Der Jugendkanal sollte Neuland heißen

Der Jugendkanal sollte Neuland heißen

Der Verschlüsselungsstandort Nr. 1. Der Mythos von der objektiven, unabhängigen Google-Suche (und ein englischer "Brandbrief" gegen Google). Das Jahrhundertwerk Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (und: Kann man sich noch für den ZDF-Fernsehrat bewerben?) . Außerdem: das deutsche Fernsehwunder.

Erst mal ein Blick in epd medien, den kostenpflichtigen Mediendienst, der seine Inhalte selten frei online stellt. Die noch aktuelle Ausgabe enthält ein großes Interview mit Jacqueline Kraege, die in der breiteren Öffentlichkeit noch immer ziemlich unbekannt ist, obwohl sie als Nachfolgerin Martin Stadelmaiers in der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei im Moment sozusagen die relativ meisten Strippen der deutschen Medienpolitik zieht.

Auf mehr als sechs Seiten äußert sie sich über eine Menge ihrer Baustellen, vom neuen ZDF-Staatsvertrag (womöglich müssen Medienbeobachter sich an den Begriff "Körbe" gewöhnen, denn es könnte angesichts des "ungefähr einen halben Meter" hohen "Stapels von Bewerbungsschreiben" für Sitze im ZDF-Fernsehrat sein, dass "wir mehr Institutionen in den Blick nehmen als Plätze zu vergeben sind und dass man sogenannte Körbe bildet, und die entsendenden Gruppierungen sich dann darüber verständigen müssen, wen sie entsenden wollen") bis zum weiterhin in ausgeruhter Planung befindlichen Jugendkanal. Vor allem unter diesem Aspekt ist das Interview hier nebenan zusammengefasst. Auch der Name sei noch gar nicht klar, sagt Kraege:

"Wir sprechen ungern von einem Jugendkanal, es wird dafür einen ansprechenderen Namen geben. Ich bin verhalten optimistisch, dass es eine positive Entscheidung geben kann. Jüngst hat sich auch die Arbeitsgruppe der CDU-Medienpolitiker grundsätzlich für ein solches Angebot ausgesprochen und angeregt, nach einer Anlaufphase eine Evaluierung durchzuführen, weil man Neuland betritt und nicht ganz sicher ist, ob man mit der Zielgruppe und dem Finanzbedarf richtig liegt. Das würde ich gern aufgreifen und in die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz einbringen. Wir halten dieses Angebot nicht nur für die Jugendlichen für wichtig, sondern auch, weil es ein Experimentierfeld sein kann, ein Labor für Interaktivität, User Generated Content und anderes."

Halt, wäre "Neuland" nicht gleich solch ein ansprechender Name? Der Begriff ist in weiten Teilen der netzaffinen Zielgruppe ja bestens eingeführt und würde auf Seiten von ARD und ZDF allen genannten Forderungen gerecht. Mit aktuellen Nutzern des Markennamens ließe sich gewiss verhandeln.

Außerdem fasziniert am Kraege-Interview, wie stark die Staatskanzleichefin dem Eindruck entgegentritt, dass all die Baustellen, auf denen die Medienpolitk seit Jahren bis Jahrzehnten, während denen die Entwicklung immer weiter ging und geht, zugange ist, einfach zu viele werden könnten.

"Wir haben bei manchen Themen gute Fortschritte erzielt. Wenn man sich das Jahrhundertwerk Rundfunkbeitragsstaatsvertrag anschaut: Auch der hat seine Zeit gebraucht, aber er ist ordentlich aufgesetzt und wir sind durch die ersten beiden  Verfassungsgerichtsentscheidungen in Bayern und Rheinland-Pfalz voll bestätigt worden ...",

sagt sie unter anderem. Der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag als "Jahrhundertwerk", das dürfte die weitreichendste Bestandsgarantie sein, die die Öffentlich-Rechtlichen je bekamen.

[+++] Alles zur sog. "'Tatort-Krise" (Bild-Zeitung gestern) folgt weiter unten. Zunächst zur "Digitalen Agenda" der aktuellen Bundesregierung. Eine "Bund-Länder-Kommission für Medienpolitik" zwecks Abstimmung von Länder- und Bundes-Kompetenzen und Einführung einer "der Medienkonvergenz angemessenen Medienordnung" zählt zu den medienpolitischen Ideen im Koalitionsvertrag (vgl. medienpolitik.net) und auch zu den Baustellen der Länder-Vertreterin Kraege. Den 36-seitigen Zwischenstand der von der Bundesregierungs-Koalition beschlossenen Agenda hat gerade netzpolitik.org "als Leak" präsentiert. Er enthält so schöne Ideen wie, nur zum Beispiel:

"Wir wollen Verschlüsselungs-Standort Nr. 1 auf der Welt werden."

"Wir wollen Klarheit über das anwendbare 'Völkerrecht des Netzes' herstellen ..."

"Darüber hinaus ... ... setzen wir uns für ein 'Hauses [sic] der Digitalen Freiheit' in Berlin ein."

