Meinungen und Tatsachen

Meinungen und Tatsachen
Hat der Spiegel eine Meinung über den DFB? Bestimmt. Es gibt aber begründete Vermutungen über den DFB, die auf Tatsachen beruhen. Das ist das aktuelle Problem deutscher Lichtgestalten. Ansonsten beschäftigen wir uns mit der Meinung eines Friedenspreisträgers - und mit der Merkel-Jugend.

Über den Weltfußballverband FIFA und ihren Präsidenten Sepp Blatter konnte man in den vergangenen Jahren eine Meinung haben, zumeist keine gute. Allein der DFB erschien wie ein Fels in der Brandung der Unmoral. Seine führenden Vertreter gehörten zu den schärsfsten Kritikern der FIFA, allen voran der frühere DFB-Präsident Theo Zwanziger. So musste die Vergabe an das Sommermärchen von 2006 wie ein Leuchtfeuer namens Beckenbauer wirken, wo ansonsten von Frankreich 1998 bis Katar 2022 Bestechung bei der Vergabe der Weltmeisterschaft eine Rolle gespielt hat. Das deutsche Bewerbungskomitee vertraute allein auf die Überzeugungsfähigkeit seiner Lichtgestalt. Dieser Meinung konnte man sein. Das aber auch bisher schon für wenig wahrscheinlich halten. Meinungen müssen nämlich vor allem plausibel sein, aber können ansonsten durchaus auf Tatsachen verzichten.

Um den Unterscheid zwischen Meinungen und Tatsachen geht es im aktuellen Spiegel-Titel. Er bringt Belege für eine begründete Vermutung. Es gab im deutschen Bewerbungskomitee zum Sommermärchen 2006 eine schwarze Kasse, finanziert vom verstorbenen Adidas-Chef Robert-Louis Dreyfus. Zum gleichen Zeitpunkt hatte Dreyfus der zweiten bayerischen Lichtgestalt namens Uli Hoeneß mehrere Millionen DM zur Mehrung seines Vermögens an der Börse zur Verfügung gestellt. Der Kern dieser Geschichte ist mit Fakten belegt. Sie müssen aus dem Umfeld der FIFA oder von Menschen stammen, die mit ihr zu tun hatten. Ansonsten fiele diese Geschichte in sich zusammen. Dann müsste man auch nicht über die Frage diskutieren, ob die handelnden Akteure im DFB damals darüber informiert gewesen sind. Der DFB hat somit ein probates Mittel zur Hand: er kann die vom Spiegel behaupteten Tatsachenfeststellungen gerichtlich als falsch überprüfen lassen. Das ist sein gutes Recht, weil es sich eben nicht um eine bloße Meinung des Spiegel handelt. Die können auch falsch sein. Niemand musste etwa in Deutschland, wie die Bild, den sogenannten „Kaiser“ für eine „Lichtgestalt“ halten.

Aber in diesem Fall wird auch etwas anderes erkennbar. Der DFB hat nicht nur einen Medienanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt. Er nutzt im Zuge seines Krisenmanagements lediglich die eigenen Medienkanäle, um sich gegen die Vorwürfe der aktiven Bestechung von FIFA-Exekutivmitgliedern zu wehren. Er verweigert sich damit der Auseinandersetzung mit Journalisten, die sich nicht nur als Hofschranzen im Dienste lauter Lichtgestalten verstehen. Damit verbindet er zugleich eine Hoffnung: die Geschichte möglichst auf kleiner Flamme zu kochen und auf das abnehmende Interesse der Medien zu setzen. Es gibt ja noch andere Themen. Er will somit aus Tatsachen bloße Meinungen machen, um die er sich aber nicht weiter kümmern muss. Man darf somit gespannt sein, ob der DFB den Spiegel verklagen wird.

