Pfister macht Kummer

Pfister macht Kummer

Abenteuerlust und Aufstiegswille: Was den Journalismus unserer Tage umtreibt. Mit René Pfister, der Henri-Nannen-Jury, Sabine Rückert, einem Drehbuchautor und der DDR.

Gleich mal einen Disclaimer raushauen, wie das im Qualitätsinternetjournalismus zum guten Ton gehört:

"Ein Betrüger vom Schlage des Schweizers Tom Kummer, der mit fiktiven Interviews 2000 einen Medienskandal auslöste, ist Pfister deshalb aber nicht."

Der Satz ist der letzte im detailreichen Rechercheprotokoll der hier aus schierem Respekt so genannten Medienwühlmaus Kai-Hinrich Renner im Hamburger Abendblatt. Renner gibt Einblick in die Abläufe, die zu einem, und hier hauen wir jetzt einfach mal auf die Pauke, in der Mediengeschichte von alter und neuer Bundesrepublik einmaligen Vorgang geführt haben – der Aberkennung eines gerade verliehen Egon-Erwin-Kisch-Preises für den Spiegel-Redakteur René Pfister und sein Portrait, das keine Reportage war, mit dem Einstieg in Horst Seehofers Hobbykeller, den Pfister nie von innen gesehen hatte (siehe Altpapier von gestern).

Was aber, wenn kein Betrüger, ist Pfister dann?

"Wenn aber eine Reportage als die beste des Jahres ausgezeichnet und damit als vorbildlich hervorgehoben werden soll, muss sie besondere Anforderungen erfüllen. Pfisters Text erfüllt diese Anforderung nach Ansicht der Jury-Mehrheit nicht."

Heißt es in der Stellungnahme der Jury, die wir auf der Henri-Nannen-Preis-Seite jetzt nicht gefunden haben, dort steht auch (Stand 8:52 Uhr) Pfister noch in der Liste der Preisträger ganz oben.

Die Stellungnahme findet sich in ganzer Länge auf Spiegel-Online, wo sich auch eine Stellungnahme des Spiegel findet, der Unerheblichkeit insinuiert (vier Absätze vs. vier Seiten) und keine Täuschungsabsicht erkennen kann ("an keiner Stelle ... behauptet"):

"René Pfister hat in den ersten vier Absätzen seiner vier Seiten umfassenden Geschichte über Horst Seehofer das Hobby des CSU-Vorsitzenden geschildert, der in seinem Keller eine Märklin-Eisenbahn stehen hat. Die Informationen für den Einstieg beruhten auf Gesprächen mit Seehofer, dessen Mitarbeitern sowie SPIEGEL-Kollegen, die den Hobbykeller selbst in Augenschein genommen haben. An keiner Stelle hat der Autor behauptet, selbst in dem Keller gewesen zu sein."

Außerdem hält der Spiegel den Umgang mit dem Autor für unfair:

"Die Jury hat mehrheitlich entschieden, René Pfister den Preis abzuerkennen, ohne ihn selbst anzuhören oder Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Ein solcher Umgang mit einem untadeligen Kollegen widerspricht den Regeln der Fairness."

Das kann man sicherlich alles so sagen, gleichzeitig wird man den Eindruck nicht los, ein wenig selbstkritischere Einlassungen hätten der Stellungnahme gut getan. Schon deshalb, weil dieser respektlose Kai Diekmann dem Spiegel beim nächsten kritischen Interview über das Unwesen der Bild-Zeitung das doch wieder nur genüsslich um die Ohren hauen wird.

Es wäre interessant zu wissen, wie die Lage beurteilt worden wäre, handelte es sich bei Pfisters Text nicht um einen Spiegel-Artikel, sondern um einen, sagen wir, Text aus den Weiten der so genannten Blogosphäre.

Wo das Problem steckt, will auch Renner wissen.

"Wer hat denn nun einen Fehler gemacht? Der 'Spiegel'-Redakteur Pfister, der ein Porträt über Horst Seehofer in der Kategorie Reportage beim Henri-Nannen-Preis einreichte, obwohl sein Stück eine Passage über die Modelleisenbahn des bayerischen Ministerpräsidenten enthielt, von der er nur vom Hörensagen wusste? Oder die Jury, die seinem Text den Reportage-Preis zuerkannte, weil sie nicht bemerkte, dass der 'Spiegel'-Mann zumindest auf drei Absätzen seines drei Seiten langen Textes Begebenheiten schilderte, von denen er aus zweiter Hand erfahren hatte?"

