Die alte Leier vom Kulturkampf

Die alte Leier vom Kulturkampf
Wie kann es sein, dass die FAZ nicht weiß, ob sie 1951 ausnahmsweise mal einen Chefredakteur hatte? Brauchen wir einen europäischen Medienfonds? Ist das „Mutcamp“ im Kinderkanal rassistisch? Außerdem: Zu wenig Aufregung um einen Schweizer Artikelabschreiber.

Die Shitstorm-Kritik-Kritik-Kritik ist noch relativ neu, und deshalb steigen wir heute mit Michael Hanfeld ein, der auf der FAZ-Medienseite in diesem Genre performt. Zum Hintergrund: Am Freitag erschien die Medienseite der FAZ als Shitstorm-Kritik-Special (siehe Altpapier), unter anderem ließen die Frankfurter den Schwerdenker Dieter Nuhr in die Tasten hauen. By the way: Es dürfte Zeiten gegeben haben, in denen FAZ-Redakteure mit Selbstentleibung gedroht hätten für den Fall, dass Nuhr in ihrem Blatt publizieren darf. Wie auch immer: Nun hat Bernhard Pörksen, Deutschlands bestfrisierter Medienwissenschaftler, in einem von meedia.de publizierten dpa-Interview die Shitstormkritiker kritisiert („Dieter Nuhr warnt davor, dass wir uns mit den Shitstorms auf dem Weg zurück ins Mittelalter befänden. Wie sehen Sie das?“ - „Ich halte die pauschale Shitstorm-Kritik der letzten Tage für falsch“)

Und von dem, was Bernd, das Pörk, wie wir Scherzkekse den Professor in Anlehnung an eine Kinderkanal-Figur manchmal nennen, da so erzählt, hält wiederum Hanfeld gar nix:

„Der Begriff ‚Shitstorm‘, meint Pörksen, diene der ‚pauschalen Diffamierung der Netzszene‘. In ‚einem kollektiven Empörungssturm‘ könnten sich ‚große gesellschaftliche Fragen zeigen‘ (...) Pörksen (...) biegt mit der alten Leier vom Kulturkampf um die Ecke – dem Kulturkampf zwischen den ‚klassischen Leitmedien‘ und den ‚vernetzten vielen, die im Netz protestieren‘, und sieht den Wandel von der ‚Mediendemokratie‘ hin zur ‚Empörungsdemokratie‘ gekommen. Ob Pörksens Profession dann auch im Wandel begriffen ist von der ‚Medien‘- zur ‚Empörungswissenschaft?‘“

Der Tonfall lässt die Vermutung zu, dass Pörksen Hanfeld schon öfter auf die Nüsse gegangen ist. Handfester als der Tübinger Medienwissenschaftler hat Hakan Tanriverdi die Shitstorm-Kritiker kritisiert, und zwar in der Juli/August-Ausgabe von Wired, die in der vergangenen Woche erschienen ist:

„Das Lieblingswort der Medien für Debatten im Internet hilft allen, die eigentlich gar keine Debatte wollen (...) Das wahllose Zusammenmixen aller Kritik unter dem Schlagwort Shitstorm erlaubt es, sich inhaltlich nicht weiter damit auseinanderzusetzen (...) Das Wort wird also auch taktisch eingesetzt: Kaum ist es geschrieben, kann man plötzlich alles Diskussionspunkte ignorieren.“ 

[+++] Die Überleitung „Dem Kinderkanal und dem MDR droht möglicherweise ein Shitstorm ...“ wäre im Sinne Tanriverdis also falsch. Es geht um die in Südafrika gedrehte MDR-Produktion „Mutcamp“, dessen dritte Staffel („Das Mutcamp 3.0“) im August im Kinderkanal startet. Das Migazin kritisiert nun rassistische Darstellungen in dieser Sendung:

