Nichts ist älter als die Zeitung von gestern. Wen wird es schon interessieren, ob Morgen noch stimmt, was gestern behauptet worden ist? Die Sunday Times hatte nämlich einen großen Artikel über die chinesischen und russischen Geheimdienste im Blatt. Diese hätten die Festplatten von Edward Snowden geknackt. In dem Fachblatt für investigativen Journalismus wird dann auch erklärt, welche Folgen das hat.
„Westliche Fachleute gehen nach BILD-Informationen davon aus, dass die Chinesen sich das Material von Snowden besorgten, nachdem er nach Hongkong gekommen war. Und die Russen bedienten sich nach dieser Einschätzung, als Snowden nach Moskau kam. Das Material wäre demnach seine Eintrittskarte in Wladimir Putins Reich gewesen.“
Das ist ja immer so eine Sache mit den Fachleuten. Die gehen in einem anderen Fall davon aus, dass die Tausendsassas der geheimen Front aus Russland und China die Personalakten amerikanischer Regierungsmitarbeiter erbeutet haben.
„Da die Datenbank möglicherweise auch Angaben über CIA-Agenten enthalte, könnten diese von den Hackern enttarnt werden. Laut dem Bericht der "Washington Post" sind in der Datenbank der OPM Informationen über das Privatleben und die Finanzlage von Regierungsmitarbeitern, ihre Familie, Freunde, Nachbarn und Auslandskontakte gespeichert. Die US-Regierung hatte in der vergangenen Woche mitgeteilt, bei der Cyberattacke auf die Personalverwaltung seien persönliche Daten von bis zu vier Millionen aktiven und ehemaligen Regierungsangestellten abgegriffen worden.“
Nun könnte man sich fragen, ob es wirklich sinnvoll für Regierungsbehörden ist, „Informationen über das Privatleben und die Finanzlage von Regierungsmitarbeitern“ zu sammeln, die nicht Mitarbeiter in einem Geheimdienst sind. Aber seit Snowden wissen wir bekanntlich, warum jede Information über jeden Menschen offensichtlich für alle Geheimdienste von Interesse sind. Insofern muss sich niemand wundern, wenn der Bundestag auf entsprechende Auskünfte hin durchsucht worden ist. Sogar die Computer der Kanzlerin waren das Ziel solcher Operationen. Aber kehren wir zurück zur Bild.
„Für Fachleute ist es nach dieser Einschätzung also keine Frage, dass Snowden selbstverständlich Geheimnisse an Russen und und auch Chinesen verraten hat.“
Immerhin kann man ihn aber nicht dafür verantwortlich machen, wenn die unter Umständen rechtswidrig angelegten Personalakten amerikanischer Regierungsmitarbeiter jetzt rechtswidrig in die Hände von Leuten geraten sind, die darauf genauso wenig Zugriff hätten haben dürfen wie die Kollegen aus dem eigenen Land. Aber es wird noch besser.
„Laut Cyberwar-Experte Gaycken kursiert in westlichen Geheimdiensten sogar das Gerücht, dass der russische Geheimdienst FSB steuert, nach welchem Muster das von Snowden gestohlene Geheim-Material an die Presse lanciert werde. So wolle der FSB Politik machen. Das sei zwar nicht bewiesen, sondern nur ein Gerücht, sagte Gaycken. Aber eine solche Vorgehensweise passe zum taktischen Verhalten dieses russischen Geheimdienstes.“
Das hat für jeden Medienschaffenden eine gewisse Komik. Wenn als Experten verkleidete Knallköpfe Gerüchte aus westlichen Geheimdiensten streuen, muss man davon ausgehen, dass Letztere „Politik machen wollen“. Eine „solche Vorgehensweise“ passt nämlich zum „taktischen Verhalten von Geheimdiensten“, selbst von denen, die nicht aus Russland oder China kommen. Wie das in der Praxis funktioniert, konnte man ebenfalls am Sonntag sehen. Die Bild am Sonntag hatte über den BND und dessen Außenstation in Bad Aibling berichtet. Bekanntlich blickt der BND in einen „Abgrund an Landesverrat“. Da macht es sich ja gut, wenn man schon einmal in einer Art Vorwärtsverteidigung sein Misstrauen gegen diese Station bekundet.
