"In den sozialen Netzwerken brodelt es. Vor allem Pressevertreter fragen sich, wem man denn jetzt glauben darf." (Springers welt.de)
Breaking Wendung(en) in der volkstümlich Stinkefinger-Debatte genannten Mittelfinger-Debatte (alle Altpapiere seit Montag), also derjenigen um die Doctored-heit der Geste des griechischen Finanzministers, die ARD-Talkmaster Günther Jauch bzw. sein Team auf Youtube gefunden und in eines ihrer am Sonntagabend gesendeten Einspielfilmchen montiert hatten.
Haben ZDF-Moderator Jan Boehmermann bzw. sein Team ein insgesamt wohl weitgehend tatsächlich anno 2013 in Zagreb aufgenommenes Video von einem Yanis-Vanoufakis-Auftritt manipuliert und den "finger", von dem er damals zwar sprach, ihn aber doch bloß an der Hand trug, in jenem aufsehenerregend aufgereckten Zustand hineinmontiert? Und zwar im Rahmen der Dreharbeiten für diesen, am Dienstag hier verlinkte Videoclip? Das jedenfalls behauptet Böhmermann in einem neuen, seit gestern nacht kursierenden, auch nicht unaufwändig hergestellten "Neo-Magazin"-Beitrag. Darin
"zeigt der TV-Mann in seiner Sendung ein 'Making of' des angeblich gefälschten Videos. An einem Bildschirm erklärt ein Mitarbeiter, wie mithilfe eines Videobearbeitungsprogramms die Hand ausgetauscht wurde. Die Szene hatte das Team angeblich zuvor aufwändig in einem Studio mit einem Double nachgedreht. Von dem ist am Ende nur noch der Unterarm zu sehen. Dieser wird dann vor laufender Kamera in das Varoufakis- Video eingefügt - und ist nicht mehr vom Original zu unterscheiden." (sueddeutsche.de)
Bevor nun jemand zu doll schon wieder glaubt, was er gesehen und/ oder -lesen hat: Gründe, die "für einen Meta-Fake" sprechen, hat die Rheinische Post zusammengetragen. (Nachtrag: Den Begriff "varoufakefake" warf Kai Diekmann unterdessen ins Brodeln; noch'n Nachtrag: "Fakefakefake", von Böhmermann wiederum auf Youtube).
Was sagen renommierte Experten und Alphajournalisten am/ bis zum Donnerstagmorgen?
"Kann sein, kann aber auch wiederum gefakt sein. Das werden die kommenden Tage zeigen. Und auch wenn das nur ein Medienhack ist: Diese zehn Minuten Ausschnitt sind das Subversivste, das seit langem aus dem deutschen Fernsehen ins Netz gekommen ist" (Markus Beckedahl, netzpolitik.org)
"Entweder man glaubt Böhmermann. Oder der ganzen deutschen Medienmeute, NDR, Günther Jauch, Ernst Elitz, 'Bild'-Zeitung" (Stefan Niggemeier)
Matthias Kalle bei zeit.de (um 3.30 Uhr deutscher Zeit):
"Versuchen wir es mal zunächst ganz nüchtern... "
Unter Einbindung eines im Fluss der Vanoufakis-Tweets nicht auf Anhieb sichtbaren, da direkt an Boehmermann gerichteten Tweets ("Humour, satire & self deprecation are great solvents of blind nationalism. We politicians need you badly" - aber wie würden Simultandolmetscher so ein "badly" übersetzen?) gelangt Kalle dann zum Schluss, dass diese Worte, mit denen Böhmermann am Schluss des neuneinhalbminütigen Videos auf die Kacke haut, "die eigentliche Botschaft des Videos von Jan Böhmermann" darstellten:
"Liebe Redaktion von Günther Jauch. Yanis Varoufakis hat Unrecht. Ihr habt das Video nicht gefälscht. Ihr habt einfach das Video nur aus dem Zusammenhang gerissen und einen griechischen Politiker am Stinkefinger durchs Studio gezogen. Damit sich Mutti und Vati abends nach dem 'Tatort' nochmal schön aufregen können. 'Der Ausländer! Raus aus Europa mit dem! Er ist arm und nimmt uns Deutschen das Geld weg. Das gibt’s ja wohl gar nicht. Wir sind hier die Chefs! So!' Das habt ihr gemacht. Und der Rest ist von uns."
