Vermutlich sind Menschen schon immer mal in Situationen geraten, in denen sie nach bestem Wissen und Gewissen machten, was sie immer machen, die sich aber, als die Situationen dann abgeschlossen waren, als so kurios darstellten, dass sich unbeteiligten Menschen gar nicht mehr vermitteln ließ, was genau warum genau geschehen war. Wobei das am Ende oft auch allen, erst recht den Unbeteiligten, gleichgültig sein konnte.
Neu in unserer Gegenwart ist nur, dass viele Menschen immerzu viele ihrer Schritte so dokumentieren, dass sie auch hinterher (wenn sie allerspätestens gleichgültig sind) abrufbar bleiben und in den voranschreitenden Ablauf integriert werden müssen. Ungefähr so etwas ist der Speerspitze der Echtzeit-Aggregation von Medienmedien-Inhalten, turi2.de also, gestern passiert. Deshalb enthält dieses Internet für eventuelles Interesse nachfolgender Generationen nun den kursiven Absatz
"Update, 16.18 Uhr: Folgende, (vor)eilig geschriebene Einschätzung zum Kauf der 'Financial Times', ist nunmehr hinfällig. Als Dokument unseres journalistischen Scheiterns lassen wir die Fehleinschätzung trotzdem an dieser Stelle stehen - als abschreckendes Beispiel. PT"
Die drei Tweets
"Mea culpa, mea maxima culpa. PT"
"Journalismus ist Geschichtsschreibung mit dem Sekundenzeiger. Heute lief die Uhr gegen uns."
vermitteln einen Hauch Ahnung vom gewaltigen Drama, das sich in Peter Turi wahrscheinlich abspielte, und vom ehrfurchteinflößenden Bild, das er von sich selbst haben muss.
Was für alle übrigen Menschen halbwegs wichtig ist: Die britische Zeitung Financial Times wurde von ihrem Besitzer, dem Medienkonzern Pearson (noch auf Platz 26 der Medienkonzern-Charts von mediadb.eu), verkauft, und zwar an keinen der üblichen Verdächtigen (siehe ebenfalls mediadb.eu), sondern an die japanische Nikkei-Mediengruppe, die ebenfalls eine Wirtschaftszeitung herausbringt (Spiegel Online).
Im Lauf des gestrigen Tages war dasselbe Spiegel Online in Gestalt der Redakteurin Isabell Hülsen, die einst bei der sehr ehemaligen Financial Times Deutschland gearbeitet hatte, mit der Meldung "Axel Springer Verlag greift nach 'Financial Times'" (bzw. "kauft" heißt es in der URL sogar) vorangeprescht, was dann zu den Verwerfungen anderswo in der, sagt man: Wertschöpfungskette? bei turi2.de jedenfalls führte.
Alles, was deutsche Medienbeobachter wissen wollen könnten, hat ein vierköpfiges Autorenteam der Süddeutschen unter der Print-Überschrift "Der Lachs ist verkauft", aber auch bereits gestern abend frei online aufgeschrieben ("Es muss für die FT-Leute in London ein reichlich verrückter Tag gewesen sein.").
Dass aber auch Isabell Hülsen natürlich ihre Gründe hatte, schreiben auch die Briten selbst. "Initially, the German media group Axel Springer, the owner of the Bild tabloid, had been seen as the most likely acquirer", berichtet der über alle Zweifel erhabene Guardian. Die Financial Times selbst berichte, dass Springer "wenige Minuten vor Verkündigung des Deals" von Nikkei "überrumpelt worden" sei, wie turi2.de schon wieder gut gelaunt wie eh und je plaudert. Zugleich verbreitet es ein Twitter-Foto der lachsfarbenen heutigen FT-Titelseite. Um genau zu lesen, was die FT in sehr eigener Sache berichtet, müsste man bezahlen. Genau das, "70 Prozent der Zeitungsabos sind inzwischen digital, die Onlineplattform der 'FT' ist kostenpflichtig" (Standard), macht neben dem "legendär hedonistischen Heft 'How to spend it' (Wie man's ausgibt), das voll ist mit Anzeigen von Luxusartikelherstellern" (SZ) natürlich, das Blatt so attraktiv.
