Manchmal liefern Medien erstaunliche Erkenntnisse. So auch an diesem Wochenende. Wer hätte etwa am vergangenen Montag gedacht, dass sich ein Thema wie der Disput um den Berliner Politikwissenschaftler Herwig Münkler noch eine Woche später in den Medien halten könnte? (Siehe auch das Altpapier von Freitag). Und das obwohl Heidi Klum in Mannheim schreiend aus dem Saal gerannt sein soll als sie von der Bombendrohung gegen GNTM gehört haben soll. Oder der Trainer des FC Bayern München am vergangenen Dienstag in Würde sein wichtigstes Saisonziel verpasst hat. Ein bildungspolitisches Thema kann sonst nur eine solche Aufmerksamkeit erzeugen, wenn es mit Geld zu tun hat. Oder eben mit einem Skandal. In der Hitliste der Skandalursachen sind dabei die üblichen Verdächtigen zu finden. Tatsächliche oder vermeintliche sexistische oder rassistische Äußerungen sind dafür besonders gut geeignet. Niemand will schließlich heute noch Rassist oder Sexist sein, vom Faschisten oder Militaristen gar nicht zu reden. Insofern kann sich jeder seiner sozialen Isolierung sicher sein, wenn eines dieser Etiketten dauerhaft an ihm kleben sollte. Natürlich kennen die Medien das Skandalisierungspotential dieser Etiketten besonders gut. Deshalb springen sie so gerne auf einen solchen Zug auf, wenn er sich erst einmal in Bewegung gesetzt hat. Sogar Sepp Blatter vom Welt-Fußballverband FIFA setzt sich an der Spitze der antirassistischen Bewegung, wenn es seiner Wiederwahl dient. Schließlich hängt sie vor allem von den Stimmen jener afrikanischen Fußballverbände ab, die alle mehr oder minder ein Korruptionsproblem haben. Unter der Flagge des Antirassismus kann man jeden Kritiker zum Schweigen bringen, sich ein moralisches Mäntelchen umhängen und zugleich die eigenen Taschen füllen, wie man von Blatter lernen kann.
Die Medien, die jede Komplexität wirkungsvoll zu reduzieren wissen, definieren entsprechend den Fall Münkler. Im Spiegel liefert Georg Diez die „volle Packung“, wie er es nennt:
„Die Studenten, die ihn kritisieren, nennen Münkler militaristisch und nationalistisch, sie bezeichnen ihn als sexistisch und halten seine eurozentristische Überheblichkeit für eine Form des Rassismus.“
„Alle Fälle haben gemeinsam, dass die Kritiker Inhalte simulieren. Angeblich geht es um etwas, das man an der Uni „Sprachhandeln“ nennt. Jemand wird Rassist genannt, weil er in historischen Texten das N-Wort („Neger“, nun steht es da) mitliest und nicht so tut, als stünde es gar nicht da. Oder Sexist, weil er nicht „Student*innen“ schreibt. Aber eigentlich geht es um Macht. Die Professoren bekommen Gesinnungsnoten von Studenten oder jenen, die sich dafür ausgeben. Das soll die Machtverhältnisse erschüttern. Jetzt schreiben große Zeitungen nicht nur über den großen Münkler, sondern auch über kleine Anonyme. „Münklerwatch“ sammelt Zeitungsartikel über sich im Blog, eifrig wie ein General, der sich Orden um Orden an die Brust heftet.“
Nun käme niemand auf die Idee, einem PR-Berater die Resonanz auf seine Aktivitäten vorzuwerfen. Aber was Frau Haupt vergisst: Medien selbst simulieren Inhalte, wenn es der Schlagzeile dient. Die Diskurse über Sexismus oder Rassismus kommen ursprünglich aus dem wissenschaftlichen Kontext. Aber erst deren Popularisierung in den Medien und der Entdeckung des darin liegenden Skandalisierungspotentials verschafft solchen Blogs jene Macht, von der Frau Haupt spricht. Ein Nebeneffekt ist die Gewöhnung. Mit der Trivialisierung ursprünglich wissenschaftlicher Diskurse werden Rassismus oder Sexismus zu Begriffen ohne Substanz werden. Wenn erst einmal alle unter diesen Verdacht geraten sind, wird sich jeder für unschuldig halten dürfen. Die Medien sind es nämlich, die die Orden verleihen, die sich „Münklerwatch an die Brust heftet.
