Lausige Zeiten

Lausige Zeiten
Früher war alles besser. Verleger und viele Journalisten verdienten Geld wie Heu. Das hat sich geändert. Vom entsprechenden Katzenjammer sind sogar schon die Sunnyboys des digitalen Aufbruchs angesteckt worden. Aber was bietet eigentlich die junge Konkurrenz?

Es ist noch nie soviel publiziert worden wie heute. An jedem Tag erscheint mehr als früher wahrscheinlich in einem ganzen Monat. Trotzdem musste man am Freitag folgende Worte lesen, gerichtet an einem Medienkongress in Wien, formuliert von einem arrivierten Journalisten, dem man früher sicherlich díe Formulierung „bekannt aus Funk und Fernsehen“ angeheftet hätte.

„Ich habe viel ausprobiert in meinem Journalisten-Leben. Von Twitter bis Medium, von YouTube bis Periscope, von den viel zitierten Lousy Pennies durch Micropayment bis zur Millionenfinanzierung via Crowdfunding. Ich habe gedacht, irgendwas davon wird schon verfangen, damit sich klassischer Journalismus wieder lohnt. Wie gern hätte ich heute hier gestanden, Ihnen gesagt: So geht’s! DAS ist die Lösung. Wenn wir alle dies oder jenes beherzigen, wird der Journalismus prosperieren. Ich habe mich getäuscht. Heute stehe ich vor Ihnen und ich bin ratloser denn je. Ich bin vom Weg abgekommen, habe meinen Glauben verloren. Meinen Glauben daran, dass wir das wieder hinbekommen mit dem Journalismus, der uns alle ernährt.“

Sie stammen von Richard Gutjahr, der zwar sein solides ökonomisches Fundament im öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat, aber als Grenzgänger schon alles ausprobierte, was die neue Medienwelt an Möglichkeiten bietet. Dabei entwickelte er sich zum Sunnyboy medialer Selbstreferentialität, die jenem Kölner Motto ähnelte, es sei ja noch immer gut gegangen. Woher kommt dieser Sinneswandel beim jungen Kollegen, der nun alles ist, nur kein Außenseiter in der Medienszene? Er fällt einem Medienwandel zum Opfer, dem auf Seiten der Akteure vor allem eines fehlt: Die Geduld. In Wirklichkeit leben die privatwirtschaftlichen Medienunternehmen noch immer von der alten Kundschaft aus vordigitalen Zeiten. Wer einmal seine Zeitung abonniert hatte, bleibt ihr häufig bis zum Lebensende treu. Alle neuen Geschäftsmodelle, wie die nicht nur von Gutjahr mit Argusaugen betrachteten Paywall-Modelle, hatten noch gar nicht die Zeit, um ihr Funktionieren zu beweisen. Solange es nämlich die treuen Kunden von früher noch gibt, ist der überkommene Journalismus weiterhin in der Lage, diese Welt mit Informationen zu versorgen. Für die nicht zahlende Kundschaft bekanntlich kostenlos. Erst mit dem Wegsterben dieser Klientel kommt es für den etablierten Journalismus zum Schwur. Finden sich dann noch genügend Menschen, die Informationen nicht als bloßes Rauschen wahrnehmen wollen, sondern als Mittel zum eigenen Weltverständnis?

Wenn das scheitert, wird man die Folgen erleben, wenn der Journalismus niemanden mehr ernährt. In Deutschland wäre das Informationsvermittlung ohne den Spiegel, die Zeit oder den Stern. Ohne die Süddeutsche Zeitung und die FAZ, ohne den Focus oder die Welt. Haben wir die taz und die Frankfurter Rundschau vergessen? Von den immer noch zahllosen Regionalzeitungen ganz abgesehen. Dafür mit einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der erst wegen der privatwirtschaftlichen Konkurrenz den Fängen der Politik entkommen kann. Ansonsten täte diese gerne durchregieren, wie es in den vergangenen Jahrzehnten oft genug passiert ist. Der Grund zum Optimismus liegt dabei durchaus in der ruhmreichen Vergangenheit. Auch früher war der Qualitätsjournalismus ein Minderheitenprogramm gewesen. Der deutsche Arbeiter verteidigte weder seine Villen im Tessin, so ein legendär gewordenes Plakat von Klaus Staeck, noch las er allerdings Morgens vor Schichtbeginn die FAZ. Es gibt aber keinen Grund zur Annahme, dass es in Zukunft keinen Markt für solche Produkte geben wird. Es gibt nur Zweifel daran, ob das die oben genannten Unternehmen weiterhin sein werden, die diesen Markt bisher dominieren. Im Kapitalismus gibt es aber keine Besitzstandswahrung, wenn er noch etwas mit Märkten zu tun haben soll.