[+++] "Gottschalk-Gesetz" heißt die attraktive Überschrift über einer kleinen Meldung auf der SZ-Medienseite. Am ausführlichsten ist die DPA-Meldung bei horizont.net aufbereitet. Demzufolge arbeitet Nordrhein-Westfalens Medienministerium (also das "für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien") an einem Gesetzesentwurf, um das WDR-Gesetz "nach[zu]bessern".
Was verbessert werden soll, sind die Kontrollmöglichkeiten des Rundfunkrats. Anlass ist eine Anfrage, die der Landtags-Abgeordnete Daniel Schwerd unter der Überschrift "WDR und die Gottschalk-Gage: Geld für den Orkus" im Juni stellte. Deren Anlass wiederum war die auch im Altpapier (z.B. diesem) gut dokumentierte Aufregung um die üppigen Thomas-Gottschalk-Honorare und -Ausfallhonorare, die der WDR ausgezahlt hatte, aber aus seinem Werbeeinnahmen-Topf, weshalb die WDR-Gremiengremlins nach bestem Wissen und Gewissen gar nichts davon ahnen konnten, weil das aktuelle WDR-Gesetz das so vorsieht.
Wenn es zu so einer Gesetzesänderung käme, hätte die Dokumentarfilmer-Arbeitsgemeinschaft AG Dok, die die bis dahin geheimen Gottschalk-Verträgen aus dem Jahre 2011 im Mai öffentlich machte, über die Piratenpartei, der Schwerd angehört (und die in NRW noch intakt ist), bemerkenswert schnell bemerkenswert viel erreicht im nicht unverkrusteten Mediensystem.
[+++] "Es mit den grundsätzlichen Regelungen des aktuellen Systems der Rundfunkfinanzierung bei Argumentationen nicht allzu genau zu nehmen ist indes in Mode. (Dies gilt selbst auf Seiten der Anstalten; man betrachte nur die Äußerungen von WDR-Intendant Tom Buhrow hinsichtlich der Honorarzahlungen an Thomas Gottschalk.)"
Dieser kleine Hinweis aufs Gottschalk-Gesetz versteckt sich in einem langen Artikel aus der Medienkorrespondenz. Verfasst hat es mit Thomas Wierny ein Referent in der NRW-Staatskanzlei und Medienjurist.
Wer denkt, Wierny kritisiere den WDR nun grundsätzlich, kennt NRW nicht. Vor allem ist sein Text ein Gegen-Gutachten gegen das Gutachten namens "Eine liberale Rundfunkordnung für die Zukunft", das "unter Führung des Düsseldorfer Ökonomen Justus Haucap" angefertigt wurde und kräftig gegen öffentlich-rechtlichen Rundfunk poltert. Es wurde nach eigenen Angaben "im Auftrag von Prometheus - Das Freiheitsinstitut gGmbH" erstellt, wobei es sich nach Wiernys Angaben um einen "vom früheren Bundestagsmitglied Frank Schäffler (FDP) gegründeten, sich als parteipolitisch unabhängig verstehenden Think-Tank" handelt. Haucap wiederum ist in Medien-Zusammenhängen v.a. als Leistungsschutzrecht-Gegner bekannt (siehe etwa netzpolitik.org aus dem März). Sein Rundfunks-Gutachten nimmt Wierny nun mit Argumenten wie einer "für einen wissenschaftlichen Think-Tank defizitären Objektivität" auseinander, die schon bei der Terminologie beginne. Dass Haucaps Gutachten im Netz unter der URL zwangsbeitrag.info zu haben ist, lässt schon ahnen, was er meint.
Es umfasst 51 Seiten, Wiernys Gegenrede, die den Vorzug besitzt, den Öffentlich-Rechtlichen in ihrer aktuellen Form auch ein bisschen kritisch zu begegnen ("Auch sollte versucht werden, die Tendenz zur Expansion - die aus der Rundfunkfreiheit mit der weiten Befugnis zur Letztkonkretisierung des Programmauftrags auf Anstaltsseite und aus dem sehr offenen Begriff der Konkurrenzfähigkeit, flankiert von einer Finanzierungsgarantie, resultiert - legislativ eingrenzen, soweit dies verfassungsrechtlich möglich ist") immerhin acht Seiten. Für Lesestoff jenseits von 140-Zeichen-Äußerungen wäre also gesorgt.
