Auf der einen Seite sind da die gedruckten Zeitungen. In den Wirtschaftsteilen, auf Seite 16 und 18, haben sich in FAZ und SZ heute kleine Meldungen versteckt, in denen über den offenen Brief der 30 Internetunternehmen informiert wird, die kurz vor der Entscheidung des Europäischen Parlaments heute noch einmal warnen, zu verabschieden, was aus ihrer Sicht die Netzneutralität gefährden würde.
Auf der anderen Seite haben wir Netzpolitik.org, wo sich allein auf der Startseite eins, zwei, drei, vier, fünf Artikel zum Thema finden.
Nun ist es wenig überraschend, dass bei Netzpolitik.org die Aktivistenmaschine läuft, während SZ und FAZ erst mal abwarten, was das EU-Parlament heute Berichtenswertes fabriziert. Aber es zeigt ganz schön, welche Bedeutung Netzthemen jenseits des Netzes zugeordnet wird. Nämlich wenig.
Zwischen 8.30 und 10 Uhr, vor der Aussprache zum Schwerpunktthema Flüchtlinge, steht auf der Tagesordnung des Parlaments unter „Europäischer Binnenmarkt der elektronischen Kommunikation“ zunächst noch einmal eine Debatte zum Thema an:
„Empfehlung für die zweite Lesung betreffend den Standpunkt des Rates in erster Lesung im Hinblick auf den Erlass der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet und zur Änderung der Richtlinie 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten sowie der Verordnung (EU) Nr. 531/2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Union“.
Ab 13 Uhr folgt die Abstimmung.
Wer sich jetzt noch rasch informieren möchte, worum es genau geht, kann dies etwa bei sueddeutsche.de oder Spiegel Online tun (denn online findet dieses Thema auch bei großen Verlagen wiederum statt).
Alle anderen dürfen sich bis zur Entscheidung und Berichterstattung darüber noch an der Ironie erfreuen, dass eine Institution über das Internet urteilt, deren Website offenbar dem 1&1-Baukasten entstammt.
[+++] Um bei Institutionen und der Frage, ob sich diese auf der Höhe der Zeit oder doch noch tief in den frühen 1990ern befinden, zu bleiben, müssen wir nun über den DJV sprechen. Der versteht es verlässlich, über jedes hingehaltene Stöckchen zu springen; so natürlich auch über das mit den 80 entlassenen Mitarbeitern von „Günther Jauch“, das bereits gestern hier im Korb anklang und dessen Weiterdreh Joachim Huber heute im Tagesspiegel wie folgt zusammenfasst:
„In einer Mitteilung vom Montag ist Jauchs Firma i&uTV, die im Auftrag der ARD den Politiktalk produziert, Medienberichten entgegengetreten, wonach 80 Mitarbeiter entlassen würden. Auch sei es falsch, dass – wie zum Teil behauptet – ,eine gesamte Produktionsfirma aufgelöst’ werde. Laut Mitteilung ist es vielmehr ,richtig, dass für den Talk ,Günther Jauch‘ in Berlin 16 Mitarbeiter fest in der Redaktion bzw. Produktion angestellt’ seien. ,Ihre Verträge sind projektgebunden und laufen regulär zum Jahresende aus.’ Einige Mitarbeiter hätten ab Januar bereits einen neuen Arbeitsplatz gefunden.“
Zwischen Meldung vom Jobverlust und Stellungnahme von i&uTV hatte der DJV folgende Pressemitteilung herausgegeben:
„Der Deutsche Journalisten-Verband hat die Geschäftsführungen von TV-Produktionsfirmen zu fairen Arbeitsverträgen für ihre Mitarbeiter aufgefordert. Journalisten, Kameraleute und technisches Personal bei den Produktionsfirmen hätten den gleichen Anspruch auf angemessene Bezahlung und berufliche Planungssicherheit wie ihre Kollegen bei den Fernsehsendern, erklärte DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken“.
Recht hat er, der Herr Bundesvorsitzender. Nur blöd, dass er die Falschen anschnauzt, wie Thomas Lückerath bei DWDL erklärt:
„Der Kampf der Produktionsfirmen um mehr Unabhängigkeit von diesen Auftragsproduktionen ist seit Jahren ein Dauer-Thema. Dass die Sender seit Jahren immer mehr kreative, redaktionelle und produktionstechnische Prozesse auslagern, kommt den Produktionsfirmen zwar zu Gute, doch ohne entsprechende Vergütung von Kreativität und Entwicklung und mit weiterhin schnell gezogenen Steckern, bleibt die Hire&Fire-Mentalität im TV-Produktionsgeschäft erhalten. Kaum eine Produktionsfirma kann sich in größerem Maße produktionsunabhängig festangestellte Mitarbeiter leisten. Das ist ein strukturelles Problem.“
Mittlerweile hat man beim DJV eingeräumt, dass man auslaufende Verträge nicht mit Kündigungen gleichsetzen könne. Aber das eigentliche Problem ist ja, dass der DJV wenig Ahnung von aktuellen Arbeitsbedingungen zu haben scheint. Was ungefähr das Schlimmste ist, was man einer Gewerkschaft vorwerfen kann.