+++ Aber ein weiterer Zweifel ist doch erlaubt. Nämlich ob die Traditionen dieses Journalismus weiterhin den öffentlichen Diskurs dominieren. Zwar las der Arbeiter lieber die Bild als die FAZ. Aber wenn man ihn gefragt hätte, ob er Springers Sturmgeschütz des Boulevard oder die altehrwürdige Tagesschau für guten Journalismus hielte, wäre die Antwort eindeutig gewesen. Die Bild galt als Unterhaltungsmedium. Man las sie wegen dem Sport und nahm das Mädchen auf Seite 1 interessiert zur Kenntnis. Worum handelt es sich aber bei Florian Mundt alias LeFloid? Das versucht der Spiegel zu entschlüsseln. Mundts Google-Kanal wird von Millionen Teenagern gesehen, die sich dort über das Zeitgeschehen informieren. Journalistisch bewegt er sich zwischen Kommentar und Glosse, aufgepeppt mit den Mitteln des Boulevard: Zuspitzung und Emotionalisierung. Das Spiegel-Interview ist dabei recht handzahm geführt, so wie es ältere Herrschaften schon immer gegenüber der aufbegehrenden Jugend gehalten haben. So ist „LeFloid nicht Claus Kleber“, wie er sagt.

„Meine Zuschauer haben genug davon, Medien einfach nur zu kommentieren. Sie wollen sich nicht hinsetzen und wie bei der „Tagesschau“ in 15 Minuten zehn Themen reindrücken lassen, von denen sie bis zum „Tatort“ die Hälfte wieder vergessen haben. Außerdem provoziere ich gern, und das funktioniert als Lockmittel nun mal gut.“

Axel Springer hätte das hoffnungsvolle Talent sofort zur Bild geholt, weil er offenkundig genau weiß, wie der Boulevard funktioniert. Die Mitmach-Funktion in Mundts Angebot ist dabei das moderne Äquivalent zum Mann auf der Straße, den ein genialer Zeitungsmacher wie Springer erreichen wollte. Nur kann man sich dabei heute nicht mehr nur auf seine Intuition verlassen wie zu Axel Cäsars Zeiten. Mundt ist dabei vorsichtig genug, es sich mit den Etablierten nicht zu verscherzen. Der „Lügenpresse-Vorwurf“ öde ihn „unheimlich“ an. Er sei aber kein Journalist, sondern „Videoblogger und Kommentator“. Auf das Argument des Spiegel, er wähle Nachrichten aus und ordne sie ein, sagt er aber einen interessanten Satz.

„Wenn man es darauf herunterbricht, könnte man mich vielleicht Journalist nennen. Ich scheue mich nur davor, weil ich in diesem Beruf keinen Abschluss erzielt habe.“

Danach wäre Augstein der Ältere auch kein Journalist gewesen. Oder die Zeit-Gräfin Dönhoff. Das gilt sogar für völlig unbedeutende Zeitgenossen wie den Autor dieser Zeilen. Mundt ist aber ein Vollprofi, der die Möglichkeiten der neuen Formate technisch optimal nützt. Das wird jeder bestätigen, der eines seiner Videos einmal gesehen hat. Dabei verfügt er durchaus über die Kernkompetenz eines Journalisten, sich nämlich schnell in Themen einzuarbeiten. Nur macht er Informationsvermittlung als Unterhaltungsformat, sprich den YouTube-Boulevard. Zudem ist er als Altersgenosse für sein Publikum eine Identifikationsfigur. Nur was ist daran eigentlich neu? Welcher Jugendliche wollte sich in den vergangenen 150 Jahren schon die Welt von seinen Vätern erklären lassen? Das eigentliche Problem ist aber das fehlende Geschäftsmodell. Zitieren wir noch einmal Richard Gutjahr:

„An die Volontäre oder Berufseinsteiger hier im Publikum – lassen Sie sich nichts erzählen: Es ist nicht die beste Zeit für Journalismus, die es je gab! Es ist eine lausige Zeit.“