(Und wenn Sie gerade lange Texte über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk lesen mögen, verdiente auch Helge Rossen-Stadtfelds Siebenseiter "zur Betätigung von ARD und ZDF im Internet" aus einer jüngeren epd Medien-Ausgabe, der nun frei online steht, Interesse).
+++ Zurück in die Near-by-Echtzeit: Gestern abend im ZDF lief die Talkshow in der Talkshowsommerpause, "Donnerstalk". Eine überambitionierte Markus-Lanz-Show mit Dunja Hayali und Einspielern sowie prominenten Gästen wie Sascha Lobo, Monica Lierhaus und ihrem Hund, würde ich sagen (der aber noch nicht drüber schrieb). "Entwicklungsfähig. Nur hätte sich Frau Hayali entscheiden sollen, was sie will", sagt Altpapier-Kollege Frank Lübberding bei faz.net. +++ Daland Segler deckt in der elektronischen Dumont-Presse (ksta.de) "über den peinlichen Titel", der sich Donners-Talk, nicht etwa Donner-Stalk spricht, den "Mantel des Schweigens" und findet "die Vorgabe ..., in einer halben Stunde drei Geschichten, drei Schicksale zu präsentieren", "ungeschickt". Er sah aber auch "starke Momente". +++ Am genauesten den Ablauf schildert, mit ähnlicher Tendenz und besonderer Berücksichtigung Lierhaus', Thomas Schmoll auf welt.de. "Morgenmagazin am Abend" titelt Arno Frank bei SPON. +++
+++ Man würde gerne wissen, was Michael Hanfeld zum Gottschalk-Gesetz sagt, aber der FAZ-Mann mit dem Gespür für Dramaturgie hält auf seiner Medienseite heute das große Versöhnungs-Interview mit "Bernd, das Pörk" Pörksen (siehe Altpapier vom Mittwoch, FAZ ). "Was ist das Gute an einem Shitstorm?", lautet die Eingangsfrage. Vielleicht eine der entscheidenden Pörksen-Aussagen, enorm dialektisch: "Für mich hat Empörung stets ein Doppelgesicht, sie ist Instrument der Aufklärung und der Gegenaufklärung, der positiven Enthüllung und der inhumanen Attacke. Es kommt ganz auf den konkreten Fall an - reden wir über einen echten Skandal, einen wirklichen Missstand oder über ein banales Spektakel, das keine gesellschaftliche Relevanz besitzt? Aber unabhängig davon gehört zum Wesen der plötzlich aufschäumenden Empörung der Negativismus des reinen Protests. Dieser Protest ist nur eine allerdings manchmal entscheidende Stufe von Veränderung." Am Ende fragt Hanfeld: "Könnte es sein, dass Sie gerade auch persönlich Erfahrung mit dem Thema Shitstorm machen?", und Pörksen entgegnet: "Nun, es gab Ihren ziemlich kritischen Artikel, es folgten ein paar wütende Kommentare, jedoch kein Shitstorm. Aber bedenken Sie: Das ist für die zarte Professorenseele natürlich schon zu viel. Ich saß gerade im Kino, als mir Freunde per SMS kleine Beileidstelegramme schickten." Das ist durchaus rührend, schon weil Pörksen redet, wie Hanfeld schreibt. Inzwischen steht's bereits frei online. +++
+++ "Der Rassismus der Muslimversteher" heißt die Überschrift über dem SZ-Feuilleton-Beitrag zum nun auf deutsch erscheinenden Buch des ermorderten Charlie Hebdo-Chefredakteurs Charb. "Sein Text, so Charb im Vorwort, richte sich an alle, die glauben, 'Muslime verstehen keine Ironie, wer von Muslimen abstamme, könne nur Muslim sein, und die Karikatur eines Dschihadisten, die zum Lachen reizt, sei eine Beleidigung des Islam'. Er richtet sich explizit an Politiker wie Jean-Marc Ayrault und Laurent Fabius, zwei Sozialisten, die das Magazin nach dem Brandanschlag 2011 als „verantwortungslos“ bezeichnet hatten und ihnen damit eine Mitschuld am Attentat gegeben hatten. Und er richtet sich post mortem auch an all jene PEN-Schriftsteller, die der Charlie-Hebdo-Redaktion im Mai Islamfeindlichkeit und fehlende Toleranz vorgeworfen haben. Kurzum: Er richtet sich nicht gegen die Fundamentalisten, sondern gegen all jene Franzosen, die sie für ihre Karikaturen mit dem Argument kritisieren, sie seien islamophob." +++
