"Die Duldsamkeit der Bundesregierung ist kaum noch zu ertragen. Man kann sie nicht als Ausdruck besonnener Realpolitik verteidigen. Denn es geht auch um die Selbstachtung des Rechtsstaats. Ami, go home!",
ruft Tanjev Schultz im SZ-Leitartikel über die Spähaktivitäten durch die vermeintlich befreundete Supermacht sowie die "bleierne Gelassenheit" (siehe Altpapier gestern) der deutschen Bundesregierung aus, während die Celebrities unter den Spiegel-Kolumnisten unisono flammend vor "Neo-Nationalismus" warnen, jeweils auf ihre individuelle Art natürlich: Sascha Lobo ziselierender, Jakob Augstein eher mit dem Holzhammer des Spiegel-Chefredakteurs oder wenigstens Talkshow-Gastgebers, der er gern wäre.
Es geht also immer heißer zu, und der Journalismus geht mit. Um für besseren Überblick mal rasch elf oder zwölf Schritte zurück zu treten:
"In der aktuellen geostrategischen Debatte ist ... eine Art Beziehungsquadrat entstanden, mit 'Meinungsfreiheit' und 'Sicherheit' auf der einen, der Ökonomie gesellschaftlicher Aufklärung (Journalismus, Bildung) und dem Komplex aus Sigint, Daten- und Wissenskonzernen bzw. militärisch-geopolitischen Ambitionen auf der anderen Seite",
lautet einer der Schlüsselsätze in einem großen, gerade frei online erschienene "Medienevolutions"-Essay Lutz Hachmeisters. Die Anschlussfrage könnte sein, ob dieses Quadrat wächst, weil seine Seiten sich von einander weg bewegen. Ganz leicht zu lesen ist der medienkorrespondenz.de-Text nicht, schon weil eigentlich jeder Satz ein Schlüsselsatz ist. Das am besten auskoppelbare tl;dr lautet:
"Der Journalismus, inzwischen ein ökonomisch harmloser Unterfall der Daten- und Wissenskonzerne ...",
[+++] Als hätte die ARD-Filmfirma Degeto im Voraus geahnt, wieviele Augen (und Ohren) der Welt sich in diesem Sommer wieder auf Angela Merkel richten und spitzen, hat sie für den heutigen Freitagabend eine besondere Ambitions-Schmonzette vorbereitet: Iris Berben ist die Bundeskanzlerin im Fernsehfilm "Die Eisläuferin", in dem laut Tagesspiegel-Zusammenfassung tatsächlich ebenfalls der Euro und damit Europa zu scheitern drohen.
"Es pilchert heftig", schreibt Joachim Huber, dem allerdings entgangen zu sein scheint, dass es sich um eine Romanverfilmung handelt. Er schiebt die Prämisse (Kanzlerin erleidet Gedächtnisverlust für alles seit 1989, weil ihr ein Schild auf den Kopf fiel) dem Drehbuchautor Martin Rauhaus in die Schuhe. "Der Film ist drollig, das schon", vor allem aber sei sein Rezept "ebenso bedenklich populistisch, wie es dramaturgisch gähnend langweilig ist", machte bereits gestern Matthias Hannemann in der FAZ gespannt.
"erstaunlich und überraschend merkelhaft mit der Kanzlerin-Perücke von Udo Walz. Ohne hochgezogene Schultern, in königlich aufrechter Iris-Berben-Haltung, mit Hosenanzügen, die weitaus teurer und eleganter aussehen als die der Kanzlerin".
Und freut sich insiderisch auch am Szenenbild ("Das Innere des Kanzleramts wurde offensichtlich im Krematorium Nord gedreht, dessen Interieur mit seinem Schleuderbeton und den porschetürkisen Türen und Armaturen ja tatsächlich wie das Innere des Kanzleramts aussieht, weil Architekt Axel Schultes zweimal mit den gleichen Förmchen gebaut hat"). Hier nebenan ist Tilmann P. Gangloff, was er wirklich nicht oft ist: nicht begeistert.
Achten Sie, wenn Sie dennoch reinschalten möchten, auf den Fernbedienungs-Knopf. "Die Eisläuferin" läuft, gewiss auch des gesamteuropäischen Interesses wegen, bei Arte. Es ist aber dennoch eine Degeto-Produktion, in der bloß zusätzlich noch Arte-Geld steckt (also Geld, das die ARD erst mal in den sog. Arte-Topf getan hat, um es dann wieder herauszunehmen). Es wäre natürlich unsachlich, gleich wieder zu betonen, dass Degeto-Chefin Christine Strobl Wolfgang Schäubles Tochter ist, auch wenn der aktuelle kress.de-Bericht über Strobls vorbildliche Führung ihres Haushalts im dreistelligen Millionenbereich es nahelegen könnte. Noch unsachlicher wäre, noch mal darauf hinzuweisen, dass Strobl ihren Nachnamen als Ehefrau eines aus Griechenland-Talkshows inzwischen überregional bekannten Politikers trägt ...
