Die hannoversche Landeskirche muss einen Pastor trotz Missbrauchsvorwürfen weiter beschäftigen. Der Rechtshof der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen gab am Dienstag dem Widerspruch des Mannes gegen eine Entscheidung der Landeskirche statt. Die Kirche hatte versucht, seine Ernennung zum Pastor zurückzunehmen. Nach Einschätzung des Rechtshofes waren dafür aber kirchenrechtlich nicht alle Voraussetzungen erfüllt. Die Kirche hatte geltend gemacht, ihr damals unbekannte Vergehen stünden der Berufung ins Pfarramt entgegen.
Eine Zeugin hatte angegeben, der Mann habe sie 2004 bei einer Chorfreizeit in einem Schwimmbecken auf seinen Schoss gezogen, ihren Bauch berührt und seine Hand an ihren Brustansatz gelegt. Dann habe er gefragt, ob er ihre Brust berühren dürfe. Die Zeugin war damals 15 Jahre alt. Zum Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Taten war der Mann noch nicht als Pastor bei der Landeskirche, sondern in einer ähnlichen Funktion bei einer diakonischen Einrichtung beschäftigt.
Der Vorsitzende Richter, Martin Goos, sagte: "Das Geschehen ist als sexuelle Belästigung zu sehen." Derartige Handlungen seien aber erst seit 2016 strafbar. Die Rechtslage zum Tatzeitpunkt sei für die Entscheidung des Rechtshofes bindend, auch wenn dies aus heutiger Sicht manchen unbefriedigend erscheine. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und kann angefochten werden. Eine Revision ließ das Gericht nicht zu.
Die Landeskirche hatte bereits im zweiten Anlauf versucht, den Mann aus dem Dienst zu entfernen. Bereits 2018 waren der Kirche Vorwürfe gegen den Pastor bekannt geworden, nachdem die Betroffene Nancy Janz trotz Verjährung Anzeige gegen ihn erstattet hatte. Damals scheiterte der Versuch, seine Ernennung zum Pastor zurückzunehmen, nach Kirchenangaben daran, dass nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden konnte, dass Janz zum Zeitpunkt der von ihr geschilderten Taten noch minderjährig war.
Sie wirft dem Pastor vor, er habe sie 1997 als 17-Jährige erstmals und in der Folge mehrfach sexuell missbraucht. Nancy Janz engagiert sich mittlerweile als Sprecherin des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für die Aufarbeitung von Missbrauch in der Kirche. Sie leitet zudem die Fachstelle zu sexualisierter Gewalt in der Bremischen Kirche.
Der Präsident des Landeskirchenamtes, Jens Lehmann, sagte, die Kirche wolle das schriftliche Urteil abwarten und dann entscheiden, ob sie Rechtsmittel einlege. Zudem wolle sie weitere dienstrechtliche Mittel gegen den Pastor prüfen. Die Landeskirche teile die Rechtsauffassung nicht, dass die damaligen Handlungen des Pastors nicht strafrechtlich relevant waren. Die Verfügung, dass dem Beschuldigten die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen untersagt sei, bleibe bestehen.
Richter Goos sagte, ob die Beweismittel ausreichten, um die geschilderten Übergriffe nachzuweisen, müsse der Rechtshof nicht abschließend beantworten. Es gebe allerdings keine Anhaltspunkte dafür, dass die Aussagen der Zeugin nicht wahr seien.
Das Gericht erörterte auch, ob die Landeskirche nicht bereits früher intensiver hätte versuchen sollen, mit der Betroffenen in Kontakt zu treten, um deren Fall es jetzt in dem zweiten Verfahren ging. Dies hatte die Kirche nach Angaben ihres Rechtsvertreters, Frank Brosch, 2018 zwar einige Male per Mobiltelefon versucht. Laut dem Rechtshof lagen der Landeskirche zu dem Zeitpunkt aber auch Anschrift und Festnetznummer der Frau vor.
Die Anwältin der Frau, Eva Bäumler, kritisierte die Ermittlungsarbeit der Kirche als zu zögerlich. "Es hätte viele Wege gegeben, meine Mandantin als zweite Zeugin aufzufinden und befragen zu können." Vor dem Landeskirchenamt, in dem der Rechtshof tagte, und im Gerichtssaal demonstrierten Unterstützerinnen ihre Solidarität mit den Betroffenen. Auch der Pastor wurde von einer Unterstützer-Gruppe begleitet.