Ist die Formulierung „besorgter Bürger“ eigentlich schon wieder out bei Journalisten? Nein, aber zu reden ist, wie Zeit-Online-Kommentator David Hugendick findet, vor allem über zwei andere Formulierungen, die sich einreihen „ins krypto-totalitäre Vokabelheft“, wo neben dem „besorgten Bürger“ bereits „der ‚gesunde Menschenverstand‘ steht, (...) der ‚Islamkritiker‘ und die ‚schweigende Mehrheit‘“:
„Mittlerweile sind für (den) Mob, der da seine Ressentiments durch die Straßen trägt, die Wörter ‚Asylkritiker‘ oder ‚Asylgegner‘ üblich geworden – Begriffe, die sich diese Gruppen selbst zueignen (...) Inzwischen übernehmen einige Medien diese Wörter, ohne sich nähere Gedanken zu machen, was und vor allem welcher Gesinnung hier nachgeplappert wird.“
Es ließe sich darüber streiten, ob sich „einige Medien“ keine „näheren Gedanken machen“ oder ob sie für jene, die den Mob formieren, ganz bewusst euphemistische Formulierungen wählen. Politiker tun Letzteres jedenfalls, weil sie von diesen Menschen gewählt werden wollen.
Hugendick schreibt weiter:
„Die Maskerade des ‚Asylkritikers‘ ist der Versuch, Ausländerfeindlichkeit zur legitimen Diskursposition zu erheben (...) Dass der ‚Asylkritiker‘ (...) weitgehend kritiklos in die Berichterstattung eingezogen ist, kann man als kleinen diskursiven Sieg der Rechtsextremen verstehen, und wenn es Folgen aus Pegida gab, so ist das vielleicht eine der gewichtigsten. Die Öffentlichkeit adaptiert mit dem Vokabular auch nicht nur deren Logik, sondern auch die Vorstellung, man müsste einen Dialog über ein im Grundgesetz festgeschriebenes Recht führen.“
Wobei vielleicht noch zu ergänzen wäre: Es ist nicht der erste „kleine diskursive Sieg“ der Rechtsextremen beim Thema Flüchtlinge.
Bei Spiegel Online kritisiert Maximilian Popp die Berichterstattung zum Thema Flüchtlinge unter einem anderem Aspekt, er benennt die Mitverantwortung vieler Medien für das Wirken des Mobs:
„Über den Pöbel, der in Freital, Sachsen, und andernorts in fehlerhaftem Deutsch gegen Flüchtlinge hetzt, lässt sich leicht spotten. Doch die Frage, was dieser Pöbel mit breiten Gesellschaftsschichten gemein hat, inwieweit er durch gesamtgesellschaftliche Diskurse inspiriert und motiviert wird, wird viel zu selten gestellt. Dabei wäre Selbstkritik, angesichts der deutschen Zustände, angebracht: bei Politikern wie bei Journalisten.“
Die Selbstkritik in diesem Kommentar geht erfreulicherweise relativ weit:
„DER SPIEGEL hat in den Neunzigerjahren den Populismus, den er heute zu Recht beklagt, mit Titeln wie ‚Zu viele Ausländer?‘ selbst befeuert. Und auch Jahre später noch vor einer vermeintlichen ‚Islamisierung‘ Deutschlands gewarnt. Dem Focus fiel am vergangenen Wochenende, da in Deutschland wieder einmal Asylunterkünfte brannten und Flüchtlinge um ihr Leben fürchteten, nichts Besseres ein, als auf dem Titel Stimmung gegen ‚falsche Flüchtlinge‘ zu machen.
