber was hat Beckenbauer, der sich rund eineinhalb Wochen Zeit ließ, denn nun gesagt?
„Den scharfen Hunden von den Medien wird in der Erklärung ein Happen vorgeworfen: Beckenbauer gibt erstmals einen ‚Fehler‘ zu und übernimmt ‚als Präsident des damaligen Organisationskomitees‘ die ‚Verantwortung‘ dafür. Worin dieser Fehler besteht, was hinter einem von ihm erwähnten ‚Vorschlag der Fifa-Finanzkommission‘ steckt, in welchem Jahr auf den Vorschlag ‚eingegangen wurde‘, den ‚die Beteiligten aus heutiger Sicht hätten zurückweisen sollen‘, sagt er nicht“,
schreibt Simeoni. Somit wirke Beckenbauers schriftliches Statement „erschreckend karg“: Wir hätten es mit dem „juristisch entbeinten Nichts von einer Erklärung“ zu tun. Wer aber ist zuständig für die „juristische Entbeinung“?
„Beckenbauer hat Anwälte an seiner Seite, die nicht einmal sagen mögen, dass sie seine Anwälte sind“,
lautet ein hübscher Satz in einem von zwei Texten, die Hans Leyendecker und Klaus Ott für die heutige Druckausgabe der SZ verfasst haben. In einem Kommentar für süddeutsche.de erläutert Leyendecker Beckenbauers „Fehler“ so:
„Einer korrupten Organisation wurden Millionen zur Verfügung gestellt, mit denen Dunkelmänner nach Belieben hantieren konnten. Zur Tarnung dieser Transaktion mussten Bilanzen gefälscht, Aufsichtsgremien belogen werden (...) Das war kein Fehler, das war eine Art Beihilfe zur systemischen Korruption der Fifa. Es musste jemand geschmiert werden, damit ein Geschäft zügig abgewickelt werden konnte.“
Im Haupttext der SZ-Sport-Aufmacherseite beschäftigen sich Leyendecker/Ott mit einer Abmahnung, die der Sportrechtehändler Günter Netzer dem früheren DFB-Präsidenten Theo Zwangiger hat zukommen lassen. Es geht um eine der Kernaussagen der Spiegel-Enthüllungen bzw. um ein Treffen Zwanzigers und Netzers im Herbst 2012, bei dem letzterer „eher beiläufig erklärt haben (soll), die Deutschen hätten die Wahl gekauft“. Wer könnte es wissen, was Günter Netzer wirklich gesagt hat? Elvira Netzer, seine Gattin. Leyendecker/Ott schreiben (bevor sie dann viel Ermüdendes über den „Mythos Netzer“ ausbreiten):
„Rechtstechnisch sieht der Fall so aus: Durch die Aussage seiner Frau will Netzer belegen, dass er den Satz nie gesagt hat. Der frühere DFB-Präsident hingegen hat keinen Zeugen für seine Behauptung. ‚Zwanziger hat offenbar vergessen, dass Frau Netzer während des gesamten Gesprächs mit am Tisch saß‘, sagt Netzers Medienanwalt Ralf Höcker: ‚Sie kann bezeugen, dass Zwanziger lügt.‘“
Im Unterschied zu Beckenbauer hat Netzer also einen Anwalt im Einsatz, der kein Problem damit hat zu sagen, dass er jemandes Anwalt ist. A bisserl was von Medien und Recht versteht auch Netzer:
„‚Ich weiß, dass ich solche Verleumdungen leider noch aufwerte, wenn ich den Rechtsweg beschreite‘, sagte Netzer am Dienstag der Süddeutschen Zeitung. ‚Aber es gibt einen Punkt, an dem man so etwas nicht mehr einfach ignorieren kann. Und der ist jetzt gekommen.‘“
Die aktuellen Texte in SZ und FAZ sind auch ein guter Anlass aufzuzeigen, dass es rund um den DFB-Skandal neben dem Spiegel und der Bild-Zeitung (Altpapier) noch andere relevante mediale Akteure gibt. Einig sind sich SZ und FAZ auf der einen und der Spiegel auf der anderen Seite in ihrer Position gegenüber Niersbach - Er werde „wegen erwiesener Unfähigkeit, Krisen zu bewältigen, gehen müssen“, schreibt etwa Leyendecker -, unterschiedlich ist aber (was in der Natur der Sache bzw. der medialen Konkurrenz liegt) die Haltung zu Spiegel-Informant Zwanziger. Simeoni bezeichnete ihn am Montag als „Bombenleger“ - wer hätte das gedacht, dass ein CDU-Mitglied mal mit einem Begriff bedacht würde, der lange sogenannten Langhaarigen vorbehalten war -, und Ex-Spiegel-Redakteur Leyendecker spottete, ebenfalls am Montag, anspielungsreich, das Nachrichtenmagazin sei „in diesen Tagen so etwas wie das Sturmgeschütz des Theo Zwanziger“.