Klar, bloß: Eigentliche Botschaften gibt's eben enorm viele in diesem Internet (und auch den unzähligen Quellen, aus denen es sich speist), und kaum eine bewahrt in den Zusammenhängen, die immerzu hergestellt, konstruiert und manipuliert werden bzw. sich sowieso ergeben, ihre Eigentlichkeit.
In ungefähr so einem Sinne können Sie auch bild.de (coole Schreibweise: "Riesen Verwirrung um Varoufakis-Video") einfach per Klick Ihre Reaktion mitteilen, "Lachen", "Weinen", "Wut", "Staunen" oder "Wow". Es reicht, einfach zu klicken und würde nichts kosten, bloß halt bild.des Stellung als Leitmedium einen Tick verfestigen.
Um sich rasch einen Moment zurückzulehnen: Wann wenn nicht jetzt wäre die Stunde, die Beschlussfassung von Lehrplänen für das seit ein paar Jahrzehnten diskutierte Schulfach Medienkompetenz in Angriff zu nehmen? Wenn Kapazitäten zur Ausbildung der Lehrkörper bald geschaffen würden, könnten schon in den 2020er Jahren erste Schüler davon profitieren.
[+++] Zurück zu den nüchternen Fakten:
"Ganz gleich, ob das Video gefälscht war oder nicht: Böhmermanns Fälschungsgeschichte ist ein voller Erfolg. Das angebliche Enthüllungs-Video hatte bereits Stunden nach seiner Veröffentlichung auf Youtube mehr als 300.000 Zugriffe ... ",
würden die bekanntlich vertrauenswürdigen Agenturen AFP und DPA sagen.
Und gucken Sie heute abend lineares Fernsehen (22.15 Uhr, ZDF-Neo), , auch wenn Sie nun schon ein Drittel der Sendung gesehen haben. Wenn Sie solange dem Internet beim Brodeln zusehen wollen - #varoufake bei Twitter einzugeben, wäre ein Weg ...
[+++] Draußen in der nicht-virtuellen Welt brodelt es manchmal auch. Zusammenhänge sind nicht ausschließen, sollten aber auch nicht überbewertet werden. Womöglich brodelt es im Himmel über Griechenland (Reuters-Symbolfoto zur SPON-Topmeldung zur tagesaktuellen Stimmungsverschlechterung "zwischen Griechenland und seinen Geldgebern"). Wir schalten aber rasch nach Frankfurt ...
[+++] "Die 500 wichtigsten Intellektuellen" (auf nur 35 Bildern), die 100 besten Biere der Welt (wohl tatsächlich 100-mal klickbar) - solch legendären Klickstrecken sind das Salz in den Suppen und Wunden des Onlinejournalismus und werden auch hier im Altpapier, wo wir schon lange den iconic turn (iconicturn.de) propagieren, natürlich besonders geschätzt.
In die Reihe der genannten legendären Klickstrecken könnte diese frische der Frankfurter Rundschau eingehen.
"Schnipp, schnapp - und schon ist der Neubau der Europäischen Zentralbank eröffnet. (Eine echt langweilige Fotostrecke - gezwungermaßen.)",
macht das erste Foto gespannt aufs Weiterklicken. Es sind dann allerdings nur acht Fotos die die inzwischen nicht mehr überregionale Zeitung aus DPA-Material zur Eröffnung der Zentralbank an ihrem Erscheinungsort Frankfurt zusammengestellt hat, es geht aber so weiter.
Hintergrund dieser Missgelauntheit macht die Bildunteschrift zu Foto 5 transparent:
"Die Europäische Zentralbank hat die Frankfurter Rundschau - wie alle Frankfurter Zeitungen - von einer Berichterstattung vor Ort ausgeschlossen."