Dr. Kai Gniffke, der Gelegenheitsblogger aus der Chefredaktion von „ARD aktuell“, meldet sich anlässlich der Flüchtlingsdebatte nach langer Zeit mal wieder zu Wort, und er tut dies mit der gewohnten Flapsigkeit:
„Bei tagesschau.de und in sozialen Netzwerken ist gerade mal wieder richtig was los. Das Thema Flüchtlinge bewegt die Menschen und eine riesengroße Zahl möchte die eigene Meinung dazu äußern. Das ist gut, denn wir wollen ja zu einem Diskurs zu gesellschaftlich relevanten Themen einladen. Viele Kommentare sind absolut okay, bei weitem nicht meine Meinung, aber meine Meinung ist überhaupt kein Maßstab. Beim Thema Flüchtlinge habe ich gut reden, ich habe ein sicheres Einkommen, eine unbefristete Festanstellung, lebe in einem prosperierenden Land – da werden wir ja noch mit den Flüchtlingen klarkommen. Kann sein, dass das ein Arbeitsloser komplett anders sieht, denn dem ist die prosperierende Republik ziemlich wumpe.“
Zum Kontext passt noch die Meldung, dass in Passau ein 25-jähriger wegen volksverhetzenden Kommentars gegen Flüchtlinge auf Facebook zu einer Geldstrafe von 7.500 Euro verurteilt worden ist (br.de, Legal Tribune Online)
[+++] Mit dem „Pickelhauben-Revival“ in der Bild-Zeitung beschäftigt sich die Wochenzeitung Kontext in ihrer neuen Ausgabe:
„(Man) kann man schon etwas den Kopf schütteln, wenn die Bild-Zeitung am 7. Juli dieses Jahres mit einer Fotomontage aufmacht, die Angela Merkel mit einer Pickelhaube zeigt, versehen mit der Mahnung, dass man jetzt, im Zusammenhang mit der Griechenland-Krise, eine ‚eiserne Kanzlerin‘ brauche – eine Anspielung auf den ‚Eisernen Kanzler‘ Bismarck, der sich auch in seiner zivilen Funktion als Reichskanzler gerne öffentlich mit Pickelhaube zeigte. Dass das Kaiserreich bei Konservativen wieder chic ist und über Bismarck, verstärkt anlässlich seines diesjährigen 200. Geburtstags, historisch fragwürdige Lobesgirlanden gebreitet werden, mag kein ganz neues Phänomen sein. In ikonografischer Hinsicht handelte es sich aber um eine Art Zeitenwende: Dass die Pickelhaube in einem deutschen Medium in Karikaturen oder Fotomontagen als positives Attribut verwendet wird, dürfte neu sein. Die mit ihr verbundenen Konnotationen sprechen nicht gerade dafür, dies fortzuführen.“
Oliver Stenzel rekapituliert in seinem Text die Geschichte des Pickelhauben-Motivs in Karikaturen seit dem 19. Jahrhundert - und kommt unter anderem auf eine 1992 im Guardian erschienene Zeichnung zu sprechen, in der Helmut Kohl „als behelmte Domina dargestellt“ ist.
Um das eben zitierte Stichwort Griechenland aufzugreifen: Einmal werden wir noch wach, dann wissen wir endlich, worüber Stern-Mitarbeiter Arno Luik, der hartnäckigste Interviewer des Planetensystems, sieben Stunden lang mit Yanis Varoufakis geredet hat. Und wir werden es dann natürlich vergleichen müssen mit dem Interview, das morgen im Zeit-Magazin erscheint und aus dem einige Passagen (etwa: „Meine Worte haben die deutsche Öffentlichkeit nie erreicht") schon online stehen.
[+++] Der Haupttext auf der FAZ-Medienseite ist heute dem Prozess gewidmet, dem sich Mohamed Fahmy, Al Dschaziras früherer Bürochef in Kairo, ebendort ausgesetzt sieht. Michael Hanfeld betont, dass es nicht reicht, den Prozess „eine Farce“ (Reporter ohne Grenzen) zu nennen, man müsse auch über Fahmys früheren Arbeitgeber reden. Dabei bezieht er sich auf Texte, die Fahmy im Juni für die New York Times und das Washington Institute verfasste:
„Al Dschazira, schrieb Fahmy (...), habe die Journalisten seines englischsprachigen Programms, dessen Bürochef Fahmy in Kairo war, gegen deren Willen und ohne deren Wissen für Propaganda missbraucht. Die Beiträge, die er und seine Kollegen absetzten, seien nämlich im arabischen Programm von Al Dschazira, Mubasher Misr, falsch übersetzt, in andere Zusammenhänge gesetzt und mit einer die Muslimbrüder unterstützenden propagandistischen Diktion versehen worden.“
[+++] Um eine Auseinandersetzung zwischen der EU-Kommission und Sky Großbritannien geht es im umfangreichsten Artikel der SZ-Medienseite. Stichwort: Geoblocking. Viola Schenz berichtet:
„Die EU-Kommission wirft dem britischen Bezahlsender vor, Verbraucher in Europa unrechtmäßig von seinem Angebot fernzuhalten. Zuschauer außerhalb von Irland und Großbritannien könnten teils weder über Satellit noch über Internet auf zahlungspflichtige Angebote von Sky UK zugreifen. Die Vorwürfe richten sich auch gegen sechs große Hollywood-Filmstudios (...) Es gebe den Verdacht, dass Vertragsklauseln die Ausstrahlung von Sky UK mit Filmen jener Studios außerhalb von Großbritannien und Irland verhindern. Diese Verträge verpflichteten offenbar Sky TV, den Zugang zu jenen Filmen im Pay-TV für Gebiete außerhalb Großbritanniens und Irlands ‚zu blockieren‘ (...) ‚Wir glauben, dass das gegen EU-Wettbewerbsvorschriften verstoßen könnte‘, erklärte Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager vor wenigen Tagen.