Aus Hamburg, wo jenes Sturmgeschütz zu finden ist, meldet sich Lukas Rilke, Sportredakteur von Spiegel Online, zu Wort. Er schreibt über die an der Ericusspitze eingegangenen Reaktionen:
„Ich bin erschrocken, wie viele Leser den Skandal nicht in der Existenz gravierender Indizien sehen, wonach das Sommermärchen gekauft worden sein könnte, sondern darin, dass der Spiegel diese Geschichte publik gemacht hat. Diese Version wollen viele nicht hören. ‚Lasst uns in Ruhe‘, schreiben sie. Oder: ‚Wen kümmert's?‘ (...) Wer Aufklärung bei der mutmaßlichen Korruption der WM-Vergabe als Miesmachen des Turniers empfindet, der denkt bei dem Wort Transferleistung wahrscheinlich auch als erstes an Ablösesummen.“
[+++] Ganz anderes Thema, gleiche Quelle: Hannah Pilarczyk hat für Spiegel Online mit Leena Pasanen gesprochen, der neuen Leiterin des Dokumentarfilmfestivals Leipzig, das in diesen Tagen zum 58. Mal stattfindet. Pilarczyk fragt:
„Von deutschen Dokumentarfilmern hört man, dass sie, wenn sie Förderung von den Fernsehsendern erhalten, dazu gezwungen werden, fürs gleiche Geld bis zu drei Schnittfassungen abzuliefern - eine lange Fassung fürs Kino sowie eine 90- und eine 60-Minuten-Fassung fürs TV. Das sind eigentlich drei verschiedene Filme. Kann man so noch Filme machen?
Pasanen sagt, und das kann man überraschend finden, sie habe „kein Interesse“ daran, „das deutsche Fernsehen für seine Förderpolitik zu kritisieren“. Denn:
„Ich bin in Finnland bewusst aus dem Fernsehgeschäft ausgestiegen, weil ich nicht mehr an das klassische Sendermodell glaube. Wir erleben gerade das, was die Musikbranche vor Jahren schon durchgemacht hat: Die Leute legen nicht mehr Wert auf die Verpackung eines Produkts - ob sie Musik als CD oder Schallplatte präsentiert bekommen, ist für sie nicht entscheidend. Genauso geht es Filminteressierten, denen ist es egal, auf welchem Weg sie an einen Film kommen. Hauptsache, er ist dann verfügbar, wenn es ihnen passt. Fernsehsender zu kritisieren, halte ich deshalb für rückwärtsgewandt. Stattdessen müssen wir sehen, was es für neue, nachhaltige Modelle der Finanzierung und des Vertriebs geben kann.“
Was man auch an den Öffentlich-Rechtlichen kritisieren kann (bzw. an der Politik, die für sie Regeln aufstellt): die Unzugänglichkeit ihrer Archive. Darum geht es in einem Gespräch, das SWR 2 mit dem Historiker Gerhard Paul geführt hat. Anlass des Interviews: Gestern war „der Welttag des Audiovisuellen Erbes“. Ein als hier zu Lande sehr relevanten Teil dieses Erbes sieht Paul die „Tagesschau“:
„Das ist ein Bild-Ton-Dokument, das seit Ende der 50er Jahre aufgezeichnet wurde (...), für den Historiker oder den interessierten Laien aber heute noch ungeheuer schwer zugänglich ist. Sie wird praktisch wie ein Geheimdokument in den Rundfunkarchiven verwaltet (...) Es existiert immer mehr und im Internet kommt man heute an viele Sachen dran. Aber wenn ich mir nur mal vorstelle, die Rundfunksendungen, Hörspiele, die wir in Deutschland haben, da können Sie im Grunde kaum herankommen. Diese Archive für den Zuschauer und den Zuhörer zu öffnen, das wäre eine wichtige Forderung.“
[+++] Nach meinem Dafürhalten eher langsam in Gang kommt eine Debatte um „unzulässige Begriffe in der Diskussion um Geflüchtete“, wie das Migazin einen aktuellen Beitrag überschreibt:
