TV-Tipp: "Monster im Kopf"

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29. Januar, Arte, 21.55 Uhr
TV-Tipp: "Monster im Kopf"
Verbrechen ist in der Regel Männersache; Mord ohnehin. Gleiches gilt für Menschen mit kurzer Zündschnur: Meist sind es männliche Jugendliche, denen im psychiatrischen Gutachten mangelnde Impulskontrolle attestiert wird. Aber natürlich gibt es auch weibliche Zeitbomben; und davon erzählt das Drama "Monster im Kopf".

Warum Sandra (Franziska Hartmann) bei der kleinsten Provokation ausrastet, bleibt offen. Dass ihr die Arbeit in einer Fleischfabrik nicht gerade Freude bereitet, lässt sich angesichts der grimmigen Entschlossenheit, mit der sie das Fleisch bearbeitet, bloß mutmaßen, doch ihre Beziehung zum Autoschrauber Miki (Slavko Popadic) ist von Zuneigung geprägt. Sandra hätte gern ein Baby, aber nach einer Fehlgeburt ist zumindest klar, dass eine weitere Schwangerschaft mit großen Risiken behaftet wäre. 

All’ das erzählt Christina Ebelt (Buch und Regie) jedoch erst nach und nach. Zunächst wirkt ihr Drama wie ein fast dokumentarisch anmutender Film zum Thema "Mutter und Kind im Strafvollzug": In der Gegenwarthandlung ist Sandra hochschwanger und offenbar in einem Krankenhaus für Straftäterinnen. Als die Wehen einsetzen, wird sie in eine Klinik verlegt und fortan auf Schritt und Tritt überwacht. Abgesehen von der Geburt ist ständig jemand vom Justizvollzug zugegen, außerdem ist sie mit Handschellen ans Bett gefesselt, und natürlich schwebt über den Bildern eine unausgesprochene Frage: Welches Verbrechen mag diese Frau begangen haben, dass sie selbst in den intimsten Situationen überwacht wird?

Franziska Hartmann ist seit einigen Jahren Spezialistin für Frauen in Extremsituationen. Für ihre Hauptrolle in dem ARD-Drama "Kalt" (2022) als Erzieherin, deren Leben nach dem Verschwinden zweier Kinder in Scherben liegt, ist sie mit dem Robert-Geisendörfer-Preis geehrt worden, für ihre Verkörperung einer Berufssoldatin, die sich in der ZDF-Serie "Neuland" (2022) um die Kinder ihrer Schwester kümmern muss, bekam sie den Grimme-Preis. Weitere Auszeichnungen gab es für "Sterne über uns" (2019), das Regiedebüt von Ebelt; Hartmann spielt hier eine Frau, die mit ihrem Sohn in den Wald zieht, als sie ihre Wohnung verliert, aber tagsüber ganz normal ihrer Arbeit nachgeht. Die Regisseurin interessiert sich ebenfalls vor allem für Grenzfälle; die beiden Frauen haben sich offensichtlich gesucht und gefunden. 

Ihren zweiten Film, "Monster im Kopf", hat Ebelt ähnlich karg gestaltet: Die Kamera (hier wie dort Bernhard Keller) erzählt die Geschichte nicht, sondern schaut in langen Einstellungen zu, wie Sandra ihr Leben meistert. Meist gelingt das eher recht, manchmal auch eher schlecht. Die täglichen Besuche bei ihrer Mutter (Martina Eitner-Acheampong) zum Beispiel sind sichtlich anstrengend; in diesen Szenen zeigt Ebelt, welch’ psychische Belastung es darstellen kann, wenn sich Menschen um ihre pflegebedürftigen Eltern kümmern. Seltene Höhepunkte in Sandras überschaubarem Dasein sind die gelegentlichen Ausflüge mit Miki in die Tuning-Szene. Hier kommt es auch zur ersten Explosion, als sie einen Fahrer verprügelt, der den Motor von Mikis aufgemotztem Rennwagen auf dem Gewissen hat. Damit deutet Ebelt zwar einen möglichen Grund für Sandras Haftstrafe an, aber der ohnehin größtenteils außerhalb des Bildes stattfindende Gewaltausbruch lässt allenfalls im Ansatz erahnen, wozu diese Frau fähig ist. 

Da die Regisseurin ihrem Stil konsequent treu bleibt, ist die erst gegen Ende offenbarte Tat von einer erschütternden Grausamkeit. Schonungslos und ungeschnitten dokumentiert der Film, wie quälend lang es dauert, einen Menschen ohne Waffe umzubringen. Sandras Wut schlägt zwar umgehend in Verzweiflung um, als ihr klar wird, was geschehen ist, aber nun zeigt sich, wie klug es war, dass Ebelt ihre Geschichte nicht chronologisch erzählt hat.

Hartmann, die in ihren Rollen ohnehin keinen Wert darauf legt, dass ihr die Sympathien zufliegen, verkörpert Sandra mit Ausnahme der Wutausbrüche und der Momente mit Miki betont verschlossen. Einmal zeigt der Film die Frau allein beim Essen in der Kantine; bis auf den Freund und die Mutter scheint sie keine sozialen Kontakte zu haben. Trotzdem gelingt der Schauspielerin das Kunststück, Empathie für Sandra zu wecken; das hätte vermutlich nicht funktioniert, wenn sich die Tat bereits zum Auftakt ereignet hätte. Der Hauptdarstellerin ist es auch zu verdanken, dass das Drama Film selbst dann fesselt, wenn im Grunde nichts passiert, was recht oft der Fall ist, wenn die Kamera Sandra wieder mal einfach bloß beim Denken beobachtet. Franziska Hartmann hat für ihre Rolle 2024 den Deutschen Schauspielpreis bekommen.