Für Erwachsene ohne Übung sind Mangas anstrengend zu lesen. Es dauert ein bisschen, bis man sich in der Seitenaufteilung zurecht findet. Die Bilder sprechen selten für sich selbst. Man muss auch den Text lesen, der nicht gerade augenfreundlich gesetzt ist. Die Schrift ist, mal schwarz auf weiß, mal umgekehrt, eng geschrieben und mit müdem Blick nicht leicht zu lesen.
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Erfreulicher Verzicht
Auch die Notwendigkeit, komplexe, lange und zahlreiche Bibelgeschichten auf wenige Comic-Bilder zu reduzieren, ist eine Krücke vergleichbarer Projekte. Im Grunde leiden alle Comic-Versionen der Bibel daran, dass sie zu viel Inhalt auf zu wenig Raum komprimieren müssen.
Insofern ist es erfreulich, dass die Herausgeber der Manga-Bibel bewusst darauf verzichtet haben, die Vorlage umfassend wiederzugeben. Bei der Auswahl der Geschichten waren sie dann aber doch nicht radikal genug. Im Gegenzug wurden manche Erzählungen brutal zusammengekürzt.
Hiob auf einer einzigen Seite
Besonders eklatant fällt dieser Mangel bei dem biblischen Buch Hiob ins Gewicht. Die Mehrzahl 42 Kapitel der Vorlage ist von langen Reden und theologischen Exkursen geprägt. Diese Teile im Comic wegzulassen, versteht sich von selbst. Aber dem Rahmen der Geschichte mit einer Wette zwischen Gott und Teufel, die zu dem großen Unheil führt, das über Hiob hereinbricht, ist schon mehr als eine einzige Seite Platz wert.
Stattdessen heißt es an der entsprechenden Stelle auf Seite 67 in der Manga-Bibel:
"Hiob, eine Leidensgeschichte. 'Verflucht soll der Tag sein, an dem ich geboren wurde! Warum bin ich nicht bei der Geburt gestorben?' – Ich war ein angesehener Mann... Das Lachen von Mann, Frau und Kind erfüllte mein Haus. Bis Gott mich bestrafte. Krieg, Feuer, Seuchen und Naturkatastrophen machten aus meinem Haus ein Haus der Trauer.
'Womit habe ich das verdient?' – Meine Frau gab mir die Schuld... – 'Zum Teufel, Hiob!' – ...genau wie meine Freunde. – _Du musst etwas Schreckliches getan haben, Hiob.' 'Er hat Recht, du bist ein Vesager.' 'Schande über dich!' – Ich wurde geächtet. – Hiob wandte sich an Gott und in einem strahlenden Licht zeigte sich Gott. Hiobs Freunde hatten sich geirrt. Er hatte nichts Böses getan. Er hatte immer die Wahrheit gesagt. Gott machte Hiob wieder gesund und schenkte ihm eine große Familie."
Mangelhafte Bebilderung
Bebildert ist die Seite, wie die meisten Seiten in dieser Bibel-Ausgabe, fast ausschließlich mit menschlichen Gestalten und Gesichtern. Einzig eine Atombombe, die auf ein Haus zurast, bedeutet Abwechslung und eine gute Konzentration des Leides bei Hiob. Sie trägt zudem die Aufschrift "Fat Man" – die gleichen Worte waren auf die Atombombe geschrieben, die am 9. August 1945 über dem japanischen Nagasaki abgeworfen wurde. Das unendliche Leid, das dadurch verursacht wurde, eignet sich gut als Verstehensfolie für das Hiobbuch. Von solchen Deutungsangeboten hätte man sich in der Manga-Bibel wesentlich mehr gewünscht.
Durch die Knappheit gehen hier nicht nur viele theologische Einsichten verloren, die das Buch Hiob eigentlich spannend machen. Die Kürze ist auch verwunderlich, weil einige Szenen sich absolut eignen, in einem Comic präsentiert zu werden: Die Rede Gottes aus dem Wettersturm, in der er die Wunder seiner Schöpfung aufzählt (Hiob 38) hätte sich hervorragend in Bilder umsetzen lassen.
Theologie im Anhang
Ein Inhaltsverzeichnis gibt es ebenfalls nicht. Das macht es schwierig, einzelne Bibelgeschichten gezielt nachzulesen und sich zurechtzufinden. Dafür gibt es einen Anhang mit kleinem Glossar und Beispielen für Skizzen zu verschiedenen Einzelszenen. Ergänzt wird das durch persönliche Kommentare der Autoren Siku und Akin zu wichtigen Szenen der Bibel.
Die Kommentare sind dialogisch gehalten und erinnern an die Sprachspuren mancher DVD, auf denen Regisseur und Schauspieler begleitend zum Film frei und formlos ihre Gedanken äußern. Unter anderem heißt es in diesen Kommentaren unter der Überschrift "Exodus – Der Auszug aus Ägypten":
Siku: Ich habe eine Frage an dich: Befreit Gott die Sklaven? Wenn du dich heute umsiehst, bin ich mir da nicht so sicher.
Akin: Und wer befreit sie?
Siku: Wir... Gott steigt nocht vom Himmel herab und... Boom!... "Mein Reich steht euch allen offen." Es ist unsere Pflicht, die Sklaven zu befreien. Es ist unsere Pflicht, die Hungernden zu speisen.
Akin: [entsetzt] Das ist eine 180°-Drehung! Wir haben ständig darüber diskutiert.
Siku: Na ja, das ist Teil des Erwachsenwerdens. Ist es eine erfreuliche 180°-Drehung?
Akin: Vor Jahren haben wir darüber diskutiert. Ständig haben wir deshalb gestritten.
Siku: Ich dachte immer, wenn es genug praktizierende Christen gäbe, dann würde eine Art kritischer Masse erreicht, die Armut und Unterdrückung aufheben würde. Es wäre noch möglich, doch ich habe meine Meinung geändert. Wir müssen dafür kämpfen.
Mancher mag sich von solchen Gesprächsprotokollen anregen lassen und selbst ins Nachdenken über Gott und die Welt geraten – nichts anderes ist Theologie.
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Fazit
Wer Mangas liebt oder außergewöhnliche Bibelausgaben sammelt, wird an diesem Werk sicher seine Freude haben. Sofern er sich nicht daran stört, dass es "normal" von vorne nach hinten zu lesen ist, und nicht, wie in Mangakreisen üblich, von hinten nach vorne. Wesentlich mehr als ein nettes Exponat in einer Sammlung ist es für andere Menschen aber kaum. Bevor man es verschenkt, sollte man sicher sein, dass der Beschenkte dem Stil wirklich etwas abgewinnt.
Bewertung
Originalität
Lesbarkeit
Cool-Faktor
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Text
Bestellinformationen:
„Die Bibel“ von Siku
Verlag: Ehapa Comic Collection - Egmont Manga & Anime
224 Seiten
Preis: ab 15 Euro
ISBN: 3770431804
Ingo Schütz ist Diplom-Theologe und angehender Pfarrer.