Zur Jury bleibt zu sagen, dass die Zusammensetzung eher auf die Verlängerung der Blattkritik, die der Chef noch selbst macht, ins Preisverleihungswesen schließen lässt als auf einen Wettbewerb um die besten Texte.

"Die elfköpfige Jury hatte sich um 16.15 Uhr zu einer Telefonkonferenz zusammengeschaltet. Nur der Chefredakteur der 'Süddeutschen Zeitung', Kurt Kister, fehlte. Er hatte zuvor seinen Mitjuroren eine schriftliche Erklärung zukommen lassen, in der er sich gegen eine Aberkennung des Preises aussprach. Außer ihm votierten auch 'Geo'-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede, 'FAZ'-Herausgeber Frank Schirrmacher und 'Spiegel'-Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron gegen eine Aberkennung."

Was im Umkehrschluss bedeutet, dass Anke Degenhard, Elke Heidenreich, Thomas Hoepker, Giovanni di Lorenzo, Helmut Markwort, Jan-Eric Peters, Andreas Petzold, Ines Pohl, Ulrich Reitz und Gerhard Steidl (was beim Nachzählen eine 14-köpfige Jury ergibt) dafür waren (oder gibt es in solchen Zusammenhängen auch Enthaltungen?).

Hübsch ist der folgende Fakt aus Renners Text:

"Alle Juroren sprachen sich dafür aus, den noch verhältnismäßig jungen Journalisten – Pfister wurde 1974 geboren – nicht allzu sehr zu beschädigen."

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Die Aberkennung (Abendblatt)##Die Aberkennung (TSP)##Die Jury-/Spiegel-Stellungnahme (SpOn)##Das Glück der Fiktion (Berliner)##Die Arbeit des Gerichtsreporters (MM)##]]

Fragt man sich, ob ein älterer Kollege (Frauen und Kinder zuerst!) härter rangenommen worden wäre oder ob da das zu schützende Lebenswerk mildernde Umstände hätte erwirken können. Fragt man sich weiters, ob die Küchenpsychologie in Erziehungsfragen nichts mehr gilt (Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr).

Wie auch immer. Uns, denen eine Henri-Nannen-Preisverleihung geschweige denn eine Jurysitzung davor so fremd ist wie der Hobbykeller von Horst Seehofer, erscheint die Notwendigkeit einer großen Spiegel-Reportage über ebendiese Vorgänge schon jetzt und ungelesen preiswürdig für den Henri-Nannen-Preis 2012.

Ansonsten halten wir es mit dem Tagesspiegel, wo Sonja Pohlmann und Joachim Huber auf dezente Weise ihre Distanz gegenüber der Spiegel-Prosa verkünden:

"Schon jetzt ist klar, dass das Votum der Nannen-Jury auch ein Votum gegen die Art und Weise ist, wie 'Spiegel'-Autoren zuweilen Geschichten aufschreiben."

Oder um es deutlicher mit Kommentator jan.dark zu sagen:

"So sind doch alle Artikel im Spiegel. Halluzinieren was das Papier hergibt. Ich habe den nach mehreren Jahrzehnten abbestellt, weil ich genug Fiktion hatte. Ich wollte mal wieder Fakten lesen. Da haben Sie mir ein Pornobuch von einem französischen Autor geschickt, damit ich bleibe. War auch langweilig."

