Berlin (epd). Ein Jahr nach der Neuregelung des Familiennachzugs zu Flüchtlingen mit untergeordnetem Schutz hat das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) Deutschland dazu aufgefordert, mehr Familienzusammenführungen zu ermöglichen. Der deutsche UNHCR-Repräsentant Dominik Bartsch kritisierte am Mittwoch, die Kontingentregelung sei kompliziert und langwierig. 1.000 Angehörige von Flüchtlingen mit dem sogenannten subsidiären Schutz können seit August 2018 pro Monat nach Deutschland kommen. Im ersten Jahr kamen knapp 10.000, wie ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Mittwoch auf Anfrage mitteilte. Genau 9.990 genehmigte Nachzüge waren es demnach bis Dienstag (30. Juli).
Anders als anerkannte Flüchtlinge haben subsidiär Schutzberechtigte seit 2016 keinen Rechtsanspruch mehr auf das Nachholen ihrer Angehörigen. Auch ein Platz im Kontingent ist nicht einklagbar. Wer darüber einreisen darf, wird in einer Kette eingebundener Behörden nach Kriterien wie Gesundheit, Alter der Kinder oder Trennungszeit der Familie entschieden. Auslandsvertretungen und Ausländerbehörden prüfen die Anträge, das Bundesverwaltungsamt trifft die letzte Entscheidung.
Wegen der komplizierten Regelung lief die Umsetzung im vergangenen Jahr schleppend an. Pro Monat wurden zunächst deutlich mehr als 1.000 Visa erteilt und auch zum ersten Jahrestag der Regelung bleibt die Zahl der Plätze unter den eigentlich möglichen 12.000.
Bartsch forderte eine Novellierung der Regelung. Auch Pro Asyl kritisierte den "Bürokratie-Dschungel". Die Betroffenen hätten zudem keine Planungssicherheit, wann sie es ins Kontingent schaffen könnten, erklärte die Organisation. Im Januar lagen bei den deutschen Vertretungen im Ausland rund 36.000 Terminanfragen zum Thema Familiennachzug vor. Betroffen sind vor allem Syrer, die Schutz vor dem Bürgerkrieg brauchen, aber oft keine politisch Verfolgten im Sinne der Konvention sind. Dann bekommen sie den untergeordneten Schutzstatus.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk forderte aber auch mehr Großzügigkeit an anderer Stelle. Bartsch sprach sich für eine Ausweitung des Familiennachzugs auf Geschwister aus. Es sei nicht nachvollziehbar, "dass minderjährige Flüchtlinge zwar ihre Eltern nachholen können, nicht aber ihre minderjährigen Geschwister", sagte er. "Damit wird ein Recht zur Farce", ergänzte Bartsch: "Natürlich lässt kein Vater und keine Mutter die kleinen Kinder in Damaskus oder Aleppo zurück, um zum Sohn oder zur Tochter nach Deutschland zu gehen."
Flüchtlinge in Deutschland - egal mit welchem Status - können nur ihre sogenannte Kernfamilie nachholen. Dazu zählen Ehegatten, die Eltern bei minderjährigen Kinder und andersherum die minderjährigen Kinder, wenn die Eltern in Deutschland sind. Bartsch forderte, den Begriff zu erweitern: "Kleine Geschwister gehören dazu. Keine Mutter und kein Vater würde das bestreiten, egal ob Deutsche oder Syrer", sagte er.
Einem UNHCR-Sprecher zufolge werden Geschwister in der betreffenden EU-Richtlinie nicht zur Kernfamilie gezählt. Deutschland handhabe dies aber besonders restriktiv. In vielen anderen EU-Ländern werde das Nachholen von Geschwistern zugelassen. Eine Änderung steht in Deutschland aber derzeit nicht an. Es seien keine Überlegungen bekannt, den rechtlichen Rahmen zu ändern, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin.