Kleinste Textausschnitte

Kleinste Textausschnitte

Jetzt doch wieder ohne Google... - und andere Kuriositäten zum bestimmt oder vielleicht so oder so kommenden Leistungsschutzrecht. Außerdem: Gibt es die Frankfurter Rundschau auch am Freitag noch? Und natürlich dicke Debatten...

Nachdem im Verlauf des gestrigen Dienstags an dem umstrittenen Gesetzesentwurf eine spektakuläre Änderung durch Einfügen eines neuen Halbsatzes vorgenommen worden war, nämlich dieses Halbsatzes, wie zuerst netzpolitik.org berichtete:

"es sei denn, es handelt sich um einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte"

läuft die Achterbahnfahrt dieses inzwischen nicht mehr jungen Gesetzesvorhabens immer noch weiter. Wir schalten flugs zu welt.de, also einer Webseite des besonders engagierten Springer-Konzerns. Dort schreibt Ulrich Clauß nicht nur von einer "womöglich ... schweren Niederlage" der deutschen Zeitungsverlage, sondern setzt zur Vermeidung dieser Niederlage auch Hoffnung auf ausgerechnet auf die Grünen, die sowieso gegen das Gesetz in all seinen vielen Formen waren:

"Die Änderung des Gesetzestextes ermöglicht nämlich der Opposition laut Geschäftsordnung, eine weitere Sachverständigen-Anhörung zu beantragen. 'Sollte die Regierungskoalition am Mittwoch im Rechtsausschuss einen geänderten Gesetzestext vorlegen, werde ich von dem Recht, eine weitere Sachverständigen-Anhörung zu beantragen, Gebrauch machen,' sagte Jerzy Montag, Berichterstatter der grünen Bundestagsfraktion, der 'Welt'. Daraus folgende Terminverschiebungen sind nicht absehbar".

Absehbar war, ist und bleibt vermutlich auch nichts in der deutschen, nennen wir es: Netzpolitik. Das ist unter Entertainmentgesichtspunkten begrüßenswert. Alle anderen Gesichtspunkte würden sich logischerweise erst dann ergeben, wenn Gesetze dieser Politik gültig werden würden.

Zurück zum gestern neu in die, nennen wir es: Debatte eingefügten Halbsatz von den "kleinsten Textausschnitten", welche also vom LSR ausgenommen werden sollen. Dabei handelt es sich um die sog. "Snippets", was wiederum einer dieser Begriffe aus dem Englischen ist, für die es gar kein präzises deutsches Wort gibt, was dann zu enorm unpräzisen Diskussionen mit beiträgt. Faktisch wurde mit dieser Snippets-Ausschlussklausel Google, also der größte Gegner des LSR, vom LSR ausgenommen, weshalb die Überschrift zum verlinkten Welt-Artikel auch "Koalition beugt sich Google" lautet.

In der Form also will die Regierungskoalition das lang und breit angekündigte Gesetz bei der am Montag auf den Freitag angesetzte Abstimmung im Bundestag bringen (netzpolitik.org). So sollten die von Siegfried Kauder, dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses und CDU- (also Regierungskoalitions-) Politiker an der vorigen Gesetzesfassung geäußerten (siehe z.B. heise.de) verfassungsrechtlichen Bedenken ausgeräumt werden.

Wurden sie durch den Halbsatz ausgeräumt? Ja, twitterte Thomas Jarzombek (auch CDU). In dieser Form "könne er mit dem Gesetz leben", zitiert taz.de sogar Kauder höchstselbst.

Was sind denn nun "kleinste Textausschnitte" in der Definition der Regierungskoalition, und was würde eine googlelose "Lex Google" bewirken?

Die mit weitem Abstand präziseste Definition "kleinster Textausschnitte" wurde bereits vor dem Beschluss des jüngsten Gesetzesentwurfsänderung ad acta gelegt, weiß Stefan Krempl bei heise.de: "Die FDP wollte ursprünglich 160 Zeichen festschreiben" - also genau die Länge, die auch unsere führenden Politiker vom Simsen her bestens kennen. So präzise wird's aber nicht in ein eventuelles Gesetz geschrieben.

Krempl zitiert dann den FDP-Rechtspolitiker Stephan Thomae, der von einem "'guten Kompromiss', mit dem sowohl Verleger als auch Suchmaschinen gut leben könnten", und von einem "gewissen Kontext", in den Suchbegriffe in Trefferanzeigen gestellt werden könnten, sprach.

Was sagen weitere, sagen wir: Experten aus der Politik?