+++ Wie man mit Schlüsselbegriffen Lobbyismus betreibt, dokumentiert turi. Wer ist schon gegen Wettbewerb oder internationale Konkurrenzfähigkeit? Mit diesen Worthülsen konnte man schon Wahlen gewinnen. Der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern München, Karl-Heinz Rummenigge, argumentiert daher auch nicht als professioneller Medienkritiker, sondern in der Tradition des Ordoliberalismus. Diesem war der Kampf gegen Monopole schon immer ein Anliegen gewesen. Aber für Rummenigge ist das Monopol von Sky bei der Vermarktung der Bundesligarechte für das Pay-TV ein besonderes Ärgernis. Er will nämlich „Wettbewerber, die die Preise für die Live-Rechte in die Höhe treiben“, um die Bundesliga international „konkurrenzfähiger zu machen“. Man kann in Würde scheitern, wie Pep Guardiola, oder es auch sein lassen wie Karl-Heinz Rummenigge. Diese Verpflichtung eines der teuersten Trainer der Welt scheiterte übrigens nicht am fehlenden Wettbewerb über Bundesligarechte.
+++ Was in Medien immer geht, ist der Sex. Der Spiegel titelt mit dem Sexualleben der Frau, während sich der Focus mit dem Herzen beschäftigt, allerdings aus medizinischer Sicht. Was den Leser im Spiegel erwartet? Die Auswertung einer seit 1966 regelmäßig wiederholten Langzeitstudie zum „studentischen Sex“, die neuerdings aber famose Erkenntnisse vermittelt. „Junge Frauen zeigten sich deutlich experimentierfreudiger als noch in den Neunzigerjahren, ihr Erfahrungsschatz ist seitdem bemerkenswert gewachsen." Wer hätte das gedacht? Schließlich ist der Zugang zum Thema Sex wesentlich leichter geworden als in vordigitalen Zeiten. Das sind wahrscheinlich auch die gleichen Studentinnen, die Diez in seinem Artikel über Münkler als „Bachelor-Kaninchen“ beschreibt, die „ihr Studium in Rekordzeit durchziehen“ müssen. Studenten schreiben in Münklers Vorlesungen „eifrig mit, jedes Wort ist wichtig, sie schrieben mit ihrem Füller in ihre Hefte wie in der Schule, aus der sie gerade kommen.“ Da stimmt es ja hoffnungsvoll, was die Journalistin Paula Lambert dem DLF über die "neuen Sexformate" zu sagen hat, an die jetzt auch wieder das Fernsehen Interesse entwickelt. Selbst ihr gingen aber manchmal die „extremen Spielarten“ zu weit mit denen sie sich in ihren Sendungen beschäftigt. Sie führt einen guten Grund an, den jeder versteht.
„"Naja, es ist der Zeigbarkeit geschuldet, weil man eben Emotionen, oder ganz gewöhnlichen Sex, den kann man schlecht zeigen, da gibt es auch keine Aufreger, außer dass es schön ist. Und wenn ich sage, ich stehe aber total auf irgendeine Fetischnummer, dann kann man sagen, aha, was bedeutet denn diese Handschelle, was bedeutet dieses Gummiwerkzeug, wir sind ja ein visuelles Medium, solche Fälle... die sind einfach interessanter."
Dieser Logik ist jede Berichterstattung unterworfen. Ob sie nun Herfried Münkler oder den Sex von Studentinnen betrifft. Ohne die entsprechenden Schlüsselreize ist das Publikum halt schnell gelangweilt. Der Blümchensex funktioniert halt medial genauso wenig wie ein Blümchenjournalismus, der auf die Stimulierung unseres Empörungssinns verzichtet. Ansonsten könnten Medien ja vor allem über Inhalte berichten. Aber wer will das schon lesen?