„Im laufenden Jahr kamen bei den Berichterstattungen und Wortbeiträgen viele Klischees in die Welt, die unbewusst oder auch bewusst die Spannung in der Gesellschaft in die Höhe treiben. Die ‚Flüchtlingskrise‘ ist hier der Spitzenreiter.“
Auch mir dürfte dieses Wort schon durchgerutscht sein, obwohl es sich um einen nationalkonservativen Kampfbegriff handelt. Die „Krise“ ist ja eigentlich „gar keine“ (Anetta Kahane vor einigen Tagen einem FR-Gastkommentar) angesichts der Situation, in der sich jene befanden und befinden, die nun kommen „zur reichen Quelle ihres Elends, das sie fliehen“ (Martin Jürgens, „Neue Hieroglyphen“, konkret 10/15)
[+++] Zu den knackigsten Überschriften des Tages gehört auf alle Fälle „Das neutrale Internet ist Geschichte“. Sie steht über einem FAZ-Feuilleton-Kommentar, den Michael Hanfeld zu einer am Dienstag verabschiedeten Entscheidung des Europa-Parlaments (siehe Altpapier) verfasst hat.
„Die neue EU-Verordnung (ermächtigt) die Netzbetreiber, den Datenverkehr möglichst flüssig zu regeln und Staus zu vermeiden, was nichts anders bedeutet, als dass sie die Vorfahrt regeln. Dem wirtschaftlichen Interesse großer Konzerne mag das entsprechen, den Ansprüchen an das Internet als Infrastruktur der Demokratie genügt die Verordnung nicht."
Fabian Schmid und Markus Sulzbacher schreiben im Standard:
„Der Text, den das EU-Parlament nach Verhandlungen mit Kommission und nationalen Ministern beschlossen hat, (ist) ein Dokument voller Widersprüche und Unklarheiten. So heißt es, dass sogenannte Spezialdienste erlaubt seien. Befürworter der Regelung hatten zuvor argumentiert, damit seien etwa Telemedizin oder Notrufsysteme gemeint. Aktivisten befürchten hingegen, dass breitenwirksame Anwendungen wie die Videoplattform Netflix oder der Telefoniedienst Skype künftig flotter durch das Glasfaserkabel transportiert werden könnten, wenn sie Geld an Provider überweisen. Eine Definition, was ein ‚Spezialdienst‘ nun ist, findet sich im Gesetzestext nicht.“
Einen namhaften Kritiker der vagen Formulierungen erwähnt Varinia Bernau (SZ, Seite 2):
„Sir Tim Berners-Lee, der Begründer des Internets, aber auch zahlreiche Start-ups, (befürchten), dass (...) in dem nun beschlossenen Gesetz die Netzneutralität de facto abgeschafft wird. Und dies mache es für all die Entwickler, die derzeit an den Diensten von morgen tüfteln, so schwer, sich gegen die Großen durchzusetzen.“
„Ein Herz für die Konzerne“ bzw. „Das Netz wird ungleicher“ lauten zwei griffige Formulierungen Svenja Bergts (taz) in diesem Zusammenhang. Und im Deutschlandfunk nutzt Manfred Kloiber den Parlamentsbeschluss dazu, mal ein Hühnchen mit den „Netzaktivisten“ zu rupfen:
„Die Netzaktivisten haben aus der völligen Gleichbehandlung aller Daten, die im Internet transportiert werden, ein Dogma gemacht. Das ist schade, denn jede Technikerin und jeder Techniker weiß, dass nicht alle Daten gleich sind und begründete Ausnahmen von der Netzneutralität durchaus Berechtigung haben. Beispiel Rundfunk: Unsere Kolleginnen und Kollegen von der Außenübertragung haben zunehmend Probleme, eine Livereportage störungsfrei ins Funkhaus zu schicken, weil das Internet als Übertragungsweg einfach nicht zuverlässig ist. Wäre es nicht gerecht, diesen einen Audio- oder Videostream bevorzugt zu behandeln, damit hunderttausende Radiohörer oder Fernsehzuschauer einen störungsfreien Empfang haben? Es wäre - doch für die technische Vernunft ist kein politischer Platz mehr.“
