Vor einer Woche tauchte Thomas Middelhoff, nicht namentlich genannt, zuletzt an dieser Stelle auf. Er war der Bertelsmann-Chef, der in den 1990er Jahren mit dem Ein-, aber auch dem Ausstieg beim europäischen AOL (für junge Leser: Ex- Internet-Gigant, der zeitweise mal den größten Medienkonzern der Welt bildete) das vielleicht glücklichste Händchen fürs Internet eines deutschen Medienkonzernmanagers überhaupt bewiesen hatte. Später bei anderen Konzernen, als das Internet hierzulande nicht zuletzt dank AOL schon erheblich verbreiteter war, hat er es sich scheinbar überhaupt nicht bewahren können.
Jetzt aber machen Middelhoff und seine Anwälte Schlagzeilen, die vor drei Jahren nicht einmal Rainald Goetz, als er, viele Wendungen zuvor, Middelhoffs Vita literarisierte, sich hätte alpträumen lassen.
Jetzt schäumt die Springer-Presse über grüne Politiker, weil sie "der Politisierung der Causa Middelhoff ... nicht widerstehen" (Welt) konnten und im Gefängnis in Essen Thomas Middelhoffs Menschenrechte verletzt sehen.
Viertelstündliche Kontrollen, auch nachts bei Licht, ob Untersuchungshäftlinge sich nicht das Leben nehmen wollen - "ist das Folter, wie seine Anwälte sagen, oder angemessen?" Nüchtern stellte zeit.de diese Frage dem Gefängnispsychologen Gerd Asselborn, der einer direkten Antwort ausweicht und erst mal "Es ist durchaus üblich ..." sagt. Und während dort der eingebettete Hinweis, dass man bei der Zeit ja immer "behutsam mit dem Thema Suizid" umgeht, etwas überflüssig erscheint (man brüstet sich halt immer gern bei der Zeit), nennt ein weiterer Welt-Bericht Gründe für die Befürchtung der Wärter. Dort äußert sich auch der nordrhein-westfälische Vorsitzende der Gewerkschaft Strafvollzug - ähnlich wie der Psychologe.
"Zu den Zwecken einer Haft gehört es nicht, an einem Inhaftieren ein Exempel zu statuieren. Dieser Verdacht stellt sich aber ein, wenn man die Nachrichten darüber liest, wie es Middelhoff im Knast ergeht",
kommentiert indes Heribert Prantl auf der Meinungsseite der SZ, die auch ihre Tagesthema-Seite Middelhoff widmet.
"Keiner der Größeren der Wirtschaftswelt ist so gepfählt worden wie er. Middelhoff scheint für viele die Inkarnation eines arroganten Geldsacks zu sein, gierig, dreckig. Der 'Spiegel' etwa verfolgt ihn mit einer Inbrunst, als wäre er ein Gegner wie einst Franz Josef Strauß",
weckt mit Hans Leyendecker dort ein weiterer Großjournalist Mitleid mit Middelhoff.
Wo noch kein Mitleid herrscht: bei der Grünen-nahen TAZ. Co-Chefredakteur Andreas Rüttenauer bricht sich einen ab gelangt dialektisch zur wahrscheinlich bloß, was das vielleicht nur unglücklich gewählte Wort "hinterlassen" angeht, anfechtbaren Schlussfolgerung:
"Wenn nun ernsthaft über miese Bedingungen in deutschen Knästen diskutiert wird, dann hätte Thomas Middelhoff am Ende vielleicht doch noch etwas Positives hinterlassen."
Auf dem Weg dorthin veranstaltet Rüttenauer allerhand Gedöns (wie die bunten tazzwei-Seiten zurzeit, hoffentlich nur saisonal, heißen):
"Wir kennen seine Uhr, die er bei einer Taschenpfändung hat aushändigen müssen, und wissen, dass sie für über 10.000 Euro versteigert worden ist, obwohl sie wohl nur um die 2.500 Euro wert sein soll."
Äh, woher kennen wir die? Vom täglichen Durchblättern der Bild-Zeitung, um nach Inspirationen für drei oder vier kritische bunte tazzwei-Artikel zu suchen?
[+++] Ein Hot spot der guten Laune ist Essen im engeren Sinne der Mediennische ohnehin nicht. Dort ist die Funke-Mediengruppe ansässig, die beim Etablieren von Zombiezeitungen und überhaupt bei allen Arten von Einsparungen vorn dabei war und ist. Kürzlich hat sie, was über Ostern etwas unterging (und das vielleicht auch sollte), erstmals überhaupt Geschäftszahlen veröffentlicht. Das sei auch einfacher als früher, in Zeiten, in denen die Mediengruppe nach WAZ hieß und ein "kompliziertes Geflecht mit mehr als hundert Tochtergesellschaften" bildete, meint Jan Hauser.