„Schon in der Wahl des Drehorts wird klar, dass definitiv keine verantwortungsvolle Auseinandersetzung mit historischen Gegebenheiten stattgefunden hat: Südafrika als Spielfeld der Konfrontation von Kindern mit ihren schlimmsten Alpträumen. Es liegt nahe, dass hier eine Korrelation zwischen dem Titel ‚Mutcamp‘ und der Ortswahl zu ziehen ist, die vermittelt, dass es ‚mutig‘ ist, nach Südafrika zu reisen (...) Die durchweg weißen Jugendlichen müssen (...) im als ‚zurückgeblieben‘ dargestellten Afrika (es werden hauptsächlich Townships gezeigt, nie aber Städte wie Kapstadt) durch ‚Challenges‘ ihre Ängste bewältigen. Durch die ausschließliche Verwendung der Worte ‚Afrika‘ und ‚Südafrika‘ als Ortsangabe, bekommt man dabei schnell das Gefühl, dass weder Betreuende, noch Jugendliche oder die Verantwortlichen hinter der Kamera zwischen Kontinent, Land und Dorf unterscheiden können. Fortlaufend findet eine negative und stereotype Zeichnung Südafrikas sowie der dort lebenden Menschen statt. So spielt beispielsweise eine Szene in einem örtlichen Supermarkt, wo gleich zu Anfang die Sprache der Mitarbeiterin als ‚seltsam‘ und unverständlich für die Jugendlichen (die selbst viel weniger Sprachkenntnisse besitzen), dargestellt wird.“

Des weiteren kritisieren die vier Autoren, „weiße Studierende“ aus Berlin, die sich „im Rahmen eines Seminars mit kolonialen Kontinuitäten“ beschäftigt haben, die Art, wie in der Serie Essenszubereitung dargestellt wird:

„Die Teilnehmer ekeln sich vor den Nahrungsmitteln und äußern sich offen abwertend gegenüber den als ‚typisch‘ und ‚exotisch‘ dargestellten Essgewohnheiten. Es wird weder erklärt, um welche Speise es sich handelt, noch wie normal diese für viele Menschen sind, denn darum geht es nicht. Wichtiger scheint es, das Bild des ‚ungewöhnlichen‘, ‚abstoßenden‘ Lebens der Südafrikaner (wobei wiederum allgemein nur vom ‚Afrikaner‘ gesprochen wird), aufrecht zu erhalten. Angefeuert von dramatischer Musik, Zoom-in mit hinterlegtem Graufilter und bewusst selektiver Kameraführung müssen die Gastgeber dabei eine passive Rolle spielen, ohne die geringste Chance auf Stellungnahme oder eine eigene Aussage hinsichtlich der Geschehnisse zu bekommen.“

[+++] Ein in der amerikanischen Medienberichterstattung momentan viel aufgegriffenes Thema: die Folgen einer „kontroversen Sex-Enthüllungsstory“ (meedia.de), die das Klatschportal Gawker Ende der vergangenen Woche publizierte, auf Betreiben des Gründers Nick Denton dann aber wieder löschte. Grund: Der Protagonist der Schmuddelgeschichte ist ein Manager des Konzerns Condé Nast, der wiederum ein wichtiger Anzeigenkunde ist.

„Wenn der Beitrag online geblieben wäre, hätten wir diese Woche Anzeigeneinbußen in siebenstelliger Höhe hinnehmen müssen”,  

sagte Denton laut meedia.de. Auf den Eingriff des Managements in die redaktionelle Freiheit - obwohl das in diesem Fall vielleicht unangemessen klingen mag, wir reden, wie gesagt, über eine Schmuddelgeschichte - reagierten nun der „Executive Editor“ Tommy Craggs und der Chefredakteur Max Read, in dem sie von ihren Posten zurücktraten. Ausführliche Begründung direkt bei Gawker. Außerdem befassen sich mit der Sache unter anderem Fortune, Vox und The New Republic.

[+++] Dass die FAZ Großbritanniens konservativen Kulturminister John Whittingdale mag, der die BBC „reformieren“ will, verwundert nicht so sehr. Dem „wohlgepolsterten, kinnlosen Minister mittleren Alters“ ist heute der Haupttext der heutigen Medienseite gewidmet. 