Altpapierkorb
+++ In der November-Ausgabe des Merkur legen Kathrin Passig und Aleks Scholz dar, „warum es die Digitalisierung nicht gibt“ beziehungsweise, dass der allgegenwärtige Begriff in der Regel ungenau bis irreführend verwendet wird: „Auch die Autoren dieses Beitrags haben (die eine häu?ger, der andere seltener) den Begriff ‚Digitalisierung‘ an Stellen verwendet, an denen sie besser genauer benannt hätten, welchen Vorgang sie meinten.“
+++ Die SZ hat mit Nadine Lindner, Sachsen-Korrespondentin für das Deutschlandradio, gesprochen, denn sie war es, die mit „nicht der besten Handykamera“ das berühmte Pegida-Galgen-Foto gemacht hat. „Welchen Weg hat das Bild in den Medien genommen? - Es ging in die ‚Tagesschau‘ und bis in die USA, es ging nach Großbritannien und ich glaube auch nach Russland. Mir brachte das Bild eine Einladung in den Presseclub der ARD und ein Interview im amerikanischen National Public Radio.“
+++ Sowohl SZ als auch FAZ gehen auf ihren Medienseiten auf die aktuelle Ausgabe von „Schawinski“ ein, Roger Schawinskis Talkshow im Schweizer Fernsehen. Zu Gast war hier am Montag der Schriftsteller Lukas Bärfuss, der mit seinem FAZ-Essay „Die Schweiz ist des Wahnsinns“ die Medien im Nachbarland zu „Dutzenden von Artikeln“ (FAZ heute) animierte, was insofern kein Wunder ist, als er in seinem Text den Rechtsruck der Schweizer Medien beschrieben hatte.
+++ Für jene, die Karl Kraus nicht nur lesen, sondern auch hören wollen, gibt es eine neue Website. Das FAZ-Feuilleton würdigt sie.
+++ Der Moskauer Spiegel-Online-Korrespondent Benjamin Bidder, „mit 34 Jahren noch voller Saft, wenn schon nicht Klugheit“, verbreitet heißeste Luft in Sachen Gazprom. Dokumentiert ist‘s im Blog Abfall aus der Warenwelt. [Nachtrag, 12.07 Uhr: Die zitierte Altersangabe ist unpräzise]
+++ Für "das Auftauchen eigenartiger Anzeigen" ("Löse Journalistenbüro auf. Biete ungedruckte Manuskripte ...") im derzeit von Freien befreiten Tagesspiegel (Altpapier) ist die Organisation Freischreiber verantwortlich, enthüllt Silke Burmester (taz).
+++ Mit Rainer Wendt, dem Lieblingskrawallmacher so mancher Journalisten, die jeden berufsethischen Maßstab verloren haben, beschäftigt sich der Bildblog. Andere empfehlenswerte Wendt-Zitat-Sammlungen finden sich hier und hier.
+++ Christoph Biró, Chefredakteur der Steiermark-Ausgabe der Boulevardblatts Kronen Zeitung, werde sich „aus eigenen Stücken für einige Zeit aus der Redaktion zurückziehen", meldet die österreichische Nachrichtenagentur APA laut Standard. Anlass für die Auszeit ist ein phantasievoller Kommentar zum Thema Flüchtlinge, mit dem sich möglicherweise die Staatsanwaltschaft Graz beschäftigen wird.
+++ Und mittlerweile online steht das Ende der vergangenen Woche hier zitierte Freitag-Medientagebuch über Marhaba, die „erste deutsche Fernsehsendung“ für „Arabisch sprechende Flüchtlinge“.
Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.