Es geht ums Eingemachte:
„Über diese Blockade sichern sich Medienunternehmen territoriale Lizenzen. Denn die Sender handeln die Rechte für Filme, TV-Serien oder Sportübertragungen meist nicht EU-weit aus, sondern für bestimmte Regionen (...) Je öfter sie eine Sendelizenz separat verkaufen, desto besser verdienen sie (...) Die EU-Kommission sieht das Absichern dieser Rechte dagegen als Missstand an: Kunden aus der EU sollen bereits bezahlte Online-Inhalte überall in Europa nutzen können.“
Das Institut für Urheber- und Medienrecht hat sich am Wochenende ebenfalls mit diesem Streit befasst, hier ist auch die Pressemitteilung der Kommission verlinkt.
Andere Neuigkeiten von der EU-Kommission: Sie hat, wie die Medienkorrespondenz berichtet, gerade „ein Verfahren zur Überprüfung der ‚EU-Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste‘ (AVMD) eingeleitet“, unter anderem, um zu ermitteln, „ob die derzeitige Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste in ihrer jetzigen Fassung noch relevant, wirksam und fair ist“. Die Befragung richtet sich an
„nationale Regulierungsbehörden, Fernsehveranstalter, Produzenten, weitere Inhalteanbieter, Telekommunikationsunternehmen, Organisationen der Zivilgesellschaft, Wissenschaft sowie Bürgerinnen und Bürger.“
Für den Fall, dass sich jemand angesprochen fühlt: Bis zum 30. September ist noch Zeit.
Altpapierkorb
+++ Die Profx und taz-Genossx Lann Hornscheidt (siehe u.a. dieses Altpapier) hat bei einer Blattkritik die Sprache „ihrer“ Zeitung kritisiert - und das in einem Interview mit dem taz-Hausblog erläutert: „Eine der größten gesellschaftlichen Veränderungen wäre sicherlich, gelänge es uns hinzuhören, zuzuhören und respektvoll zu agieren, wenn Leute, die diskriminiert sind, anders angesprochen sein wollen und sich selber identifizieren wollen mit Texten, indem sie in diesen Texten vorkommen – durch Binnen-I oder Unterstrich-Formen. Insofern sehe ich das Binnen-I nicht als obsolet oder überholt an, sondern es wäre vielmehr ein immenser Schritt hin zu einer inhaltlichen Veränderung. Das Binnen-I ist keine formelle Veränderung, sondern eine inhaltliche Stellungnahme, die Ausdrucksweisen wandelt.“
+++ „Weil seine Produktionsfirma Lobbyarbeit für seine Frau Anne Gesthuysen geleistet haben soll, steht Frank Plasberg in der Kritik. Die Firma spricht von einem Versehen. Doch Fehltritte wie dieser haben in der TV-Branche System“, kommentiert Michael Kohler für den Kölner Stadt-Anzeiger.
+++ Tetiana Matychak, die Chefredakteurin der ukrainischen Plattform Stopfake, die „fake information about events in Ukraine“ als eben solche entlarven will, sagt im Interview mit der taz, ukrainische Journalisten seien „objektiver“ als russische. Ihre Argumentation: „Die meisten unserer Medien (werden) nicht vom Staat kontrolliert (...) wie in Russland. Ukrainische Journalisten haben weniger Angst, für die Wahrheit bestraft zu werden (...) In der Ukraine gehören nur ein Fernsehsender und zwei Zeitungen dem Staat. Die restlichen Medien gehören Oligarchen. Die haben zwar ihre persönlichen Interessen, wollen ihre Geschäfte schützen, aber sie kooperieren nicht unbedingt mit der Regierung. So gibt es immerhin vielfältige Informationen.“
+++ Thomas Stadler (Internet-Law) setzt sich mit einem im vergangenen Monat ergangenen Urteil des Oberlandesgerichts Köln auseinander, das es der WAZ-Gruppe verbietet, als „nur für den Dienstgebrauch“ klassifizierte Lageberichte zu veröffentlichen, mit denen das Bundesverteidigungsministerium zwischen 2005 und 2012 „ausgewählte Abgeordnete des Deutschen Bundestages, Referate im Bundesministerium der Verteidigung und (...) andere Bundesministerien sowie nachgeordneten Dienststellen“ über den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan informierte. Wer trotzdem einen Einblick in diese sog. Afghanistan-Papiere bekommen möchte: Auf einer Seite der nordrhein-westfälischen Landtagsfraktion der Piratenpartei sind sie zu finden.