Trotz der gigantischen Reichweite erzielt selbst ein Star wie Mundt lausige Erlöse. Die Bild wird dagegen immer noch jeden Tag von weit mehr als 2 Millionen Kunden gekauft, ob nun auf Papier oder digital. Der etablierte Journalismus hat zwar den Katzenjammer über die vergangenen goldenen Jahre zu ertragen. Aber die Google-Kanäle haben noch nicht einmal das zu bieten. Dort ist Sparhans Küchenmeister, selbst wenn man nicht die Einkommen von Augstein oder gar Springer als Maßstab anlegt. Kein Wunder also, wenn selbst ein großes Talent wie Mundt die „öffentliche Finanzierung reizvoll“ findet. Er soll bekanntlich für diese Supertanker der alten Medienflotte ein Internetformat entwickeln. Man sollte es allerdings einstweilen der Unterhaltungssparte zuordnen. Aber Mundt kann sich ja noch weiterentwickeln.


Altpapierkorb

+++ Immerhin scheint aber ein Akteur des Medienwandels jetzt ein Geschäftsmodell gefunden zu haben, wenn auch der Journalismus dabei kaum eine Rolle spielt. In der FAS beschäftigt sich Christopher Lauer mit Facebook. Lange Zeit fragte man sich ja, womit eigentlich dessen Börsenwert gerechtfertigt werden soll. Im Gegensatz zu Google wirkte Facebook als ein Konzern mit absehbar beschränkter Rentabilität. Das hat sich geändert, wie Lauer deutlich macht. „Das heißt, dass Facebook wahrscheinlich von jedem Menschen, der das Internet benutzt, ein Profil hat, mit oder ohne Facebook-Account. Dieses Tracking ist nach EU-Recht zwar illegal, da man in diesem Fall eigentlich direkt einwilligen müsste, aber das stört Facebook nicht, und die Regulierer sind behäbig, nein, eigentlich ist behäbig noch ein Euphemismus.“ Welche Folgen das hat, ist ebenfalls bei Lauer zu lesen. „Facebook fährt also eine Strategie, ein Internet im Internet zu bauen, und ist damit recht erfolgreich. Laut einer Umfrage des Internetmagazins „Quartz“ stimmten 65 Prozent der befragten Nigerianer, 61 Prozent der Indonesier, 58 Prozent der Inder und 55 Prozent der Brasilianer der Aussage zu, dass Facebook das Internet sei. Ausfälle von Facebook sind auch in Deutschland Anlass für Bürgerinnen und Bürger, den Notruf der Polizei zu nutzen. Facebook hat auf der ganzen Welt 1,4 Milliarden aktive Nutzer, was fast die Hälfte der Menschen auf diesem Planeten ist, die Zugang zum Internet haben.“ Dagegen ist die Debatte über Blogger auf Google-Kanälen wirklich nur von peripherer Bedeutung.

+++ Der Politico-Ableger vom Springer-Konzern startet kommende Woche in Brüssel. In der Süddeutschen Zeitung erfährt man einiges über deren Geschäftsmodell. „Politico wagt das größte Experiment in der europäischen Medienszene seit Gründung der Gemeinschaft. Bisher sind die Medien national ausgerichtet: Deutsche Reporter berichten für deutsche Leser aus Brüssel. Genauso machen es Franzosen, Spanier, Italiener. Die US-Amerikaner von Politico wollen den europäischen Markt mit dem gegenteiligen Konzept erobern. "Wir machen Nachrichten für alle, die großes Interesse an Entscheidungen haben, die in der EU fallen und dabei nicht die nationale Perspektive lesen wollen", sagt Florian Eder, Mitglied der Politico-Chefredaktion, früher EU-Korrespondent der Welt. Brüssel soll als europäische Hauptstadt im Zentrum der politischen Nachrichten stehen so wie Washington als US-Hauptstadt.“ Nun ist das ein politischer Fortschritt, der zweifellos auch etwa die Debatte über die europäische Flüchtlingspolitik beleben könnte. Nur ist der Begriff von Öffentlichkeit offenkundig an US-Standards orientiert, wenn auch nicht die von Facebook. „Parallel dazu kümmern sich Teams um frühzeitige Informationen zu geplanten Verordnungen, Richtlinien und Dossiers. Was läuft bei Gasverträgen, Medikamentenzulassungen, genmodifizierten Lebensmitteln? Die Teams machen daraus Themendienste, die Politico für fünfstellige Jahresbeträge an Lobbyisten und andere verkauft. Es ist das Konzept, mit dem das Portal schon in Washington erfolgreich ist. Und Brüssel ist nach Washington der weltweit zweitgrößte Lobby-Platz, mit mehr als 8000 Lobby-Organisationen.“ Wenn ansonsten in den Medien aber nur noch erschienen sollte, was diese Lobbys dort über sich lesen wollen, könnte das allerdings zum Demokratie-Problem werden.

