Die Bibel – geschenkt (13): Ein Bilderbuch des 16. Jahrhunderts

Die Bibel – geschenkt (13): Ein Bilderbuch des 16. Jahrhunderts
In früheren Jahrhunderten konnten die wenigsten Menschen lesen. Die "Bibel der einfachen Leute" waren deshalb die Bilder in den Kirchen, anhand derer man ganz ohne Worte die wichtigsten Inhalte der Heiligen Schrift darstellte. Seit Bücher gedruckt werden können, gibt es auch in den Bibelausgaben Bilder, die das Geschehen illustrieren. Heute findet man allerdings in den allerwenigsten Bibeln noch Bilder. Warum eigentlich?
26.04.2010
Von Ingo Schütz

Vielleicht liegt es ja an den Protestanten, die sich so sehr auf "das Wort" konzentrierten, dass sie dessen optische Umsetzung zu gering geschätzt haben. Dabei ist der Verlust durchaus beklagenswert. Wenn sie gut sind, regen die Bilder zum eigenständigen Denken an, weil sie genügend Raum für die eigene Phantasie lassen. Genau diese Qualität ist den Illustrationen der Lutherbibel von 1534 zueigen.

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In einem Großformat aus dem Taschen-Verlag sind die Bildtafeln nun vollständig abgebildet und mit einer gelehrten Einführung versehen. Wer sich schon ein bisschen mit den biblischen Geschichten – vor allem des Alten Testaments – auskennt, der kann sich durch diesen Band bereichern lassen.

Drei Jahre Herstellungszeit

Das Besondere an den Bildern im frühen Buchdruck ist, dass sie oft ganze Geschichten erzählen. Kein Wunder: Die Herstellung der 117 Bildstöcke, mit denen man die Illustrationen später drucken konnte, hat sich über drei Jahre hingezogen. Das verraten die Jahreszahlen in den Holzschnitten, die von 1532 bis 1534 reichen. Der Aufwand verhinderte also von vornherein, dass eine Geschichte auf mehr als ein Bild aufgeteilt wurde.

Gut ablesen lässt sich eine Bild-Geschichte an der Illustration von Genesis 22 (Seite 44), der Erzählung von der Beinahe-Opferung Isaaks. Am linken Rand sind klein zu erkennen die zwei Knechte und der Esel, die Abraham zum Berg Moria begleitet haben. Etwas größer werden Abraham und Isaak unterwegs zur Opferstätte gezeigt, der Junge mit dem Brennholz auf den Schultern. 

Bilder muss man lesen können

Der eigentliche Augenblick der Opferung ist das zentrale Bildelement: Abraham hat Isaak an Händen und Füßen gebunden und auf einen Scheiterhaufen gelegt. Schon reckt er den Säbel zur Schlachtung – und hebt doch scheinbar in just diesem Augenblick die Augen empor zu dem über der Szene schwebenden Engel, der Einhalt gebietet. Am rechten Bildrand ist dann auch schon der Widder zu sehen, dessen Hörner sich im Gestrüpp verfangen haben: Diesen hat Gott als Opfertier und damit als Ersatz für Isaak vorgesehen.

Wer derartige Bildkompositionen noch nie gesehen hat, wird sich vielleicht über das mehrfache Erscheinen einzelner Figuren auf ein und demselben Bild wundern. Wer sie aber lesen kann, der hat in einer einzigen Tafel den kongenialen Abdruck eines dramatischen Spannungsbogens komprimiert. Eine Geschichte war und ist auf diese lesbar - und nacherzählbar - selbst für Menschen, die gar nicht lesen können.

Goldenes Kälbchen schaut freundlich

Manche Illustration ist dagegen auch einfach nur zum Schmunzeln. Beim „Tanz um das goldene Kalb“ (Seite 60) haben viele Menschen eine zügellose Menschenmasse in Extase vor Augen, die in aller Sünde von Gott abgefallen ist und das Laster anbetet. In der Bibel von 1534 allerdings haben sich lediglich rund 25 Männer und Frauen, scheinbar züchtig in ihren Alltagskleidern, im Kreis um ein freundlich schauendes Kälbchen auf einer hohen Säule gruppiert und tanzen, einander an den Händen haltend, einen Reigen.

Die zerbrochenen Steintafeln des Mose sehen nicht aus, als hätte er sie mit aller Wucht und Wut zu Boden geschleudert. Eher, als wären sie ihm zufällig aus der Hand geglitten. Auch der Himmel gleicht dem eines milden Frühlingstages und verrät nichts vom Zorn Gottes über die Israeliten. Es ist erstaunlich, wie zahm die Bebilderung an dieser Stelle ausfällt, während doch andere Stellen gerade durch Zügellosigkeit provozieren.

Authentischer Blick ins Mittelalter

Die Bebilderung gibt nicht nur Einblick in die biblische Welt, sondern auch in die Zeit der Reformation: Lots Flucht aus dem brennenden Sodom (Gen 19) auf Seite 42 zeigt eine mittelalterliche Stadt mit Stadttor, Palisadenzaun, Stadtmauer und Wehrtürmen sowie einer beeindruckenden Kirche und natürlich Menschen in zeitgenössischen Kleidern – und das alles aus der authentischen Perspektive der Zeitgenossen. Eine willkommene Abwechslung zu so manchem Kostümschinken, der uns modernen Menschen vergangene Zeiten nur aufwändig überschminkt darbietet.