+++ Der Spiegel nennt seine Titel-Geschichte „Das zerstörte Sommermärchen“. Er sitzt damit einem von den Medien geschaffenen Mythos auf. Das Ausland habe angeblich erstmals im Jahr 2006 Deutschland als ein weltoffenes Land mit einem ungezwungenen Patriotimus erlebt. Nun galten die Olympischen Spiele von 1972 in München bis zum Attentat auf die israelische Olympiamannschaft als die „heiteren Spiele“, wo sich die deutschen Zuschauer übrigens über die Siege von allerdings nur westdeutscher Athleten gefreut hatten. Das Sommermärchen hatte nichts mit dem Ausland zu tun, lediglich damit, wie wichtig den Deutschen ihr Image im Ausland ist. Es ist ihre Sucht, möglichst von allen geliebt zu werden, damit sie sich selber lieben können. Deshalb muss der DFB im Korruptionssumpf der FIFA auch besser sein als alle anderen. Eine moralische Erziehungsanstalt für den Rest der Welt, wo diese am deutschen Wesen genesen könnte. Viele Medien haben bei diesem Unfug in der bisherigen Debatte übrigens gerne mitgemacht. Sie bastelten ja vorher auch schon am Mythos namens „Sommermärchen“. Der DFB müsse jetzt endlich gegen die FIFA Stellung beziehen. Blatter hat das nie überzeugt. Er hielt das wohl schlicht für verlogen. In dem Fall könnte er recht haben.

+++ Eine fundierte Meinung äußerte gestern in der Frankfurter Paulskirche der Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels, Navid Kermani. Seine Rede ist heute in der FAZ zu lesen. Sie war in weiten Teilen eine über den intellektuellen Bankrott der islamischen Welt. Zugleich hielt er dem Westen einen Spiegel vor, wie er sich bisher dazu verhalten hat. Wenn die Bankrotteure in Saudi-Arabien mitten in Mekka eine gigantische Shopping-Mall errichten, haben sie die Motivation dazu bestimmt nicht im Koran gefunden. Vielmehr sich der gleichen Logik ausgeliefert, die schon längst den Fußball bestimmt. Es geht um das Geschäft. Immerhin muss aber der Fußball nicht befürchten, wie der Islam von einem Friedenspreisträger des intellektuellen Bankrotts bezichtigt zu werden. Im Fußball galt schon ein Günther Netzer als Intellektueller. Damit muss sich ein Friedenspreisträger nun wirklich nicht beschäftigen. Laut dem Spiegel muss Netzer aber bezüglich der deutschen Bewerbung zum Sommermärchen Wirklichkeitssinn bewiesen haben. Er hat das vehement bestritten. Insofern ist er wohl noch nicht einmal das: ein Realist.

+++ In der vergangenen Woche hat die Shell-Studie wieder einmal über die geistige Verfassung der deutschen Jugend Auskunft gegeben. Wolfgang Michal nutzt diese Gelegenheit, um sich mit der Kritik an den Jugendangeboten in den deutschen Medien zu beschäftigen.

„Vielleicht befinden sich die Kritiker mit ihrer Kritik aber auch in einer klassischen Filterbubble und wollen partout nicht sehen, dass die Jugend von heute eben genau die Jugendportale bekommt, die zu ihr passen. Vielleicht schlagen die Kritiker, die jetzt so wortgewaltig und sarkastisch über die neuen Jugendportale herziehen, nur den Sack (die Jugendmedien) und meinen in Wahrheit den Esel (die Jugend) – sie trauen sich nur nicht, das offen zu sagen.“

Die wenigsten Jugendlichen haben übrigens schon in den guten, alten Zeiten die Produkte der Qualitätspresse gelesen. Das ist eigentlich nichts Neues. Aber Michal weist auf einen relevanten Faktor in dieser Berichterstattung hin, der bisher zu kurz gekommen ist.