Mit der fürs Wirtschaftsressort der FAZ typischen Freude an Zahlen analysierte er die der Funkes im Medienwirtschafts-Blog:
"Klar zeigt sich auch, dass der Umsatz immer weiter sinkt. Er liegt deutlich unter der Marke von 1 Milliarde Euro, die das Unternehmen noch im Jahr 2011 erreichte. Die Rückgänge liegen vor allem am Zeitungsgeschäft, das im Jahr 2013 36,3 Millionen Euro verlor. Der Verkauf von Tageszeitungsausgaben machte dabei einen Umsatzrückgang um fast 10 Millionen Euro aus. Dennoch ist dies weiter die wichtigste Konzernsäule ..."
[+++] Gehört die Westdeutsche Zeitung aus Düsseldorf auch zum Ex-WAZ-, also Funke-Komplex? Nein.
Deren Chefredakteur Ulli Tückmantel hat eine der inzwischen erfreulich zahlreichen besonnenen Bilanzen zum Flugzeugabsturz-Echtzeitjournalismus der vergangenen Wochen verfasst, und zwar für bildblog.de. Da äußert er erst allerhand Komplimente und zeigt sich dann
"überzeugt, dass die klare Trennung zwischen Autoren und Editoren der beste Schutz davor ist, Meute- und Jagd-Reflexen zu erliegen und Grenzen zu überschreiten, die für genau solche Nachrichtenlagen gesetzt sind. Bei der Gelegenheit ist uns aufgefallen, dass wir in Wahrheit kein einfach zu handhabendes Regelwerk für solche sich schnell entwickelnden Lagen haben. Wenn die Lage da ist, hat in keinem Newsroom irgendjemand Zeit, in aller Ruhe noch einmal den Pressekodex zu studieren oder die 50-seitige Empfehlung des Presserats für Amok-Berichterstattungen ... nachzulesen. Wir brauchen ein DIN-A4-Blatt, fünf oder sechs klare Ansagen, die jeder am Desk und in den lokalen Teams versteht; wir arbeiten daran."
Wenn Medien im Alltag nun tatsächlich an Regeln für den Ausnahmefall arbeiten, vielleicht sogar "in aller Ruhe", obwohl der wirtschaftliche Druck ja laufend steigt und Echtzeit auch dann herrscht, wenn keine Sensationen reinkommen, wäre das viel wert.
Natürlich gibt es weiteren Nachhall zum Flugzeugabsturzjournalismus. Stefan Winterbauer vollzieht bei meedia.de wie immer die Battles der Platzhirsche nach. Und aus Gießen kommt ein hübsches "Medienkritik-Bingo" für Internet-Ausdrucker mit dem "Ende des Journalismus" unten rechts, der "Laienspielschar" gegenüber und "Jeder ein Medienkritiker" genau in der Mitte.
+++ "Ehrlich gesagt, mir wird das langsam etwas unheimlich, dass ich, wenn ich für dich", nämlich die TAZ, an die Silke Burmester ja immer im Anredegestus ihre Glossen schreibt, "arbeite, dies umgeben von Menschen zu tun scheine, die gar keinen Unterschied zwischen taz und Axel Springer machen". Das "wachsende Gefühl des Unbehagens", das sie da ausdrückt, hat sicher eher mit Deniz Yücel zu tun und kaum etwas bis nichts damit, dass der oben schon erwähnte Andreas Rüttenauer gerade für die WeltN24 GmbH "aus der Beifahrerperspektive" einen TAZ-Gehalts-affinen Opel getestet hat ... +++
+++ "Das wäre in etwa so, als würde die Elefantenrunde nach Wahlen eingeleitet mit: 'Diese Sendung wird präsentiert von CDU und SPD'": Mit diesem vielleicht etwas schiefen, aber nachdenkenswerten Bild lenkt Tom Mustroph im Tagesspiegel den Blick auf ein neues Sponsoring-Problem, das sich die ARD beim Wiederbeleben ihrer Tour-de-France-Übertragung einhandelt: "Der Kochplattenproduzent Bora wird Presenter... . 60 Werbespots hat das Unternehmen laut eigener Pressemitteilung gebucht. Das wäre kaum der Erwähnung wert, wenn Bora nicht auch als Namenssponsor des Rennstalls Bora-Argon 18 an der Tour de France teilnähme." Auch wenn der Kochplattenproduzent aus Raubling immerhin nicht die Aufsichtsgremien der Anstalten alleine besetzt, ist damit doch "ein Objekt der Berichterstattung zugleich Sponsor der Berichterstattung selbst". +++