Dabei könnten Journalisten, nur zum Beispiel die gerade an die Luft gesetzten freien Kollegen des Tagesspiegels (siehe Altpapier), gerade ganz gut jemanden gebrauchen, der sich für ihre Rechte stark macht. Und zwar nicht nur, indem er noch eine Pressemitteilung herausgibt, in der Michael Konken kommentiert, kritisiert und warnt. Das bekommt der DJV fast täglich hin. Doch wann wurden zuletzt sagen wir faire, verbindliche Vergütungsregeln für Freie verhandelt? Ein Tarifvertrag, an den sich noch ein Verlag hält? Über das Problem der befristeten Verträge gesprochen?
Nach den aktuellen Entwicklungen muss man davon ausgehen, dass das zum Teil daran liegt, dass der Verband noch nicht realisiert hat, dass wir nicht mehr in Kansas sind. Vielleicht kann mal jemand ein Fax schicken und Bescheid geben, damit sich das endlich ändert.
[+++] Bei weitem nicht so kommunikativ wie Herr Konken in seiner Pressemitteilungsspalte ist normalerweise ausgerechnet Facebook. Doch seitdem dort rechte Hetzparolen ungestört kursieren können, während nackte Brüste sofort der Zensur zum Opfer fallen, wird von dem Unternehmen etwas mehr Gesprächsbereitschaft und Transparenz erwartet.
Für die SZ war daher Simon Hurtz in der Europa-Zentrale in Dublin, um zu klären, wer wie was bei Facebook löscht, und wie sich der vermeintliche doppelte Standard erklären lässt.
„Im Vorfeld des Besuchs hatte das Unternehmen ein Gespräch mit einem deutschen Mitarbeiter des Teams in Aussicht gestellt, der Rede und Antwort stehen sollen. Das Treffen findet statt, doch es redet und antwortet vor allem dessen Chefin. Bei fast jeder Nachfrage übernimmt Julie de Bailliencourt, die für das Community Operations Team zuständig war und jetzt den Umgang mit allen von europäischen Nutzern gemeldeten Beiträgen verantwortet. Zwar bekommen die Journalisten den Deutschen zu sehen, doch zum Gesicht der Facebook-Moderatoren soll er nicht werden. Wer den Mann detailliert beschreibt, wird so bald keine neue Möglichkeit für einen Besuch bekommen, daran lässt Facebook wenig Zweifel.“
Woraus wir lernen: Facebook hat großes Interesse, Nachrichten zu steuern. Aber nur, wenn es um das Aussehen seiner Mitarbeiter geht.
Aus Sicht des Unternehmens stellt sich das natürlich ganz anders da:
„Man ordne sich mitnichten dem nahezu allumfassenden, US-amerikanischen Verständnis von Meinungsfreiheit unter, ziehe sehr wohl Grenzen. Eines dürfe man nicht aus den Augen verlieren, sagt eine Facebook-Mitarbeiterin: ,Jeden Tag werden soooooo viele Beiträge gemeldet’, sagt sie und malt mit ausgestreckten Armen einen großen Kreis in die Luft, ,von denen Hatespeech nur einen klitzekleinen Teil ausmacht’, und formt mit ihren Händen eine faustgroße Kugel. Mit Abstand am häufigsten würden Inhalte gemeldet, die ,Nutzer schlichtweg nicht mögen’. Bayern-Fans beschweren sich über BVB-Postings, solche Dinge.“
Wer in Zukunft bei Facebook weniger von wiederzueröffnenden KZs, blankem Hass und Gewaltfantasien lesen möchte, sollte also zunächst aufhören, andere Dinge zu melden. Was okay wäre, wenn diese Logik nicht auch andersherum funktionierte: Melde jeden Quatsch und stelle sicher, dass die Volksverhetzung darin untergeht.
Jeder Blogger mit Kommentarspalte kann es sich so einfach nicht machen. Facebook schon. Schon seltsam.