„So wurde im Januar 2006 in der BND-Zentrale in Pullach bekannt, dass die NSA mithilfe des deutschen Geheimdienstes die deutsch-französischen Rüstungsfirmen „EADS“ und „Eurocopter“ ausspionieren wollte. Als Reaktion lies die BND-Führung im Februar 2006 technische Vorrichtungen in der Station in Bad Aibling installieren, um den Informationsstrom an den US-Dienst zu überwachen. Die interne Spionage wurde allerdings vor den Mitarbeitern in der Abhöranlage geheim gehalten, da die BND-Spitze sie aufgrund ihrer engen Zusammenarbeit mit der NSA für „amerikanisiert“ hielt, heißt es in einem BND-Papier. Zu den Ergebnissen der Operation existieren nach Informationen der Zeitung keine Akten. Trotz der Zweifel hielten BND und das zuständige Bundeskanzleramt über Jahre am umstrittenen Datenaustausch mit der NSA fest."
Da ist eine solche Mitteilung hilfreich, die das eigene frühzeitige Misstrauen deutlich macht. Schließlich kann man dann nicht mehr behaupten, der BND habe wissentlich und vorsätzlich Landesverrat begangen. Vielmehr habe er alles getan, um dieses Abschöpfen durch die Amerikaner zu verhindern. Eine solche Vorgehensweise passt zum „taktischen Verhalten“ des deutschen Geheimdienstes, so könnte man sagen. Aber immerhin lernen wir aus den Berichten dieses Wochenendes, dass alle Geheimdienste immer noch die Medien brauchen, um ihre Botschaften der Öffentlichkeit zu vermitteln. Es ist eine Mischung aus Halbwahrheiten, Unterstellungen oder sogar glatten Lügen.
+++ Was auch zu deutschen Geheimdiensten gehört? Dort verschwinden immer Akten. Wir wissen zwar nicht, ob in den USA, Russland oder China entsprechende Kopien existieren, um den Kollegen in Deutschland notfalls weiterzuhelfen. Aber immerhin braucht man nicht immer dort nachzufragen, wenn wenn man so wissen will, was deutsche Geheimdienste etwa beim NSU so alles getan haben. In der Welt am Sonntag berichten Stefan Aust und Dirk Laabs über eine höchst seltsame Geschichte, die in NRW aktenkundig ist. Man muss nur genauer lesen, um zu wissen, worum es dort geht.
Der Verfassungsschutz hat beim NSU nur ein einziges Interesse. Es soll deutlich werden, warum es sich beim NSU nur um drei Tatverdächtige als Einzeltäter handelt. Weder darf der Eindruck entstehen, hier könnte es sich um ein Netzwerk handeln, noch dass diese Geheimdienste in irgendeiner Form in diesen Netzwerken involviert gewesen sind. Die Funktion der Medien – und hier stehen Aust und Laabs an erster Stelle – besteht darin, in jener trüben Brühe aus Halbwahrheiten, Unterstellungen und glatten Lügen noch den Überblick zu behalten. Was aber auffällt, ist jene Diskrepanz zwischen den Tausendsassas aus Russland und China, die scheinbar alles können, während die deutschen Geheimdienste notorisch den Eindruck hinterlassen, sie könnten gar nichts. Dort verschwinden Akten. Oder es werden technische Vorrichtungen eingebaut, die scheinbar die Aufgabe haben, keine Erkenntnisse zu vermitteln. Nur sind die deutschen Geheimdienste wirklich so blöd? Oder haben sie nur ein Interesse daran, den Medien auf diese Weise ihre eigene Harmlosigkeit zu vermitteln?
+++ Im neuen Spiegel geht es um jenen Lobbyismus, der zeigt, wofür Medien gebraucht werden: Um einen guten Eindruck zu hinterlassen. Die Regierung Kasachstans wollte sich dafür unter anderem der Dienste deutscher Spitzenpolitiker versichern. An führender Stelle Gerhard Schröder, Otto Schily und Horst Köhler. Sie machten dabei nichts anderes als Politik als Markt zu betrachten, wo jedes Gut prinzipiell als gleichwertig anzusehen ist. Es muss halt die Honorierung stimmen. Immerhin wird hier aber zugleich deutlich, dass nicht nur Geheimdienste ein Problem mit ihren Daten haben. Der Spiegel konnte nämlich ein „Datenleck“ in der Wiener „Operationszentrale der Kasachstan-Lobby“ nutzen, um diese Form politischer Meinungsbildung zu entschlüsseln.