Dass die Auszüge a.k.a. Snippets "durchaus mehr als die Überschrift und den Link zur Textquelle enthalt dürfen", sagte Manuel Höferlin, ein "FDP-Netzpolitiker" zur DPA (newsroom.de). Wer kein Textroboter ist, sondern etwas Sprachgefühl besitzt, weiß, dass "durchaus" ein oft weglassbares Füllwort ist, das, wenn man es trotzdem benutzt, bekräftigenden Charakter hat und insofern eigentlich nicht zu "kleinst" passt... Aber weiter in der Umschau: "Einzelne Worte sollten nie lizenzpflichtig sein", sagte Günter Krings (CDU) der FAZ (online und Papierzeitung S.1), die dort noch einen weiteren FDP-Politiker zitiert, den rechtspolitischen Sprecher Marco Buschmann. Dessen Interesse scheint vor allem dahin zu gehen, dieses Gesetz am Freitag ohne weitere Anhörungen und dergleichen durchzubringen/ loszuwerden.

Und wer wäre von so einem Gesetz betroffen? "Das Leistungsschutzrecht ziele in dieser Fassung vor allem auf Dienste, die komplette Zeitungsinhalte im Internet sammeln" (newsroom.de in Bezug auf Höferlin/ FDP). "Betroffen wären demnach voraussichtlich nur Anbieter von Web-Diensten oder Apps, die gesamte Texte aus verschiedenen Publikationen zusammenfügen. Blogger und nicht gewerbliche Anbieter sind ohnehin vom Leistungsschutzrecht ausgenommen" (meedia.de). "Die einzigen, die vom #LSR gefickt werden, sind die freien Journalisten" (Lars Fischer auf Twitter).

Damit  sind wir im Snippetmedium Twitter, dessen Beiträge ja manchmal "hingeworfene Blitzgedanken und halbgare Halbsätze" sind, die früher "zwischen Teeküche und Treppenhaus den Moment ihrer Aussprache nicht überdauerten" (Sascha Lobo in seinem aus Christopher-Lauer-Gründen verfassten, auch nicht vollgaren FAZ-Feuilletonbeitrag von gestern). Bei Twitter gab es zum Thema #lsr natürlich ein Twittergewitter, das freilich wegen der Vielzahl der dauernd donnernden Twittergewitter den meisten Twitternutzern entgangen war. Kurze Kompilation daraus:

"Murks" (Nico Lumma, "Eiertanz" im selben Tweet stammt von Siegfried Kauder), " #lsr ohne snippets hilft google, bringt den verlegern nichts und schadet urhebern noch mehr als bisher..." (Jörg Braun), "ridiculous German Leistungschutzrecht gets more absurd..." (Jeff Jarvis), "... Volltrunkenheit ...Kokseinfluss" (Thomas Knüwer).

Knüwer hat auch bereits zum Thema gebloggt und in seinem nicht nur an gewohnter Polemik, sondern auch Bühnenmetaphern und (aus Twitterzitatgründen) Thomas-Knüwer-Fotos reichen Beitrag die bislang plausibelste Prognose zu den tatsächlichen Auswirkungen von Gesetzeskraft des aktuellen LSR-Entwurfs versteckt:

"Es scheint, die Regierungsparteien sind ob des Versuchs, das Drängen der Verlagslobby in Einklang zu bringen mit der schlichten Realität, wahnsinnig geworden. Und nun könnten sie etwas beschließen, was allerhöchstens der Abmahnindustrie gefallen wird. Die wird definitiv versuchen, bei Betreibern kleiner Seiten und Blogs Kasse zu machen."

####LINKS####

[+++] Falls sich noch jemand ärgern möchte und die von Lobo propagierte "Kunst des Ignorierens" nicht beherrscht: Auf Sie wartet auf S. 8 der FAZ noch ein kräftiger, von "Mü." gezeichneter  Kommentar, in dem von "all den vielen geheimen und den wenigen bekennenden Google-Lohnschreibern" in Deutschland sowie vom "öffentlich-rechtlich geprägten Medienzoo Deutschland" (in dem  das "Gespür für Marktmacht und Monopole" "chronisch unterentwickelt" sei) die Rede ist.

[+++]  Falls Sie hier eine Einordnung der ja noch schwungvoll laufenden Achterbahnfahrt erwarten: Mein Eindruck war und ist, dass die Netzpolitik der Bundesregierung so abläuft wie die Medienpolitik mit ihren Rundfunkstaatsverträgen. Das heißt: Zur Abstimmung im Parlament wird möglichst alles Kontroverse aus den Gesetzestexten rausgehalten, die daher ungemein nichtssagend werden, so dass in einer ungewissen Anzahl von Detailfragen erst die Gerichte konkret entscheiden werden, und zwar wegen der grundsätzlich leider hohen Bedeutung der Sache am Ende die höchsten.