Das ist nur einer der medialen Aspekte zu den Blockupy-Demonstrationen in Frankfurt und zu ihrem Anlass. FAZ-Herausgeber Werner D’Inka kleidete den gleichen Ärger kürzlich in ein abenteuerliches Gleichnis für kluge Bäckermeister, das in die Forderung mündete,
"dass Bäcker und Redaktionen ungehinderten Zugang zu Mehl und Informationen haben"
Aber das war natürlich vor den "Randalebildern" (Bascha Mika heute in im FR-Kommentar "Verbrannte Werte") geschrieben, die auch im wörtlichen Sinne alles überlagern und womöglich Sicherheitsbedenken im Nachhinein nachvollziehbarer erscheinen lassen. Und es ist ja auch schon spät und tief in diesem echtzeitiger als üblich geschriebenen Altpapier, und auch sonst noch einiges passiert. Achten Sie ggf. auf den Stinkefinger, der sich als Teaserbild einer weiteren Klickstrecke in den Randspalten der Rundschau reckt ...
+++ Die Dax-verdächtige ProSiebenSat1 will ins Parfümeriegeschäft expandieren (handelsblatt.com) bzw "wird zur Boutique" (ebd., aber kostenpflichtig). +++ Der Executive Vice President Public Affairs derselben AG, Julian Geist, demonstriert in einem ausführlichen dwdl.de-Interview beträchtliche Missgelauntheit ("Und ob 8 Milliarden Euro TV-Steuer-Einnahmen wirklich rechtfertigen, jedes Mal einen ARD-Brennpunkt zu programmieren, wenn in Athen wieder ein Glas Ouzo umfällt? I don’t know.") +++ Der Chef derselben AG hat einen "Spitzenwert für deutsche Unternehmen" erreicht, was seine eigenen Verdienst angeht (Standard). +++
+++ "Auf die Einladung des Moderators, persönlich auf die CeBIT zu kommen, wenn er Russland verlassen dürfe, sagte Snowden: 'Lassen Sie uns erst Angela Merkel fragen'" (APA/ Standard zu Edward Snowdens Auftritt "vor einem dunklen Hintergrund, der keinen Hinweis auf seinen Aufenthaltsort zuließ", via Videoübertragung). +++
+++ Das ZDF hat (bei heute.de) eine neue "Korrekturen"-Webseite und beruft sich aufs Vorbild der New York Times. Der Tagesspiegel würde sie eher mit dem "Tagesschau"-Blog der ARD vergleichen. +++
+++ Ferner hat der Tagesspiegel ausgiebig mit RBB-Intendantin Dagmar Reim gesprochen, die nicht nur mit der Auskunft überrascht, dass ihr der neue RBB-"Tatort" gefällt, sondern auch z.B. sagt: "Die Quote ist nicht unser einziger Maßstab. Auch Zeitungen werden sich in ihrer Qualität nicht an sinkenden Auflagen messen lassen wollen. Ein Beispiel: Zum 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz haben wir einen ganzen Themenabend gemacht, mit Dokumentation, Film und Interview. Die Quote war katastrophal, andere Dritte Programme sendeten Karneval und Fastnacht. Wenn ich allein an die Quote dächte, dürften wir so etwas nicht machen. Ich sage aber: Wir müssen so etwas machen." +++
+++ Außerdem bespricht der Tsp. schon mal die ab April bzw. Mai anguckbare ZDF-Serie "Eichwald, MdB". +++ Die FAZ-Medienseite macht mal was ganz Extravagantes und bespricht sehr ausführlich die neue Netflix-Serie "Bloodline". +++
+++ Auf der SZ-Medienseite bespricht Daniel Bouhs das "langwierige und teure Geschäft", Archivbestände der Rundfunkanstalten zu digitalisieren: "Bei Magnetbändern sind wir nach 30 Jahren an einen Punkt, wo wir nicht mehr garantieren können, dass die Informationen tatsächlich noch auf dem Band sind, die dort einmal gespeichert wurden', sagt Jens Niederhut, der das Digitalisierungsprojekt leitet." +++
+++ Und Michael Hanfeld (FAZ) schreibt zur heute abend (23.20 Uhr) in der ARD gezeigten Sendung "Weltall.Echse.Mensch.": "Alles wäre besser: Wiederholungen alter Beckmann-Sendungen, ein Remake von 'Die schönsten Bahnstrecken Europas' oder eine Sendung mit echten Tieren." +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.