Und da wir gerade bei Objektivität, Fakten und diesem ganzen Schmus sind, der den Journalismus in seinen Preisverleihungsreden Sonntagsreden doch eigentlich am Leben hält, diese Perle aus dem Mediummagazin, wo zum laufenden Kachelmann-Prozess verschiedene Gerichtsreporter befragt worden sind, und Sabine Rückert von der Zeit auf die dritte Frage ("Ist objektive Prozessberichterstattung überhaupt möglich?") wie folgt antwortet:

"Meine Prozessberichterstattung bemüht sich, dem Fall und dem Verfahren gerecht zu werden. Bevor ich schreibe, mache ich mich umfassend mit den Fakten vertraut. Bei der Einschätzung von Indizien oder Gutachten hilft mir inzwischen auch meine recht große Erfahrung. Je mehr ich über einen Fall weiß, desto klarer wird mir die Haltung, die ich dazu einnehmen muss. Das Gericht sammelt Beweise, kommt dann zu einer Einschätzung der Beweislage und fällt zuletzt ein Urteil. Die Arbeit eines Gerichtsreporters besteht darin, diesen Prozess für die Öffentlichkeit zu begleiten, zu beschreiben und wenn nötig zu kritisieren."

Leider hat sie vergessen zu erwähnen (vielleicht war auch zu wenig Platz), dass zur Arbeit eines Gerichtsreporters auch gehört, der Verteidigung Kuhhandel anzubieten, Personalvorschläge inklusive:

„Wir können nur zusammenkommen, wenn Ihre Verteidigung in dem angedeuteten Sinne professionalisiert wird, dazu sollten Sie sich überlegen, einen Kollegen einzubinden, der Verfahren dieser Art auch gewachsen ist.“


Altpapierkorb

+++ Immerhin, wer "halluziniert" (jan.dark), muss nicht Journalist bleiben. Tatort-Drehbuchautor Christian Jeltsch erläutert im Interview mit der Berliner Zeitung die Vorteile seines Berufstands: "Sagen wir mal so: Die Recherche ist wichtig für solche Projekte. Auf der anderen Seite bin ich aber in der glücklichen Lage, Fiktion zu schreiben und nicht eine Dokumentation zu machen. Das heißt, ich kann mich in dramaturgisch entscheidenden Momenten für die spannendere Interpretation einer Information entscheiden." +++ Was Menschen in der DDR angetrieben hat, Journalist zu werden, hat eine Studie versucht zu ergründen, die der Tagesspiegel gelesen hat: "Abenteuerlust, Aufstiegswille und der Wunsch, etwas von der Welt zu sehen." +++ Würde man gern wissen, was neben dem alles überstrahlenden Idealismus die Journalisten von heute antreibt. Indirekt kann darüber etwas erfahren in dem Gespräch, das Ursula Weidenfeld für das Mediummagazin geführt hat mit Michael Inacker, der -laut Selbstauskunft - "Journalist mit einem Entsendevertrag als Kommunikationschef eines Unternehmens" ist: "Doch bei den meisten Seitenwechslern steht Geld nicht im Vordergrund, sondern der Reiz der Aufgabe und eines völlig anderen Umfelds." +++

+++ Den Reiz der neuen Aufgabe bekommt auch Robert Skuppin als upcoming RadioEins-Chef zu spüren (TSP). +++ Der Bericht in der Berliner legt nahe, dass das nicht nur ein Zuckerschlecken wird. +++ Steffen Grimberg erklärt in der TAZ seine Geduld mit den Briefen von Junge-Freiheit-Chefredakteur Dieter Stein: "Doch warum müssen die Rechten immer so langatmig sein - Stein erregt sich in seinem Werbebrief auf vier eng beschriebenen Seiten über den 'stickigen Zeitgeist'. Das liest doch wieder kein Schwein. Nur wir Linken, weil der Geist mit uns ist und wir deshalb Zeit dazu haben." +++ Michael Jürgs berichtet in der FAZ vom Stockholmsyndrom mit seinem letzten Buchthema (BKA, Seite 33). +++ Ebenfalls in der FAZ (Seite 33): eine Eloge auf die Radiosendung von Bob Dylan. +++

+++ Out of Horst Seehofers Hobbykeller: Die FTD berichtet, wie in Syrien der Geheimdienst via Internet zurückschlägt. +++ Hans Hoff hat sich beim ESC in Düsseldorf umgetan (SZ, Seite 15). +++ Und FAZ-Netzökonom Holger Schmidt hat keine Reportage, sondern einen instruktiven Bericht über den neuen Suchalgorithmus von Google geschrieben (Panda), der auf Content Farmen Dürre verursachen sollte, weil er Qualität erkennen kann. +++

Neues Altpapier gibt's morgen wieder ab 9 Uhr.
 

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