[+++] Was diese Ansicht heute stützt: dieser kleine Tagesspiegel-Artikel, der zwei neue bzw. neu bekannter gewordene Ausnahmefälle von der neuen (von allen deutschen Landesparlamenten beschlossenen) Rundfunkgebühr zusammenwirft: Einerseits brauchen Freiwillige Feuerwehren für ihre Feuerwehrautos nicht an die GEZ zu zahlen, andererseits (da zitiert der Tsp. aus der neuen Kolumne des Verlagskollegen Hans-Peter Siebenhaar, der ja keineswegs in allen Punkten unrecht hat) müssen wohl schon seit jeher ausgerechnet Privatfernsehsender nicht zahlen. So sinnvoll und sympathisch zumindest Freiwillige Feuerwehren auch sind: "Der neue Rundfunkbeitrag bekommt immer neue Löcher bei der Frage, wer die Abgabe für ARD, ZDF und Deutschlandradio wirklich bezahlen muss", da hat Joachim Huber vom Tsp. völlig recht.

Käme das LSR in einer der aktuellen Fassungen, würde es ähnlich laufen und nur die lobbylosesten Gruppen treffen.

[+++] Damit noch rasch an einen Brennpunkt der Zeitungskrise. Noch bevor am Freitag der Bundestag vielleichts übers LSR abstimmt, könnten die Lichter der Frankfurter Rundschau ausgehen.

"Wenn das Kartellamt die Übernahme erlaubt, könnte die FAZ offenbar noch am Donnerstag den Kaufvertrag unterschreiben. Wenn nicht, könnte die FR wohl bereits am Freitag nicht mehr erscheinen", berichtet die Süddeutsche Zeitung (S. 31). Die TAZ weiß, dass der türkische Kaufkandidat Burak Akbay mit einem erneut "verbesserten Angebot" noch im Spiel sei, wenn auch nicht mit reellen Chancen.

Um die Lichter-Ausgehen-Frage wieder zu entdramatisieren: Die meisten Mitarbeiter der FR betrifft ohnehin nicht, was aus der FR wird. Die TAZ berechnet:

"Für das Druck- und Verlagshaus Frankfurt, zu dem Druckerei und Verlag gehören, sind aktuell etwa 450 Mitarbeiter tätig. Den allermeisten wurde laut Insolvenzverwaltung in dieser Woche bereits gekündigt. Übernimmt die FAZ, können lediglich 28 Redakteure bleiben, unklar ist, was mit den rund 25 Redakteuren, die über eine Leiharbeitsfirma für die FR arbeiten, passiert. Sollte überraschenderweise Burak Akbay zum Zuge kommen, will er '90 bis 130 Jobs erhalten, auch in der Druckerei'. Wird die FR eingestellt, müssen alle gehen."


Altpapierkorb

+++ Dicke Debatten wieder im FAZ-Feuilleton. Auf S. 28 erinnert das Autorenteam Gerhart R. Baum, Constanze Kurz und Peter Schantz unter der Überschrift "Das vergessene Grundrecht" an das "heute vor fünf Jahren, am 27. Februar 2008", vom Bundesverfassungsgericht verkündete "Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme". Zweimal wird "die Politik" gefordert ( u.a.: "... Diese Vorgaben darf die Politik nicht länger ignorieren..."), am Ende mündet der ehrenwerte Text ungefähr in diesen Appell: Das Urteil "sollte ... Anlass sein, eine Debatte über digitale Bürgerrechte anzustoßen. Weil fast jedes Handeln Datenspuren hinterlässt, ist es technisch ohne weiteres möglich, fast jeden Aspekt des Lebens zu erfassen. Und die Dynamik der technischen Entwicklung nimmt noch zu..." Schön und gut, aber vielleicht müsste man auch mal debattieren, ob es "die Politik" in so einem Sinne außer in Sonntagsreden und besonders archaischen Leitartikeln überhaupt noch gibt (oder jemals gab). Zumal, was das Thema Internet betrifft. +++