„Jeder sagt: Der Mann kennt sich aus“,

steht im Vorspann. Stewart Lee sagt das nicht. Am Wochenende hat sich der englische Comedian für den Guardian mit den acht „Experten“ befasst, die Whittingdale in ein Gremium berufen hat, das die Reformen ausbaldowern soll. Unter anderem widmet sich Lee einer gewissen Dawn Airey:

„(She) is the former head of Channel 5, the launch of which in 1997 marked a colourful new chapter in British broadcasting. Some might say that asking a former head of Channel 5 to decide the future of the BBC is a bit like asking someone who draws ejaculating penises on the inside of public toilet cubicle doors to curate the National Gallery, but she is sure to bring an interesting perspective to the negotiating table.“

Klingt plausibel, obwohl ich keine Vorstellung davon habe, was Channel 5 war oder ist. Mehr BBCeskes gibt es i.Ü. bei dwdl.de, und zwar in Form eines Interviews mit Richard Porter, dem Verantwortlichen von BBC World News.

[+++] Nicht auf der Medienseite der FAZ, sondern ein bisschen weiter vorn, nämlich auf der Buchseite, ist die Geschichte der eigenen Zeitung ein Thema. Peter Hoeres bespricht dort Astrid von Pufendorfs „Mut zur Utopie: Otto Klepper - Ein Mensch zwischen den Zeiten.“ Klepper war in seiner Eigenschaft als Mitgründer der Wirtschaftspolitischen Gesellschaft (Wipog) von 1947 auch Mitgründer der FAZ; die Wipog war deren Mehrheitsgesellschafter bis 1951: Dann, schreibt Hoeres, konnte Klepper 

„seinen gewünschten Chefredakteur nicht durchsetzen. Stattdessen erhielt die FAZ aber offenbar tatsächlich zeitweilig mit Erich Welter einen Chefredakteur, wie lange, bleibt unklar, und richtig belegen kann Astrid von Pufendorf das Ganze nicht“. 

Ein bisschen drollig ist es ja schon, dass offenbar selbst die FAZ - deren Alleinstellungsmerkmal es ist, dass nicht ein Chefredakteur an der Spitze steht, sondern ein Herausgeber-Gremium - nicht weiß, ob sie 1951 ausnahmsweise doch mal einen Chefredakteur hatte. Hoeren schreibt weiter:

„Ebenso schenkt (von Pufendorf) den Modalitäten der Trennung der FAZ von der Wipog wenig Aufmerksamkeit. Die Erforschung der Frühgeschichte wie der Geschichte der FAZ insgesamt steht eben erst am Anfang.“ 

Das mag so sein. Aber zu dieser Erforschung hat die FAZ selbst m.W. auch nicht sonderlich viel beigetragen.


Altpapierkorb

+++ Warum sich so viele Journalisten „willig als Herolde des Netflix-Imperiums gebärden“ - das könnte eigentlich auch mal in einer Bachelor-Arbeit o.ä. auseinanderklamüsert werden. Harald Keller, fleißiger Kritiker der Netflix-Fanboys und -Fangirls, hat in seinem Untergeschoss-Blog ein aktuelles Beispiel ihres Wirkens aufgegriffen.

+++ Dass Medienjournalisten nachsichtig umgehen mit dem Multi-Plagiator Urs Gehriger (Weltwoche, siehe Korb dieses Altpapiers), kritisiert Ronnie Grob (Medienwoche): „Als Mitglied der Weltwoche-Redaktion wird (...) Gehriger gut dafür bezahlt, eigene Inhalte zu erstellen. Für jede Story, die über eine Kurzmeldung hinausgeht, wird ihm eine Woche oder mehr Zeit zur Verfügung gestellt – er wird definitiv nicht dafür bezahlt, aus anderen Publikationen abzuschreiben. Er ist auch kein freier Journalist, welcher aufgrund lausiger Honorare sehr viele Artikel schreiben muss, um zu überleben und deshalb öfters in Versuchung gerät, sich die eigene Arbeit durch Kopieren von fremder Arbeit zu erleichtern.“

+++ Andre Wilkens und Markus Rhomberg (Tagesspiegel) meinen: „Die Europäische Kommission (sollte) einen Europäischen Medienfond gründen, der - vielleicht ganz ähnlich wie die Google Digital News Initiative -, neue Ideen fördert, die europäische Medien fit machen für das 21. Jahrhundert, aber auch mit dem expliziten Ziel eine europäische Öffentlichkeit als Teil einer europäischen Demokratie zu schaffen. Der Medienfond soll innovative und zukunftsfähige Medienprojekte in Europa finanzieren, die die vielfältigen Chancen und Herausforderungen der digitalen Revolution für die Medien gestalten.“ Altpapier-Leser mit Elefantengedächtnis werden sich daran erinnern, dass Rhomberg als Autor längerer Debattenbeiträge für die SZ und epd medien schon für eine Fördereinrichtung plädierte, in beiden letzteren Fällen indes für eine nationale Medienstiftung (hier und hier).