Dagegen reichen wir gerne nach, dass dieselbe Degeto ab August immerhin beinahe die offizielle Pro Quote-Frauenquote einführen will, und nicht 30, aber doch mindestens 20 Prozent ihrer Filme von Regisseurinnen drehen lassen will (SPON, faz.net). Angesichts des irrwitzigen Gesamtausstoßes, den nachfolgende Generationen nur noch bestaunen werden, ist das durchaus ein Pfund.
[+++] Wo indes keine Frauenquote mehr herrscht: in der TAZ-Chefredaktion.
"Es ist ein Mann", "es ist ein Junge!", rufen die SZ-Medienseite bzw. Springers Welt aus. Und es ist auch keine Doppelspitze mehr, weil Georg Löwisch nicht nur die bereits gegangene Chefredakteurin Ines Pohl ablöst, sondern ebenso "überraschend" (SZ) auch deren Co Andreas Rüttenauer. Der @spitzentazler allerdings wird als "Möglichmacher" im Haus verbleiben.
Im Hausblog tut der Neue die pfiffigen Äußerungen
"'Die taz ist die Zeitung der Zukunft', sagte Georg Löwisch. 'Und sie ist die stärkste Stimme der demokratischen Gegenöffentlichkeit in Deutschland. Ich will meinen Teil dazu beitragen, dass es so bleibt.'"
Löwisch kommt vom Cicero, der sicher nicht gekränkt ist, wenn man ihn nicht zu den stärksten Stimmen der deutschen Gegenöffentlichkeit rechnet, kennt die TAZ aber auch von innen. Er "gilt als Generalist" (Tagesspiegel) und "dürfte ... so etwas wie ein Konsenskandidat sein" (SZ noch mal).
Wer in den Konsens ein paar Tropfen Dissens kippt, ist Ulrike Simon in der Madsack-Presse:
"Am Montag gekündigt, am Freitag weg: So schnell geht’s sonst nur, wenn einer unfreiwillig geht",
schreibt sie. Und im Impressum hat Ines Pohl schon am Samstag nicht mehr gestanden (wobei sie natürlich gekündigt hat, nicht etwa wurde).
[+++] Gute Nachrichten gibt es um die Wochenzeitung Die Zeit herum, darunter eine uneingeschränkt gute. Die im Oktober 2014 verhaftete Mitarbeiterin Zhang Miao, deren Schicksal das Blatt im Januar ("Sie haben Miao", Altpapier) öffentlich machte, ist wieder frei (theguardian.com). Bundesjustizminister Heiko Maas scheint der Meinung zu sein, mit der Freilassung zu tun zu haben (zeit.de).
Zweitens: Das bei Giovanni di Lorenzos kürzlich verkündetem Aus seiner beliebten Werbevideos versprochene Projekt, stattdessen "berühmte Kabarettisten und Comedians" per Onlinevideo über die aktuelle Die Zeit-Ausgabe performen zu lassen, ist live gegangen. Vor den Hintergründen, dass Die Zeit einerseits bei derselben Gelegenheit per Titelstory die notorischen "Mediensatiriker" (Zeit, Altpapier, meedia.de) harsch krisierte und sich andererseits schon lang mit den "Die Anstalt"-Mediensatiriker battlet (meedia.de; der darin erwähnte Freitag-Text steht nicht frei online), hätte die neue Rubrik "Comedians und YouTube-Stars kommentieren aktuelle Ausgabe" spannend werden können. Hätte.
"Für die Umsetzung des Formats sind der Produzent Markus Peichl und der Autor Jens Westerbeck verantwortlich", informiert Moritz Müller-Wirth am Rande. Peichl ist ja auch eine in der Welt der deutschsprachigen Medien weit herum gekommenen Legende. Tempo (die Zeitschrift), "Beckmann" (die Talkshow), "Gottschalk live" (die super bezahlte, weder super gemachte, noch super gelaufene ARD-Werberahmen-Show), Lead Academy lauten Stichworte, um auch mal die erheblich verbesserte evangelisch.de-Suchfunktion hinzuweisen. Man kann Peichl durchaus wünschen, dass er auch diesen überflüssigen Unfug gut bezahlt bekommt.
Dorthin, wo Medien ökonomisch nicht mehr harmlos sind, Journalismus aber auch keine ganz große Rolle spielt, geht's im ...