Die gezeigten Bilder sind von Hand koloriert. Die Farbigkeit erstaunt: Kolorationen waren in der Frühzeit des Buchdrucks notwendig, da die Bilder der so genannten Inkunabeln noch keine Tiefenwirkung durch Schraffuren erzeugen konnten. Zur Zeit der Lutherbibeln war dies allerdings schon gut möglich, so dass man auf das Ausmalen per Hand auch hätte verzichten können.

Massenhaft Unikate

Dass man es dennoch tat, ist Ausdruck besonderer Wertschätzung der Bücher. Ein Massenprodukt, wie es die Bibel durch Gutenberg und Luther geworden war, bekam dadurch wieder den Charakter eines Unikates für seinen Besitzer. Die Bildgröße ist bei allen 117 Tafeln genormt: 10,8x14,7cm.

Schon allein deshalb darf man nicht die gleiche Detailtreue erwarten, die etwa ein Hieronymus Bosch in seinen Werken an den Tag legen konnte. Ein kleines Manko ergibt sich aus diesem Vorlagenformat: Viele doppelseitige Abbildungen sind stärker vergrößert, als es das Original hergibt. Die entstehenden Unschärfen machen die ansonsten gute Optik wieder ein bisschen kaputt.

Papstkritik in Bildern

Luther selbst hat, wie es im Begleittext heißt, an den Illustrationen regen Anteil genommen. „Luther hat die Figuren der Wittenbergischen Biblia zum Teil selber angegeben, wie man sie hat sollen reißen oder malen, und hat befohlen, dass man aufs einfältigst den Inhalt des Texts sollt abmalen und reißen, und wollt nicht leiden, dass man überlei [überflüssige] und unnütz Ding, das zum Text nicht dienet, sollt dazu schmieren“, wird der Bericht eines Zeitgenossen auf Seite 31 zitiert.

Geradezu ein Jammer ist es, dass man damals üblicherweise die Geschichten des Neuen Testamentes nicht illustrierte. So finden sich im „ander Testament“ nur Darstellungen der Evangelisten in ihrer jeweiligen Schreibstube, samt Paulus und Petrus. Erst das Buch der Offenbarung ist wieder mit Bildern versehen – die es in sich haben: Hier findet sich auch die drastische Papstkritik durch Grafiken, in denen der Hure Babylon kurzerhand die Tiara, die traditionelle Papstkrone, aufgesetzt worden ist.

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Retusche im 16. Jahrhundert

Diese bildliche Identifikation des Papsttums mit der institutionalisierten Sünde war bereits in Luthers September-Testament angelegt, seiner ersten Übersetzung des Neuen Testaments auf der Wartburg von 1522. Trotz des recht hohen Preises von eineinhalb Gulden war die vergleichsweise große Auflage von 3000 Exemplaren damals bereits nach drei Monaten vergriffen, so dass im Dezember 1522 die zweite Auflage erscheinen konnte.

Für dieses "Dezember-Testament" wurden allerdings einige Texte verbessert und Bilder korrigiert. Dazu gehört auch die Tiara auf dem Kopf der Hure Babylon. Auf Betreiben des Herzogs Georg von Sachsen wurde die Papstkrone aus der Grafik zur Offenbarung des Johannes kurzerhand entfernt – ideologische Retusche im 16. Jahrhundert! Beide Bilder sind auf Seite 25 in der gelehrten Einführung durch den Mainzer Professor Stephan Füssel nebeneinander zu bewundern. Für die Ausgabe von 1534 gilt übrigens, dass die Tiara der Illustration wieder hinzugefügt worden ist.

Fazit

Dieser Bildband ist kein Comic, sondern eine anspruchsvolle kunsthistorische Momentaufnahme. Ohne Vorkenntnisse bleiben dem Betrachter vermutlich die Tiefen der Darstellungen verborgen. Fühlt sich jemand in den biblischen Geschichten allerdings schon zu Hause, wird er in den kolorierten Holzschnitten aus der Lutherbibel von 1534 viele wertvolle Details entdecken, die ihm „seine“ Bibel von einer ganz anderen Seite zeigen. Auch die lesenswerte Einführung in den historischen Kontext und die kulturelle Bedeutung der Lutherbibel durch Stephan Füssel ist eher für Erwachsene geeignet – vielleicht gerade darum eine Empfehlung als Geschenk zur Konfirmation, zum symbolischen Beginn des Erwachsenseins.


Bewertung

       Originalität  

       Lesbarkeit   

       Cool-Faktor 

       Handgepäck

       Grafik          

       Text             

 

Bestellinformationen

„Die Bibel in Bildern: Aus der Werkstatt von Lucas Cranach“

Verlag: Taschen Verlag

198 Seiten

Preis: 29,99 Euro

ISBN: 3836518554

 


Ingo Schütz ist Diplon-Theologe und angehender evangelischer Pfarrer.