+++ „Sein Name sei Altmann“, ein neuer Dokumentarfilm über den NS-Kriegsverbrecher Klaus Barbie, läuft zwar erst im September bei arte, aber nicht zuletzt, weil der Sender eine Vorabversion verschickt hat, ist bereits jetzt zu erfahren, worum es geht: Unter anderem nämlich darum, dass Barbie in seiner Post-NS-Karriere nicht nur als Geheimdienstmitarbeiter wirkte, sondern auch im „bolivianischen Drogenhandel“ mitmischte (Focus Online).
+++ Der englische Fußball-Drittligist Swindon Town „have banned all local press bar the BBC from attending their post-match press conferences“ (mappingmediafreedom.org). Pressekonferenzen fast ohne Presse gibt es dort also.
+++ Bleiben wir erst einmal beim Fußball. Der mexikanische Nationaltrainer Miguel Herrera hat zwar gerade mit seiner Mannschaft den Gold Cup gewonnen, seinen Job ist er aber los: „Grund für die abrupte Trennung ist die Anschuldigung eines mexikanischen TV-Reporters. Der Journalist gibt an, dass ihn der 47 Jahre alte Herrera geschlagen haben soll“ (dpa/faz.net).
+++ „Es riecht wunderbar nach feuchtem Tribünenbeton, leicht angebrannter Bratwurst und staubigen Fotonegativen, wenn man das Magazin Zeitspiel aufschlägt. Das Wort ‚Bundesliga‘ kommt darin nicht vor - allerdings ein Foto von Bayern-Trainer Pep Guardiola, wie er auf einem Auto unterschreibt, das der Fünftligist Borussia Neunkirchen versteigern möchte, um seine Insolvenz abzuwenden“ - süddeutsche.de lobt das neue, neulich auch von mir empfohlene Fußball-Magazin Zeitspiel, das sich auf höherklassigen Amateurfußball und historische Themen spezialisiert hat.
+++ Wenig Erbauliches erfahren wir aus einem Artikel der gedruckten SZ-Medienseite: „‚Sturm der Liebe‘ (ist) einer der wenigen deutschen TV-Exportschlager: In mehr als 20 Länder wurde die deutsche Telenovela verkauft.“
+++ In den Kampf gegen die Klarnamenpflicht bei Facebook zieht der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar (ndr.de), doch „zu befürchten“ hat der Konzern „wenig“, meint der Rechtsanwalt Niko Härting (CRonline).
+++ Google+ ist noch nicht tot, riecht aber schon recht komisch. „Die Frage ist für mich nicht, ob sich Google traut, bei seinem sozialen Netzwerk den Stecker zu ziehen - sondern nur wann“, schreibt der Google+ sehr zugeneigte Dennis Horn im Digitalistan-Blog von wdr.de.
+++ Nora Jakob (kress.de) hat mit (Chef)Redakteuren von Regionalzeitungen gesprochen, die sich nicht auf die Knebelverträge einlassen wollen, mit denen die Managements von Musikern das Fotografieren bei Konzerten zu reglementieren versuchen.
+++ Unschönes, wenn auch wenig Überraschendes aus Essen: „Im Zuge der Auflösung des Essener Content Desks lässt die Funke Mediengruppe einige Mitarbeiter im Regen stehen. Entnervt haben die Betriebsräte von WAZ, NRZ, WP und Redaktions-Services nach neun Gesprächsrunden die Sozialplanverhandlungen endgültig für gescheitert erklärt“ (medienmoral-nrw.de).
+++ Dass 2014 bei US-amerikanischen Zeitungen 3.800 Vollzeit-Redakteursstellen gestrichen worden, berichtet Poynter.
+++ Und den Journalistenfragebogen der Prinzessinnenreporter hat nun Titanic-Kolumnist Stefan Gärtner beantwortet.
Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.