Altpapierkorb
+++ Wenn man schon nicht hinter die Kulissen schauen kann, muss aber immerhin der Blick auf die Kulisse so sauber sein wie die Bettwäsche aus der früheren Waschmittelwerbung. Dafür sind auch die Medien zuständig. Sie kontrollieren alles und jeden, ob er nicht gegen das Gebot blitzblanker PR verstoßen hat. Da kann ein Nobelpreisträger einen Scherz auf Kosten von Frauen machen: Er wird gefeuert. Ein Modeunternehmen bringt ein T-Shirt mit einem provokativen Spruch auf den Markt? Nach der Aufdeckung durch eine Gouvernante für gutes Benehmen, die nicht Fräulein Rottenmeier heißt, wird es zurückgezogen. Polizisten machen einen dämlichen Witz? Sie bekommen ein Disziplinarverfahren, das wahrscheinlich keine weiteren Konsequenzen haben wird. Auffällig ist aber die Reaktion auf diese im Grunde völlig belanglosen Fälle. Sie ist immer gleich. Ob Universität, Modeunternehmen oder Polizei: Sie geben sich entsetzt und zerknirscht. Es zeigt sich jenes professionelles Krisenmanagement, das jeden Kratzer an der blitzblank geputzten Kulisse verhindern will. Sebastian Edathy wird das im Tagesspiegel übrigens zum Vorwurf gemacht: Störrisch auf seine Straflosigkeit beharrt zu haben anstatt sich professionell zerknirscht zu geben.
+++ In dem Sinne ist zu fragen, ob es wirklich eine so gute Idee von Tina Hassel ist, die Kollegen im Hauptstadtstudio der ARD in Berlin zum Twittern zu ermuntern? Dafür twittert Günther Jauch aber nicht.
+++ Über die Kulisse beim G-7 Gipfel berichtete am Samstag der WDR und schon am Donnerstag der NDR.
+++ Dafür achten Fußballverbände wie die Fifa und die Uefa auf die politische Fassade. In Kroatien haben Neonazis vor einem EM-Qualifikationsspiel auf dem Fußballplatz ein Hakenkreuz hinterlassen. Das war offenkundig nicht die Idee des kroatischen Fußballverbandes gewesen. Er ist sogar das Opfer dieser Form symbolischer Kommunikation gewesen. Nur soll er trotzdem für diesen Vorgang verantwortlich gemacht werden, den er aber nicht zu verantworten hat. Wo die Fifa und die Uefa tatsächlich Verantwortung tragen, nämlich für die Verhältnisse in den eigenen Verbänden, kann von einer vergleichbaren Konsequenz nicht die Rede sein. Es ist halt einfacher, die Kulisse in Ordnung zu halten.
+++ Dafür war in der FAZ am Samstag zu lesen, was die politischen Stiftungen im Auftrag der politischen Parteien planen, um etwa gegen die Wahlmüdigkeit der Deutschen zu tun: Einen Kongress! Er „könne dann Ende des Jahres oder Anfang 2016 abgehalten werden. Vier Themenblöcke wurden avisiert. Es solle um die Wahlbeteiligung und auch um die Gründe von „Wahlabstinenz“ gehen, welche nicht ausschließlich als antidemokratisches Verhalten interpretiert werden solle. Zum Zweiten solle es um mögliche Änderungen im Wahlrecht und auch um Forderungen nach Möglichkeiten von Volksentscheiden gehen; auch komplizierte Wahlverfahren wie bei den jüngsten Wahlen in Hamburg und Bremen könnten in diesen Zusammenhang erörtert werden. Ein drittes Themenfeld solle sich mit innerparteilichen Zuständen und den Möglichkeiten der Mitwirkung von Parteimitgliedern befassen. Schließlich solle – als Viertes – über die „politische Kultur“ in Deutschland und der Einfluss der „Medien“ erörtert werden.“ Vielleicht sollte man sich dann mit der Frage beschäftigen, welche Rolle die Kulissenschieber aus allen relevanten PR-Abteilungen von Interessengruppen spielen?
+++ Dazu passte unter Umständen dieser Artikel, der nach der Zukunft des Journalismus sucht. Die hat die taz gefunden, wie es scheint. Das meint wenigstens FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube unter dem Stichwort „Staatsknete“.
+++ Ansonsten noch ein Veranstaltungshinweis. Heute wird Wolfgang Lieb in Dortmund über die Lage der Medien referieren. „Einigen meinungsführenden Journalisten“, so Liebs These, „ist es gelungen eine Deutungshoheit der gesellschaftlichen und ökonomischen Wirklichkeit zu erringen, denen ein Fußvolk schlecht bezahlter und überforderter Journalisten und kaputtgesparten Medien nachplappert. Statt kritische Aufklärung bestimmt Kampagnen-Journalismus mehr und mehr das MedienBILD. Gibt es Möglichkeiten die „Vermachtung“ der veröffentlichten Meinung aufzubrechen? Welche Chancen bietet das Internet?“ Chancen für PR ganz sicher.
+++ Was jetzt nicht mehr fehlt? Positive Besprechungen von Günther Jauch. Etwa von Altpapier-Autor Christian Bartels im Handelsblatt. Oder auch von Mathias Zschaler bei Spiegel online.
Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.