+++ Mehr Europäisches: In der SZ von heute berichtet Daniel Brössler von Überlegungen von Politikern, dem Einfluss des russischen Staatsfernsehens auf Zuschauer in anderen osteuropäischen Staaten entgegenzuwirken: „Polen und die Niederlande (wollen) innerhalb der EU eine Initiative starten, die russischer Propaganda etwas entgegensetzt.“ Wie so ein Kanal aussehen soll, ist allerdings noch umstritten: Die Autoren einer „von der niederländischen Regierung finanzierten nicht-öffentlichen Machbarkeitsstudie der Europäischen Stiftung für Demokratie in Brüssel, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt“, hielten zum Beispiel nichts von einem paneuropäischen „Gegenprogramm zu Russia Today“, schreibt Brössler.

+++ Des weiteren stellt die SZ das Lesbenmagazin „Straight“ vor. Der Tagesspiegel tut es auch.

+++ Dass der Discovery-Konzern die TV-Übertragungsrechte für die Olympischen Spiele von 2018 bis 2024 erhalten hat (siehe Altpapier), „wühlt auch den Behindertensport auf“, weiß das FAZ-Sportressort. „Ist etwa die TV-Präsenz der Paralympics in Gefahr?“  

+++ Nicht beschweren über mangelnde Berücksichtigung in diesem Altpapier kann sich die FAZ, denn hiermit sei auch noch vermerkt, dass Ursula Scheers Interview mit Laura Poitras aus der Samstagsausgabe nun frei online steht.

+++ Delayed Gratification hat Auszüge aus einem ausführlichen Artikel über Joachim Roncin, den Mann, der den Slogan „Je suis Charlie“ erfand, online gestellt.

+++ Unter anderem Der Standard und ABC News berichten, dass drei spanische Journalisten in Syrien verschwunden sind.

+++ Em Jay Eumann, Medienstaatssekretär in NRW und einer der großen Fadenzieher der sozialdemokratischen Medienpolitik, bekommt von der Medienkorrespondenz einen kleinen Tritt verpasst: Dass Rot-Grün durch die bevorstehende „große Novelle des WDR-Gesetzes die Hörfunkwerbung bei der Sendeanstalt reduzieren wird, ist inzwischen nicht mehr realistisch“ - obwohl es sich bei dieser Reduzierung um ein „Regierungsziel“ handle. Nun „wirbt NRW im Kreis der Länder weiter mit Nachdruck für die Reduzierung der Werbung“, wie der von der MK befragte Eumann sagt, reduziert selbst aber die Werbung nicht, „um innerhalb der ARD das Gleichgewicht der Finanzierung nicht zu gefährden“. Sozialdemokratische Politik halt. 

+++ Was zu den Stärken des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gehört (kann man ja auch mal erwähnen): Dokumentationen und Reportagen zum Thema Flüchtlinge. Einer der vielen guten Filme des vergangenen Jahres - die am 6. Oktober 2014 erstmals ausgestrahlte ARD/SWR-Doku „Tod vor Lampedusa. Europas Sündenfall" -  ist nun mit dem Katholischen Medienpreis 2015 in der Kategorie „Elektronische Medien" ausgezeichnet worden (SWR-Pressemitteilung, katholisch.de).

+++ Verstorben ist im Alter von 54 Jahren auf Panama Andreas Schmidt„einer der schillerndsten deutschen Medien-Business-Punks der Jahrtausendwende“ (Altpapier, November 2013). Dies berichtet Media Tribune. Schmidt war u.v.a. Chefredakteur von TV Movie, Gründer von TV Today und Chef von AOL Europe.

Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.

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