„Ansetzen müsste die Kritik der Jugendportale (ebenso wie die Kritik der Shell-Jugendstudien) an einem ganz anderen Punkt. An der – in beiden Fällen – fast ausschließlichen Mittelschichtsorientierung. … . Vom unteren Drittel der Gesellschafts-Jugend erfährt man in der Berichterstattung über die Studie herzlich wenig. Die Überschriften in den Medien beziehen sich stets auf die Ergebnisse aus den großzügig bemessenen und die Mehrheit stellenden Mittelschichten. … . Das heißt, die Mittelschicht feiert sich im neuen „konstruktiven“ Journalismus vor allem selbst – und nimmt Abweichungen außerhalb ihres begrenzten Gesichtsfeldes kaum noch wahr.“

Michal kritisiert die soziale Borniertheit eines Journalismus, der als Referenzfläche nur die eigenen (Vor-)Urteile akzeptiert. Das untere Drittel findet lediglich statt, um sich davon ideologisch abzusetzen oder als Objekt der Sozialfürsorge zu begreifen. Letzteres gilt vor allem für die Migrantenmilieus, die man aber immerhin noch als kulturelles Phänomen versteht. Insoweit muss man sich nicht wundern, wenn sich die Jugendportale von Medienkonzernen primär dem von Michal genannten Mainstream namens „Merkel-Jugend“ widmen. Und der Rest in den sozialen Netzwerken verschwindet, wo sie sich eine Gegenöffentlichkeit aufbaut, die sich hermetisch von den klassischen Medien mit dem Begriff „Lügenpresse“ abschotten. Kommunikation zwischen diesen Sphären findet dann nicht mehr statt. Man sollte den Text von Michal nutzen, um darüber einmal nachzudenken.


Altpapierkorb

+++ Mit den neuen Jugendportalen beschäftigte sich am Samstag auch „Töne, Texte, Bilder" auf WDR 5. Außerdem Altpapier-Autorin Juliane Wiedemeier im Freitag.

+++ Was soziale Netzwerke aus Politikeraussagen machen, ist hier nachzulesen.

+++ Über einen interessanten Fall berichtet die „Allgemeine Presse“. Es geht um Fotos aus Flüchtlingsunterkünften. Der amerikanische Fotograf Nick Ut hatte ein solches Foto auf Facebook geteilt. Von ihm stammte das berühmte Foto von 1972 vom „Napalm-Mädchen“ in Vietnam. Es werden hier allerdings die Grenzen zwischen PR und freier Berichterstattung deutlich. „Nun gibt es allerdings einen entscheidenden Unterschied zwischen der Arbeit des Amerikaners und jener des Deutschen. Nick Ut war 1972 und ist bis heute für die Presseagentur Associated Press tätig. Herbert Piel hingegen ist kein unabhängiger Journalist, er ist weder bei einer Zeitung, einem Sender oder einer Presseagentur angestellt. Er ist im Auftrag der Entwicklungsagentur Rheinland-Pfalz in den Flüchtlingsunterkünften unterwegs. Die Entwicklungsagentur wiederum ist keine Behörde, sondern ein Verein, der laut Satzung aus Mitteln des Landes finanziert wird. Piel selbst gibt an, der Auftrag der Entwicklungsagentur laute, die Ankunft der Flüchtlinge in Rheinland-Pfalz als zeitgeschichtliches Ereignis zu dokumentieren. Zudem sei er auch beauftragt worden, Bilder zu liefern, die „negativen Stimmungen entgegenwirken“. Das wiederum wäre ein politischer Auftrag – und der wäre insbesondere deswegen brisant, weil unabhängigen Medien, auch dieser Zeitung, das Fotografieren in der Bad Kreuznacher Flüchtlingsunterkunft untersagt ist.“ Allerdings sollte man sich über den Vietnam-Krieg nichts vormachen. Eine kritische Berichterstattung war auch damals die Ausnahme gewesen.

+++ Am Freitag ist wieder einmal im Bundestag die Vorratsdatenspeicherung beschlossen worden (siehe auch das Altpapier von Freitag). Wie man damit umzugehen hat, erläutert Netzpolitik in seinem Blog. Journalisten ohne Grenzen nennt diesen Beschluss einen „schwarzen Tag für den Journalismus“.

+++ Man kann wirklich jeden Montag etwas über die Situation von Journalisten in der Türkei berichten. So machen wir das auch heute wieder.

+++ Wir erinnern uns noch an den Mord an die Passagiere des Germanwings-Fluges von Barcelona nach Düsseldorf. Medien stehen bei solchen Ereignissen unter einem hohen Aktualitätsdruck. Erst später gibt es die Selbstreflexion über das eigene Handeln. Darüber diskutierten in einer Veranstaltung der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen „Medienmacher, der deutsche Presserat, die Journalisten Union und das Grimme-Institut unter dem Titel "Germanwings-Absturz und die Folgen - Was lernen wir daraus?" Zu hören auf WDR 5.