Markus Beckedahl ist mit der Demut des gründlichen Betrachters all dessen, was sich so Netzpolitik nennen ließe, gar nicht so doll enttäuscht ("Aber besser als nichts").

Aber Annett Meiritz bei Spiegel Online ist es nun ("Drei Minister, eine Enttäuschung"), während Stefan Schulz es in der FAZ irgendwie wolkiger sieht - mit Ballonen von Google sowohl als (Online-)Symbolbild als auch als Metapher als auch als konkreter Maßnahme, um schnelles Internet auch in eher ablegenen Regionen zu verbreiten. Dieser Punkt postulieren Regierungs-Agenden ja seit Jahrzehnten.

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[+++] Google ist eben in so vielen Bereichen Monopolist, Marktführer und/ oder Vorreiter, dass es bei jedem digitalen Thema reinspielt. Auch heute in den Zeitungen gibt es mindestens zwei größere Google-Texte. Einmal hat im Wirtschaftsressort der Süddeutschen Javier Cáceres läuten gehört bzw. "vor allem" in "Zeitungsberichten", internationalen, gelesen, dass die eigentlich schon in Auflösung befindliche alte EU-Kommission und der definitiv aus dem Amt scheidende Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia ihre lange mit Google verhandelte Einigung über Wettbewerbsregeln doch noch platzen lassen könnten. In dem Fall, wenn "eine endgültige Entscheidung über die Zukunft Googles in die Hände der künftigen Kommission fallen würde", würde "es für Google ungemütlich".

Das betrifft Forderungen, wie sie u.v.a. deutsche Verlegerverbände und Verlage schon lange erhoben und -heben, wobei "an vorderster Front der Anti-Google-Rebellen" aber "das britische Unternehmen Foundem, das im Internet Preisvergleiche anbietet", und von dem man hierzulande auch noch selten gehört hat, stehe. Ein "Brandbrief" von dessen Gründern (hier als PDF), in dem u.a. von "Fundamental Errors in the Commission’s Analysis of Google’s Proposals" die Rede ist, könnte den Ausschlag gegeben haben.

Eine Nebenrolle im SZ-Artikel spielt der in Deutschland vor allem als Sigmar-Gabriel-Forderung bekannte Vorschlag, Google zu zerschlagen. Wer sich heute an ganz anderer, aber eben ebenfalls Google betreffender Front dagegen ausspricht: die TAZ.

"Gut, es gäbe dann mehrere große statt einen riesigen Pool persönlicher Nutzerdaten, aber weder würde damit der Umgang privatsphärenfreundlicher noch die Suche transparenter",

schreibt Svenja Bergt und fordert stattdessen:

"Vielversprechender wäre dafür die Offenlegung des Suchalgorithmus. Das würde nicht nur Klarheit schaffen, wenn sich die Reihenfolge der Suchtreffer merklich verändert. Auch der Mythos von der objektiven, unabhängigen Google-Suche ware dann aus der Welt geschafft." 

Anlass dieses Kommentars ist die Debatte um das vom Europäischen Gerichtshof anerkannte "Recht auf Vergessenwerden" (Altpapier), in dessen Folge auch Artikel deutscher Zeitungen wie der TAZ aus Ergebnislisten deutscher Googlesuchen gelöscht werden (aktuell berichtet das Neue Deutschland von so etwas). Die daraus resultierende Debatte "insinuiert ...: Google ist wichtig für die Pressefreiheit", meint Berg in der TAZ, dabei sollte und dürfte es das gar nicht sein.

[+++] Jetzt aber Popcorn! Was ist dran an der "'Tatort'-Krise" (gestern groß in der Bild-Zeitung und im kostenpflichtigen "Bild plus"-Bereich)?

Auch wenn die Fernsehproduzentenlobby natürlich drauf anspringt: eigentlich nichts (Ekkehard Kern in Springers Welt), eigentlich nichts (dwdl.de), eigentlich nichts (Süddeutsche). Für diese ließ David Denk sich vom "Tatort"-Zampano Gebhard Henke sagen, dass das "ein typisches Sommerlochthema" sei. Denk wundert sich dann über die "Dialektik für Fortgeschrittene", die die Bild-Zeitung gestern betrieb, indem sie der ARD mal so einen "Sparkurs" vorwarf, wie sie ihn viel öfter zu fordern pflegt. In diesem Sinne hat bild.de nun sogar noch fortgeschrittenere Dialektik ("Nach Bild-Informationen soll die Kult-Show 'Verstehen Sie Spaß?' künftig nicht mehr auf Tour gehen und aus sechs Städten gezeigt werden ...") frei online gestellt.