+++ "Mit Meinung im Medienkonzentrations-Sinne aber hat ProSiebenSat.1 nicht mehr das Geringste am Hut. Insofern spräche nichts gegen eine Fusion mit Springer", hatte ich anlässlich der aktuellen Programmpläne der Sendergruppe gestern hier geschrieben. Aus der Sicht des in Mediendingen erratisch urteilenden Bundeskartellamts könnte doch etwas dagegen sprechen, sagte dann der bayerische Medienkartellrechtsexperte Rupprecht Podszun im meedia.de-Interview ("Bei den Werbemärkten wird die Schlüsselfrage sein, wie das Kartellamt Online-Werbung berücksichtigt. Konkret: Konkurrieren beispielsweise ProSieben, Bild-Zeitung und Google um dieselben Werbebudgets? ..."). +++ Den Chef der KEK (Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich) befragte indes Reuters (Standard). Ralf Müller-Terpitz will natürlich alles "sehr genau anschauen", scheint angesichts der Medienevolution aber kein so scharfer Hund mehr zu sein. +++ Einen aufschlussreichen Überblick über die lange gemeinsame ProSiebenSat.1AxelSpringer-Geschichte hat Dietrich Leder für die Medienkorrespondenz verfasst: "Diese Geschichte ist ein fünfaktiges Drama, das Event-Produzent Nico Hofmann längst verfilmt hätte, gehörte er nicht zum Konkurrenten Bertelsmann". +++
+++ Bei einem anderen, öffentlich-rechtlich besessenen Konkurrenten stand das Bundeskartellamt gerade vor der Tür bzw. verschaffte sich Einlass: bei der Bavaria. Es sei um den "Verdacht kartellrechtswidriger Preis- und Angebotsabsprachen bei Auftragsvergaben durch Fernsehsender und Produktionsfirmen" gegangen, weiß faz.net. +++
+++ Wenn die ARD an der "Deutung und Ausdeutung der Familie um den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl" "gescheitert" (Tagesspiegel) ist, ist's auch der erwähnte Nico Hofmann. Auftraggeber NDR und Hofmann "werden nun 'die herausragende Recherchearbeit' von Raymond Ley", dem Regisseur des teilweise fiktionalen Hannelore-Kohl-Films, der nicht entstehen wird, "für eine 'reine Fernsehdokumentation verwenden'". +++
+++ Der RBB hat einen ihm live "entglittenen" Beitrag seiner Nachrichtensendung "Abendschau" aus der Mediathek entfernt (Tagesspiegel). +++
+++ "In effect, digital content is being divided between a lucrative high-end entertainment world, where licensors receive a negotiated fee for allowing the distribution of their property, and a low-end publishing world where content is expected to be 'free', supporting itself on often elusive advertising sales and ad-splits ..." (technologyreview.com, vor allem über die "Instant Articles" bei Facebook, die hohe Erwartungen bisher wohl nicht gerade erfüllen ...) +++
+++ "Etwa 70 Besucher, vor allem besorgte BR-Mitarbeiter, waren deswegen zur Sitzung gekommen, sie saßen im vollen Saal auf dem Boden und sogar auf den Fenstersimsen zwischen den Grünpflanzen": Da berichtet die SZ-Medienseite knapp, aber direkt von einer Das sagte Intendant Ulrich Wilhelm am Donnerstag im Rundfunkrats-Sitzung beim Bayerischen Rundfunk. +++ Gründe für Sitzung und Besorgung nennt Peer Schader bei dwdl.de. +++
+++ "Die Panoramafreiheit bleibt in Deutschland erhalten", vermeldet die FAZ vorne auf dem Feuilleton. +++ In der gleichen EU-Parlaments-Sitzung wurde außerdem dem "Versuch, mittels Änderungsantrag doch noch die Prüfung eines Leistungsschutzrechts für Presseverleger in den Bericht" zum Urheberrecht kriegen, eine "Abfuhr" erteilt (netzpolitik.org). +++
+++ Der Tagesspiegel glaubt, Björn Böhnings wegen keine Olympia-Bewerbungs-Werbung bekommen zu haben. +++
+++ Im Mittelpunkt der schön gestalteten FAZ-Medienseite steht das bereits gestern hier erwähnte Sebald/ Kant-Hörspiel des WDR. +++ Außerdem wird wie fast immer eine US-amerikanische Serie ("Queen Latifah spielt Bessie Smith, die sich an die Spitze des Musikbusiness kämpft") besprochen. +++ Und es wird das "unbefriedigende" Bundesgerichtshofs-Urteil zum Einbetten fremder Video-Inhalte in den eigenen Internet-Auftritt beglossiert: Online hat faz.net dazu die Meldung. +++
+++ Straftatmäßiges weiteres Verbreiten eines Videos betreibt der Internetauftritt einer großen Zeitung, um die sich bildblog.de oft kümmert, auch mal locker. +++
+++ "Die Reportagesendung #Beckmann läuft von 2016 an immer dienstags um 22.45 Uhr. Die ARD entspricht damit einem Wunsch von Moderator Reinhold Beckmann, der mit dem bisherige Sendeplatz am Montag um 20.15 Uhr nicht zufrieden war" (SZ). Insofern wird Beckmann "gestärkt". +++
+++ Die Berliner BZ war offline (faz.net) und ist wieder da. +++
+++ Und in seiner Kolumne, "die sich gesellschaftlichen Entwicklungen aus naturwissenschaftlich-politischer Sicht nähert, gewürzt mit einer kleinen Prise Soziologie", "erinnert sich" Kolumnist Karl-Heinz Karisch heute "an Erlebnisse seiner Journalismuslaufbahn und wirft einen kritischen Blick auf fragwürdige Vorgänge in der Medienwelt. Es fehlt an Qualitätsstandards" (Berliner Zeitung).+++
Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.