+++ Ebd., Medienseite 31: "Das Märchen vom Siegeszug der digitalen Werbung". Da schreibt Horizont-Chefredakteur Jürgen Scharrer über den agenturenbetriebenen Hype digitaler Werbung. Das ist alles andere als frei von Eigeninteressen der FAZ und anderer Papierzeitungen ("Tatsächlich aber bringt man als Leser einer Zeitung, für die man Geld bezahlt, eine ganz andere Aufmerksamkeit entgegen als einem kostenlosen Nachrichtenportal"), aber durchaus lesenswert: "Richtig absurd wird es, wenn Vermarkter von Plakatwerbung über QR-Codes als Einstiegsportal in die digitale Welt schwadronieren. Dabei ist die Vorstellung, die Menschen würden in Zukunft massenhaft mit ihren Smartphones QR-Codes von Plakaten abfotografieren, um auf irgendwelche Websites zu gelangen, reichlich grotesk...". +++

+++ Die gestern hier verlinkte Meinung von Peer Schader (Fernsehblog auf ulmen.tv) zur neuesten Claas/ Joko-Show war positiv. Die Mehrheit anderer Meinungen ist eher negativ: "Eine gute Stunde Fernsehen, die an Langeweile und mauen Witzen kaum zu überbieten ist" (Jan Wiele, FAZ), Joachim Huber (Tsp.) zeigt sich tough beim Anwenden des Fachbegriffs "Medienhure" und gelangweilt von Sido. Arno Frank bei SPON hat einen Gag mit kleinwüchsige Menschen irgendwie missverstanden (besser verstanden scheint ihn bild.de zu haben...) und meint, ein anderer Gag sei "in Hollywood geklaut" (was die SPON-SEO-Abteilung gern benutzt, um auf spiegel.de/thema/hollywood zu verlinken. +++

+++ Berlin vs. RTL, was Dreharbeiten zur einer Baby-Doku nach BBC-Lizenz betrifft: Den ausführlichsten Bericht zum Thema hat dwdl.de. +++ Was sind "Multi Rig Documentaries", von denen im Kontext die Rede ist? Dort "wird ausschließlich mit vollautomatischen und ferngesteuerten Kameras rund um die Uhr gefilmt" (meedia.de). +++

+++ Was es mit dem Ende der „International Herald Tribune auf sich hat, steht jetzt auch im Tagesspiegel. Leider ist das daher gerade beliebte Foto von Jean Seberg im entsprechenden T-Shirt  aus Godards "Außer Atem" online unscharf... +++ Hopsala, ein TAZ-Artikel propagierte die Todesstrafe? Mehr stand bei SPON. +++

+++ Als neulich auf einer Party Stern-Chefredakteur Thomas Osterkorn Silke Burmester erblickte, sagte er: "Oh Gott! Oh Gott!", berichtet dies. in der TAZ. +++ "Es ist den Menschen hierzulande schlichtweg egal, wer da nach Malmö fährt. Cascada haben nicht das Zeug, mit ihrem sterilen Klangkonstrukt Gefühle zu binden. 'Glorious' stampft eine Weile vor sich hin, und im besten Falle wundert sich der eine oder andere Hörer, warum Loreens 'Euphoria' nun ein bisschen anders klingt", schreibt Hans Hoff auf der SZ-Medienseite zum nun offiziell nicht als Plagiat eingestuften Grand Prix-Schlager - beinahe so, als hätte "Euphoria" seine Gefühle gebunden. +++

+++ Und mal wieder mit Konstantin Neven DuMont gesprochen hat die Süddeutsche ebenfalls. Der als "Schlusspunkt hinter einer der größeren Affären in der deutschen Zeitungslandschaft" gerade aus dem DuMont Schauberg-Verlag ausgeschiedene Verlegersohn informiert gründlich über seine Immobilienpläne sowie über evidero.de: "Bislang sei das Portal allerdings nicht gewinnbringend. Er habe zum Start des Portals eine sechsstellige Summe investiert und für das laufende Jahr erneut Geld im fünfstelligen Bereich nachgeschossen. Aus Kostengründen würden für die Seite nun keine Videos mehr gedreht, stattdessen konzentriere man sich jetzt auf Texte..." Dort geht's aktuell z.B. um das am Willy-Brandt-Berufskolleg in Duisburg wählbare Schulfach Glück. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.
 

weitere Blogs

In einer Kirche hängt links neben dem Altar ein Schild mit der dreisprachigen Aufschrift No pasar - Überholverbot - no passing
In Spanien gibt es ein Überholverbot am Altar.
G*tt ist Körper geworden. Was für eine Gedanke! Birgit Mattausch geht ihm nach.
Heute erscheint der sechste und vorerst letzte Beitrag unserer Themenreihe Polyamorie. Katharina Payk fragt: Wo kommt Polyamorie im Kontext von Kirche und Pfarrgemeinde vor?