Am schönsten aber liest sich Joachim Hubers Beitrag im Tagesspiegel:

"Die Fernseherfahrung lehrt, dass ein Mehr an Krimis die Zahl der guten Krimis erhöhen kann, nicht aber zwangsläufig erhöhen muss. Das erste Halbjahr 2014 spricht nicht für eine Ausweitung der 'Tatort'-Zone. Das Mittelmaß so stark wie der Übermaß ... ... Der 'Tatort' ist ein Fernsehwunder. Durchschnittlich 9,32 Millionen Zuschauer sahen 2013 zu - in der steten Hoffnung, dass der nächste Krimi besser sein möge als der gerade gesehene."


Altpapierkorb

+++ In der TAZ geht Anne Fromm der Frage nach, wie Medien mit den Bildern aktueller Katastrophen umgehen, und wie ihr Umgang sich zu sog. sozialen Medien verhält: "Auf Twitter findet man aus Gaza, der Ukraine und Syrien Fotos von zerschossenen Kinderköpfen und übereinander gestapelte Leichen in ihrer eigenen Blutlache. Dabei ist die Geschmacklosigkeit dieser Bilder nur die eine Sache. Die andere ist deren Echtheit..." +++

+++ Auf der SZ-Medienseite schaut Klaus Ott, auch nicht undialektisch, unter anderem aus dem bayerischen Haderthauer-Anlass auf die Medienjustiz. Einerseits geht es um das "Geschäftsmodell Medienanwalt", wie Oliver Schröm (Stern/ Netzwerk Recherche) es nennt, das "vor allem kleine Verlage und freie Journalisten bedroht. Sie könnten sich teure Gerichtsverfahren nicht leisten". Andererseits weisen solche Medienanwälte, "nicht zu Unrecht, auf Auswüchse in manchen Medien hin", etwa auf Missleistungen der Bild-Zeitung. Die dritterseits wiederum manchmal wichtige Prozesse gewinnt, etwa kürzlich vorm EuGH in der Frage, welche Zitate über Gerhard Schröder verbreitet werden dürfen. +++ "Wenn der politische Gegner einen solchen Plot erfinden würde, wäre das fast bösartig", erläutert anderswo im selben Blatt Kurt Kister die Haderthauer-Sache. +++

+++ Aktuell Juristisches auf der SZ-Medienseite: Boris Becker (wegen eines Tweets) vs. ein zur Funke Woman Group gehörendes Blatt. +++ Wie zaghaft die ebenfalls den Funkes gehörende  Hörzu mit dem ZDF-Skandal um "Deutschlands Beste!" umgeht, hat Boris Rosenkranz für den NDR-Zapp-Blog aufgeschrieben. +++

+++ Zum ZDF-Skandal hat sich nun Bundes-"Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) zu Wort gemeldet und einen grundlegenden Kurswechsel im Mainzer Sender angemahnt" (handelsblatt.com, für das ich auch schreibe, gerade über die jüngste Anne-Will-Show). Das ZDF löst seine Redaktion "Team Event und Show" auf. +++

+++ Die FAZ war immer schon Erster am Set, wenn Nico Hofmann was neues Spektakuläres produziert und ist's seit heute auch beim Sat.1-Filmfilm "Die Schlikkerfrauen", "eine Tragikomödie, angelehnt an die Insolvenz der Drogeriekette Schlecker im Jahr 2012". Sky du Mont spielt Theo Schlikker. +++ Außerdem erzählt auf der FAZ-Medienseite Gina Thomas die komplizierte Geschichte von "Englands berühmtestem Enthüllungsreporter" Mazher Mahmood, der verkleidet schon viele Prominente heimlich gefilmt hat. Wegen der aktuellen Enthüllung, dass die "X Factor"-Jurorin und Hiphop-Sängerin Tulisa Contostavlos Kokain beschafft habe, distanziert sich nun aber sogar die Murdoch-Presse von ihm. +++

+++ Dass das noch, anders ebenfalls Murdoch zuzurechnende deutsche Sky schon wieder die Kneipenfernseh-Fußballpreise erhöht, melden TAZ und dwdl.de. Es geht auf digitalfernsehen.de zurück. +++

+++ "In den letzten Jahren hat sich die Arbeitsweise von vielen Journalisten radikal geändert: Soziale Netzwerke wie Twitter oder Facebook dienen als Sensor für die Meinung der Bevölkerung ... . Je stärker ein Journalist in diesen Netzen Informationen aufnimmt und wieder abgibt, desto wichtiger wird die Neutralität dieser Netze, da es sonst zu erheblichen Verzerrungen kommen kann. Nun ist das leider schon länger nicht mehr der Fall: Twitter, Facebook oder Google formen unsere Streams nach unseren Leseinteressen": interessanter Artikel bei onlinejournalismus.de. +++

+++ "Wer künftig zumindest 12 Artikel im Monat für eine Tageszeitung schreibt, muss dafür 250 Euro bekommen": Diese groteske Mindestlohn-für-Freie-Regelung soll nun in Italien gelten (TAZ). +++

+++ Und wer dann auch noch die Steilvorlagen des aktuelle Spiegel nutzte: Stefan Niggemeier (der seine alleraller-brisantesten Stories zurzeit vermutlich für den Start des Krautreporter-Projekts aufspart). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.
 

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