Altpapierkorb
+++ Wie kann der Lokaljournalismus Aufmerksamkeit gewinnen? Altpapier-Autorin Juliane Wiedemeier hat sich darüber für die Prenzlauerberg Nachrichten Gedanken gemacht. Journalismus, so ihr Fazit, ist „kein Hobby, sondern ein Beruf, und damit wir den für Sie weitermachen können, brauchen wir Ihre Hilfe. Alles, was man darüber wissen muss, steht hier.“
+++ Eines der wichtigsten Themen in der vergangenen Woche war die Kooperation zwischen Facebook und einigen Verlagen. Dazu auch das Altpapier vom Freitag. Martin Giesler formuliert jetzt „drei folgenschwere Einsichten“, wie er sei nennt. Die Formatierungen im Zitat stammen übrigens von Giesler: „Die Nutzer entscheiden darüber, welche Inhalte relevant und interessant sind? —?sicherlich müssen auch von Journalisten Themen gesetzt werden, aber die Zeit des klassischen Redakteurs-Daseins ist vorbei. Journalisten können (endlich) nicht mehr am Interesse der Menschen vorbei arbeiten. Die Nutzer entscheiden darüber, wie und wo sie diese Inhalte abrufen? —? da können wir noch solange hergehen und uns darüber mokieren, dass die User nur noch bei Facebook abhängen. Wenn wir keine relevanten Gründe dafür liefern, dass sie täglich originär unsere Plattformen ansteuern, dann müssen wir schauen, wie wir unsere Inhalte ausgeliefert bekommen. Die Nutzer haben keine Angst vor “Datenkraken”— wie sonst ist es zu erklären, dass der NSA-Skandal zu keinen Protesten führt, jeder ein allumfassendes Tracking-Device in seiner Hosentasche hat und alle liebend gern ihre intimsten Gedanken auf irgendwelchen Servern für alle Ewigkeiten speichern lassen?“ Nur stimmt das eigentlich? Vielleicht haben ja Journalisten ihre Fähigkeit zum Agenda-Setting verloren, nur bestimmt deswegen gerade nicht das Interesse des Lesers zwangsläufig die mediale Berichterstattung. Alle möglichen Einflussgruppen versuchen jeden Tag, ihre Sichtweise beim Leser durchzusetzen, und sind damit durchaus erfolgreich. Gerade das Thema NSA zeigt doch, wie es geht. Dem Nutzer ist es keineswegs egal, wenn er von Datenkraken ausspioniert wird. Das eigentliche Legitimationsargument ist nicht das Desinteresse der Nutzer, sondern dessen Meinung, er selbst habe nichts zu verbergen, aber mit der allumfassenden Überwachung wäre seine Sicherheit besser gewährleistet. Nur kommt er zu dieser Vorstellung nicht von selbst, sondern es ist das, was im die entsprechenden Sicherheitsdienste medial vermitteln.
+++ Wie Krisenkommunikation funktioniert, beschreibt Daniel Bouhs in der taz. Er unterhielt sich mit Heinz-Joachim Schöttes, der für Germanwings arbeitet. „Der Großteil der hiesigen Journalisten hält sich – Gott sei Dank – an die Spielregeln“, so Schöttes. „Vor allem angelsächsische Medien seien hingegen „forscher – nicht unbedingt in ihren Berichten, aber bei ihren Recherchen“. Schöttes sagt, er wolle nicht zu sehr ins Detail gehen, nur so viel: „Sogar Bild war im Verhältnis dazu noch zurückhaltend.“ Nur muss man eine Frage stellen. Steht in der Krisenkommunikation von Unternehmen tatsächlich das Aufklärungsinteresse im Vordergrund? Oder nicht doch das nachvollziehbare Ziel, den Imageschaden für ein betroffenes Unternehmen einzugrenzen? Letzteres wäre PR-Leuten und Pressesprechern nicht vorzuwerfen. Es ist ihr Job. Aber man sollte als Journalist, diese strategischen Kalküle in seine eigene Arbeit einbeziehen. Ansonsten könnte man ihnen nämlich zum Opfer fallen.
+++ Auf turi machen Janina Gatzky und Ute Gliwa, Chefredakteure “Séparée”, eine Blattkritik des Playboy. Der braucht bekanntlich nicht wie der Spiegel Langzeitstudien, um sich mit Sex zu beschäftigen: „Während Frauen sich gern andere Frauen anschauen, weil sie sich mit ihnen vergleichen oder identifizieren, betrachten Männer Frauen, weil sie sich als deren potentielle Liebhaber sehen. Ein süßes Bond-Girl genügt, um im Geiste zum Geheimagent zu werden. In diesem Bereich lässt die Chefredaktion aber auch gar nichts anbrennen und setzt auf (grafisch optimierte) junge Frauenkörper. Allerdings fragt man sich schon, ob Männern die bis zur Charakterlosigkeit tot geblitzten und seelenlos gephotoshoppten weiblichen Hohlkörper wirklich gefallen? Oder sind Playmates die Alltagsflucht des Mannes wie die “Landlust” für die Frau?“ Nur ob Männer wirklich Bond-Girls brauchen, um „im Geiste zum Geheimagent zu werden“? Die sitzen nämlich ziemlich öde vor ihren Großrechnern, wie wir spätestens seit Edward Snowden wissen.
Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.