+++ Rolf-Dieter Brunowsky hat ein Düsseldorf eine Konferenz von Chefredakteuren besucht. Im Blog schildert er seinen Eindrücke. "Es gibt zu viele Journalisten, die heute immer noch so denken. Ihnen ist es wichtiger, auf der gleichen Welle mitzureiten, als kritisch zu hinterfragen, was wirklich passiert ist und es fair einzuordnen. Die Informationsmasse des Internet braucht Journalisten, die filtern und einordnen und dabei unbestechlich sind, aber auch fair (kein Journalist hat den Abgasskandal bei VW aufgedeckt, obwohl gerade die Motorjournalisten das letzte Schräubchen in Autos zu kennen vorgeben und allzu hautnah mit der Autoindustrie verbandelt sind). Wir brauchen Journalisten, die wählerisch bei ihren Themen sind und Haltung zeigen. Die ihr Fähnlein nicht täglich nach dem Wind ausrichten. Denen es nicht um Preise und Karriere geht, sondern um sorgfältigen Umgang mit Informationen." Was fehlt? Eine Anmerkung: Journalisten sind auch nur Menschen.

+++ Im Deutschlandfunk bei „Markt und Medien“ geht es dagegen um die Wortfindungsstörungen im Qualitätsjournalismus. „Am Ende ist dieses Thema dann doch kein ironisches mehr, denn laut Vassiliou-Enz geht es schlussendlich um Qualitätsjournalismus, um Professionalität und darum, präzise zu formulieren statt irgendeinen Begriff zu nehmen, der einem gerade in den Kopf komme. Beim Thema Migration und Integration verstünden sich zu viele Journalisten halbwegs als Experten, da es wie ein Alltagsthema scheine: >>Ist es aber nicht. Es ist echt ein ziemlich kompliziertes Fachgebiet.<<". Das stimmt, wie man an diesem Beispiel erleben kann. „Also bietet der Verein Alternativen. Für den Begriff Armutszuwanderer etwa, der teils abfällig für Migranten aus Südosteuropa verwendet werde. Die Neuen deutschen Medienmacher stellen klar: Die große Mehrheit dieser Menschen arbeite oder studiere, weshalb Arbeitseinwanderung damit der treffendere Begriff sei. Und sie erklären auch ganz einfach, was was bedeutet: Dass Zuwanderung alle Menschen meint, die sich eine Zeit lang in Deutschland niederlassen. Und Einwanderer diejenigen benennt, die dauerhaft bleiben.“ Der Qualitätsjournalismus befasst sich übrigens auch mit der Frage, ob und wer überhaupt als „Arbeitseinwanderer“ nach Deutschland einreisen darf. Das müssen die Kollegen glatt vergessen haben.

+++ Ohne Donald Trump hätten wir wohl den amerikanischen Vorwahlkampf nur mit mäßigem Interesse wahrgenommen. Daran hätten auch die Mail-Postfächer von Hillary Clinton nichts geändert. Aber deshalb ist die Frage, wen die beiden großen Parteien in den USA als Präsidentschaftsbewerber nominieren, nicht unwichtig geworden. Relevanz entscheidet sich nicht am Wahrnehmungspegel des Publikums. Stefan Sasse und Jan Falk beschäftigen sich in ihrem Blog Deliberation daily kontinuierlich mit diesem Thema. Er sei ausdrücklich empfohlen.

+++ Was jetzt auch nicht mehr fehlt? Beine in der Tagesschau.

+++ Außerdem noch ein Update zum Spiegel-Titel von heute. Meedia hat eine Zusammenfassung der bisherigen Debatte. Nur zur Erinnerung. Der Spiegel macht begründete Vermutungen über das Handeln des DFB auf der Grundlage von Fakten. Von einem Vermerk des DFB, wir haben gerade vier Asiaten im FIFA-Exekutivkomitee gekauft, war dort nicht die Rede. 

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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