+++ „Der DFB-Außenverteidiger“ ist eine sehr schöne Überschrift für diesen Artikel des Bildblogs, in dem Moritz Tschermak die Abwehrstrategie des Sportbild-Chefs Alfred Draxler nachzeichnet. +++
+++ Mit wem spricht man, wenn man ins Herz der fremden Spezies "Ostdeutsche" sehen möchte? Mit der Superillu! Für den Tagesspiegel hat Frank Bachner deren Umgang mit Pegida unter die Lupe genommen. +++
+++ Die Prinzessinnenreporter sammeln ja schon seit einiger Zeit Ideen, wie der Journalismus auf keinen Fall gerettet werden kann. „Journalismus wird ja nicht aussterben, sondern nur gehörig an Mythos verlieren. Das empfinden etliche Journalisten sogar eher als positiv. Es wird halt irgendein normaler Beruf werden. Und wie in so vielen Unternehmen mit gutbezahlten, fröhlichen Führungskräften und einem Heer von unterbezahlten Fußabtretern“, lautet die aktuelle Prognose des Jetzt-Möbelhändlers Robert Kisch. +++
+++ Auch in der Schweiz macht sich das Problem bemerkbar, dass sich junge Menschen nicht mehr für die Angebote alter Medienhäuser interessieren, wie eine neue Studie der Universität Zürich aufdeckt. „Kurz und gut: Unter den jungen Erwachsenen wächst die Gruppe der ,News-Deprivierten’, die gar oder fast keine Informationen mehr nutzen und vorwiegend Unterhaltungsangebote aufsuchen. Diese Entwicklung bezeichnen die Forscher in demokratiepolitischer Hinsicht als alarmierend“, schreibt dazu Rainer Stadler in der NZZ +++
+++ Um Empörungsmechanismen und Internetangebote für junge Menschen geht es im Vocer-Interview mit Alan Posener. +++
+++ Haben Sie mit ihrem Facebook-Profil den FC Bayern, David Guetta und Nutella geliked? Wohnen sie in Berlin? Sind sie verheiratet? Herzlichen Glückwunsch, dann sind Sie fast so durchschnittlich wie der Durschnittsfacebookdeutsche. Hat eine große Webeagentur herausgefunden, worüber Horizont berichtet. +++
+++ Wo sich zudem nachlesen lässt, dass das Sichtbarmachen von Beinen in der „Tagesschau“ nicht etwa eine Petitesse ist, sondern fast so revolutionär wie das Verschieben eines Bilderrahmens. +++
+++ Wozu Ralf Wiegand heute auf der Medienseite des SZ schreibt: „Legenden ranken sich um die unsichtbare Hälfte der deutschen Fernsehnachrichtenrümpfe, es soll barfuß lesende Frauen gegeben haben und solche in Lammfellstiefeln, weil sie unter kalten Füßen litten, einem häufigen Symptom von Lampenfieber. Selbst, wenn eine Meerjungfrau unter den adretten Damen gewesen wäre, die in den vergangenen 60 Jahren die Welt in 15 Minuten vorgelesen haben – niemand hätte das je erfahren. Der halbe Mensch über der Tischplatte war herrlich mysteriös. Alles vorbei.“ +++
+++ Ebenfalls in der SZ rezensiert Hannah Beitzer „Plötzlich Krieg – Ein Experiment“ - eine Art Hass-Simulation, für die ZDFneo zwei Teams gegeneinander antreten und sich aufhetzen lässt. „Wie leicht daraus zwischenmenschliche Konflikte entstehen, zeigt ,Plötzlich Krieg’ sehr anschaulich. Doch in den echten Kriegen spielen politische, weltanschauliche und geografische Besonderheiten eine Rolle, die selbst Experten Kopfzerbrechen bereiten. Gerade Zuschauern, die Nachrichten meiden, tut Konfliktexperte Lesko keinen Gefallen, wenn er immer wieder versichert: Das mit dem Krieg ist eigentlich total simpel, auch nicht anders als im Dschungelcamp. Denn nein, Kriege sind nicht simpel. Ihre Dynamik in einem TV-Wettkampf umfassend und verständlich zu erklären: Dieses Experiment ist gescheitert.“ Oliver Jungen meint auf der Medienseite der FAZ: „Wirklich erschreckend ist einzig, dass man blind ist für die eigene Rolle und tatsächlich daran glaubt, das Fernsehen eigne sich als Erkenntnisinstrument“. Sich selbst ein Bild machen kann man heute und morgen Abend. +++
+++ Des Weiteren in der FAZ: Friedrich Schmidt berichtet, was unter dem neuen Eigentümer Alexander Fedotow mit der gerade verkauften Russlandsparte des Springer-Verlages passier: Es wird munter eingestellt bzw entpolitisiert. Außerdem schreibt Matthias Hannemann über das Computerspiel „Assassin’s Creed“, das Jungendlichen Geschichte besser nahebrächte als jeder Unterricht. Die neueste Version führt ins London des Jahres 1868. +++
+++ Außerdem zieht die ARD das mit dem Durchziehen durch und sendet nach „Weißensee“ auch die sechsteilige Miniserie „Die Stadt und die Macht“ an drei aufeinander folgenden Abenden im Januar, schreibt DWDL. +++
Neues Altpapier gibt es morgen wieder.