+++ "7.500 Artikel sollen es insgesamt sein, die er in den mehr als drei Jahrzehnten als Korrespondent geschrieben hat", heißt es in Felix Zimmermanns TAZ-Nachruf auf Walter Haubrich. "Einige davon sind unter dem Titel 'Spaniens schwieriger Weg in die Freiheit' erschienen und lesen sich als Chronik jener Zeit des Übergangs, der 'transición', die ... Spanien nach dem Tod Francos 1975 Schritt für Schritt zur Demokratie werden ließ." +++ Die niederländische Korrespondentin Frederike Geerdink "hätte die Türkei verlassen und damit dem Prozess entgehen können. Aber dann, sagt sie, hätten ihre Gegner erreicht, was sie bewirken wollten: eine kritische ausländische Stimme zum Schweigen zu bringen. Und das, betont sie, käme für sie niemals in Frage", daher steht sie nun in der Türkei vor Gericht. Hasnain Kazim berichtet bei Spiegel Online. +++
+++ Nie nur Gedöns auf den tazzwei-Seiten. Heute erklärt Sarah Harrison im Interview den Unsinn des kürzlich hier erwähnten neuen EU-Kommissions-Richtlinien-Entwurfs, der "Konzerne besser vor Wirtschaftskriminalität schützen" will: "Einige der größten Fälle von Wirtschaftsspionage, die wir in den vergangenen Jahren hatten, sind erst durch die Enthüllungen von Edward Snowden ans Licht gekommen. Von der Spionage betroffen waren auch europäische Unternehmen, zum Beispiel der Telekommunikationsanbieter Belgacom oder das SWIFT-Bankennetzwerk ..." +++
+++ Eine Liste der G8-Industriesstaaten, auf der Deutschland vor Russland Rang 7 belegt? Da geht es um Open Data (heise.de). +++
+++ Die ZDF-Miniserie "Blochin", die ich kürzlich scherzhaft so nannte, ist überhaupt nicht "das deutsche 'Breaking Bad'". Aber vielleicht wird's ja die nun gedrehte Serie mit Bastian Pastewka, die auch schon mal so apostrophiert wurde (dwdl.de). +++ Im Kontext interessant: die "absurde 'Me too'-Haltung" der deutschen Fernsehsender, die Harald Keller anhand eines Beispiels aus der WDR-Hauszeitschrift mit dem lustigen Namen print aufzeigt (untergeschoss.wordpress.com). +++
+++ Stimmen zur neuen Hugo Egon Balder-Show "Der Klügere kippt nach" bei Tele 5: "Für nüchterne Zuschauer zum Fremdschämen" (Richard Weber, tagesspiegel.de). Und dann war's noch "mangels Fallhöhe eher ernüchternd denn erheiternd. Wenn Balder die Sendung wirklich am Herzen liegt, hat er nur zwei Möglichkeiten: Entweder er moderiert selbst und schafft es, Hella von Sinnen halbwegs zu domestizieren. Oder er entfernt seine phonstarke Lieblingspartnerin aus der Show" (der Balder-freundliche Hans Hoff in der SZ). +++ Was so zu sehen/ hören war? "... Von den Peitschen und den traumatisierte Baumarkt-Verkäufern geht es dann schnörkellos weiter zur Kreuzigung. Boning fragt: 'Karfreitag - Warum lässt der Herr sich seit fast 2000 Jahren nicht blicken?' Bernhard Brink wiederum fragt, warum Gott dem Co-Piloten der Germanwings-Maschine nicht ins Steuer gegriffen hat. Und Balder bringt eine Runde Eierlikör ..." (ksta.de). +++ Und Oliver Jungen (FAZ) meint den kürzlich auch anders in Erscheinung getretenen Balder noch mal den "immer wiederkehrenden Tutti-Frutti-Zombie" nennen zu müssen. +++
+++ Die "Hommage in sieben Punkten" auf der auffällig uninspirierten SZ-Medienseite an "Twin Peaks" enthält zwar den Satz "Geht das? Eine Fortsetzung von 'Twin Peaks' ohne David Lynch?", liest sich aber, als sei sie von Lynchs Ausscheiden aus dem Projekt überrascht und ohnehin eher zum Durchklicken als Durchlesen gestaltet worden. +++
+++ Die FAZ-Medienseite bejubelt wie täglich amerikanische Fernsehserien und rekapitulierert noch mal (in Patrick Bahners', nicht Don Alphonsos) Worten, "was beim 'Rolling Stone' falsch lief" (Altpapier gestern): "Da war der Wille, etwas Wichtiges aufzuschreiben in der Redaktion des US-Magazins Rolling Stone, da war irgendwann die Müdigkeit, noch weiter zu recherchieren ..." +++
+++ Jetzt aber das Positive: "Die Welt will mehr über Hamburg wissen", und zwar nicht Springers Welt, sondern die ganze große wegen der Olympia-Bewerbung. Bzw. zumindest der Stern von der Waterkant selbst, die Wirtschaftswoche aus Düsseldorf, die Grazia gar mit einem "vierseitigen Special", und "französische Medien und die internationale Nachrichtenagentur Reuters haben" auch "bereits um Informationen gebeten". Das teilte ein Sprecher der Innenbehörde dem Hamburger Abendblatt (Funke-Mediengruppe) mit. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.