+++ Das Drama um Hannelore Kohls Film-Biografie! geht weiter. Und zwar mit Widerrede Nico Hofmanns zur Kritik der Kohl-Söhne. Hannelore Kohl "werde im Drehbuch 'als autonomer Charakter gezeichnet, der eigenständig und stark agiert und deren Wirken und Wirkung' auf den früheren Bundeskanzler Helmut Kohl 'vor allem im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung deutlich wird'", zitiert die FAZ. Siehe auch dwdl.de, Tagesspiegel. +++
+++ Am ausführlichsten über das Vorgehen der EU-Kommission gegen Sky und sechs Hollywood-Studios wegen Geoblocking informiert heise.de. +++ Der deutsche Sky-Ableger ist nun übrigens überhaupt nicht mehr eigenständig, sondern eine Tochter des britischen Sky (digitalfernsehen.de). +++
+++ "Wann darf man die Polizei filmen?" Diese Frage klärt Marvin Oppong in seinem get.torial.com-Blog anhand eigener Erfahrungen im Kölner Hauptbahnhof sowie Aussagen vieler Juristen. +++
+++ Die SZ-Medienseite guckt auf die Tour der France-Einschaltquoten, die nicht so gut seien wie früher. +++ Und macht Werbung für die Youtube-Angebote der Agenturen Associated Press und British Movietone ("Es ist, als würde man die Geschichte noch einmal hautnah erleben. ... Diese Archive sind Einladungen zu fantastischen Zeitreisen.") +++
+++ Die FAZ-Medienseite informiert, dass es "dem Netzwerk Facebook ... nicht zu[steht], Ermittlungsbehörden die Daten seiner Nutzer zu verweigern". Das bezieht sich natürlich auf US-amerikanische Behörden. +++ Und Michael Hanfeld ärgert sich über Andeutungen des ZDF, "dass es weniger Berichterstattung über die Paralympics geben werde", weil der Sender ja keine Olympia-Rechte mehr besitzt. +++
+++ In der neuen epd medien-Ausgabe stellt Konrad Ege den Discovery-Konzern, der diese Rechte nun besitzt, anhand seines sonstigen Programms vor: "Die Geschichten in den Discovery-Serien sind grundsätzlich dramatisch, gewöhnlich im Superlativ. Der Mensch überwindet Widrigkeiten, sei es bei der Suche nach den Meeresungetümen oder beim 'Überlebenskampf' fernab der Zivilisation in Alaska: Raubtiere drohen; die Kälte ist nicht nur kalt, sie ist extrem; die Wege sind riskant. Und ein Doppelmord schockiert ..." +++
+++ Ein "fast epischer Twitterdialog" unter Beteiligung von Günther Oettingers Social Media-Manager hat es netzpolitik.org angetan.
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+++ In den kleinen Berliner Mediensumpf, in dem der Fehler, der zur jüngsten Verzögerungsschleife bei der Besetzung des Medienwächter-Postens führte, "bisher ... nicht näher benannt wurde", in dem aber auch eine Klagedrohung eines "der zwei Kandidaten, die vom Medienrat am 29. Mai nicht mehr für das Direktorenamt in Betracht gezogen wurden", kursierte, blickt die Medienkorrespondenz. +++
+++ Und konstruktive Nachrichten von wachsenden Zeitschriften hat meedia.de zusammengestellt. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.