+++ Was natürlich nicht unbedingt zur depressiven Stimmung unter Journalisten passt: Gute Zahlen, die etwa der Spiegel berichtet. Die Umstellung des Erscheinungstermins auf den Samstag scheint ein Erfolg zu sein, wenn auch der Spiegel-Chefredakteur, der das umsetzte, schon längst wieder vergessen ist. Ob der Innovationsreport der Zeit auch zu einer solchen Erfolgsgeschichte wird, ist dagegen noch nicht ausgemacht. Allerdings ist die Beobachtung von Giovanni di Lorenzo von Interesse. "Was mir besonders auffiel: Je jünger die Kollegen sind, desto mehr denken sie mit, ob eine Idee auch monetarisierbar ist." Die Erziehung zum marktkonformen Denken in den vergangenen Jahrzehnten war dann wohl doch nicht vergebens. Innovationen probiert immerhin auch DuMont: Er will bei Joiz einsteigen.

+++ War heute schon von Libyen die Rede? Gestern zwar bei Günther Jauch, aber das ist nun ein anderes Thema. Im Kulturjournal des NDR findet man aber einen Beitrag, der uns etwas über die Situation von Journalisten in diesem Staat vermittelt, wenn er auch nach heutigen Medienkriterien uralt ist: Sieben Tage. Aber wir wollen trotzdem daran erinnern. Angesichts der Katastrophen im Mittelmeer will die Politik nämlich die Situation in Libyen stabilisieren. Eine begründete Hoffnung, dieses Ziel zu erreichen, gibt es allerdings nicht.

+++ Wikileaks machte jetzt das Sony-Archiv öffentlich. Die Süddeutsche Zeitung sieht darin allerdings ein Indiz für den "Absturz von Wikileaks in die Bedeutungslosigkeit". Wie die Mediensituation im Baltikum ist, erläutert die FAZ. Diese erinnerte in ihrer Ausgabe von Samstag zudem an die chinesische Journalistin Gao Yu. Ein Pekinger Gericht hat am Freitag die Journalistin und Bürgerrechtlerin zu einer Haftstrafe von sieben Jahren verurteilt. „Gao Yu habe Ausländern Staatsgeheimnisse verraten, hieß es in einer Mitteilung des Mittleren Gerichtshofes. Die Verurteilung der 71 Jahre alten Journalistin, die auch für den chinesischen Dienst der Deutschen Welle gearbeitet hat, hat international Proteste hervorgerufen. Bürgerrechtler in Peking sehen das harte Urteil auch als Versuch, Regierungskritiker in China weiter einzuschüchtern.“ Um Einschüchterung geht es auch in der Ukraine. Über die Morde an regierungskritische Journalisten berichtet Spiegel online.

+++ In Berlin ist Ulrich Deppendorf in den Ruhestand gegangen. Er wird überall angemessen gewürdigt. Etwa in der Frankfurter Rundschau, die trotz durchaus kritischer Untertöne die angemessenen Worte findet. „Mit Ulrich Deppendorf geht, wie es in der ARD heißt, „eine Ära zu Ende“. Der Mann war anständig, humorvoll und nicht von oben herab wie andere Fernsehleute. Er war kein Manager, sondern Journalist. Und weil er Journalist war, fällt es ihm schwer zu gehen.“ Dem kann man sich nur anschließen.

+++ Ansonsten noch zwei Fernsehtipps. Im Ersten gibt es heute ab 22:45 Uhr zwei interessante Dokumentationen. Clemens Riha Sendung über V-Leute im Nazimilieu ist zu empfehlen. Der Autor dieses Altpapiers hat sie schon für die FAZ gesehen. Das gilt sicherlich auch für das anschließende „Vietnamkrieg – Gesichter einer Tragödie“. Vor 40 Jahren endete dieser Krieg mit dem Fall Saigons.

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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