Eine Kopfnuss ist noch kein sexueller Missbrauch

Eine Kopfnuss ist noch kein sexueller Missbrauch
Pointierte Anmerkungen zu Politik und Zeitgeschehen: Als erfahrener Journalist ist Ernst Elitz gewohnt, den Mächtigen kritisch auf die Finger zu schauen, harte Worthülsen zu knacken und das Zeitgeschehen bisweilen bissig zu kommentieren - in der Missbrauchsdebatte warnt er vor falschen Schlüssen und Verdächtigungen, angesichts des Terrors in Moskau vor Panikmache. Ziemlich genervt ist er von der Zeitumstellung. Jede Woche beantwortet Ernst Elitz drei Fragen für evangelisch.de.
02.04.2010
Die Fragen stellte Bernd Buchner

evangelisch.de: Die Moskauer U-Bahn war in dieser Woche Schauplatz verheerender Selbstmordanschläge durch islamistische Terroristen. Müssen wir uns daran gewöhnen, dass der Terror zum Alltag wird und dass es keinen wirksamen Schutz dagegen gibt?

Ernst Elitz: Ein klares Ja! Diese Erfahrung teilen wir mit dem Rest der Menschheit. In den letzten Jahrzehnten waren wir in Deutschland eine Enklave vermeintlicher Sicherheit. Wir hatten verdrängt, dass wir in einer hochexplosiven Welt der Atomwaffen lebten. Wir wissen heute, dass es brisante Situationen gab, in denen nur durch die einsame Entscheidung verantwortlicher Offiziere auf beiden Seiten ein atomarer Vernichtungsschlag verhindert wurde. Daran gemessen ist uns die Bedrohung durch den Terror heute bewusster, aber in Grenzen auch kalkulierbarer. Die Moskauer U-BahnattentäterInnen wollten die Russen und die Welt daran erinnern, dass der Austragungsort der Olympischen Winterspiele 2014 in direkter Nähe Tschetscheniens liegt: Sotschi ist gefährdeter als Moskau. Und welche Aufmerksamkeit ein terroristischer Anschlag bei einem friedlichen Welttreffen erfährt, haben die palästinensischen Terroristen 1972 in München bewiesen. Totalen Schutz gäbe es nur durch totale Kontrolle, aber die ist weder möglich, noch wollen wir sie. Aber vielleicht lässt uns das Bewusstsein der Gefährdung auch bewusster leben.

evangelisch.de: Der Augsburger katholische Bischof Walter Mixa steht in der Kritik, weil er vor Jahrzehnten Kinder und Jugendliche geschlagen haben soll. Können Dinge, die man vor langer Zeit in einem anderen gesellschaftlichen Klima getan hat, Grund für einen Rücktritt sein?

Ernst Elitz: Angesichts der Missbrauchsdebatte scheint es mir sinnvoll, vier Anmerkungen zu machen: 1. Eine Kopfnuss und eine Ohrfeige sind kein sexueller Missbrauch. Bis in die sechziger Jahre waren das – bedauerlicherweise – übliche Erziehungspraktiken, auch in Familien. 2. Ein Verdächtigter gilt solange als unschuldig, bis er verurteilt worden ist. Das gilt in jedem Fall – unabhängig von der Person und für welchen Verdacht auch immer. 3. In keinem Bereich gibt es so viele falsche Verdächtigungen wie bei Vorwürfen sexuellen Missbrauchs. Der renommiere Strafverteidiger Johann Schwenn hat in "Cicero" auf eine Reihe furchtbarer Fehlurteile hingewiesen. 4. Die längst überfällige Debatte über sexuellen Missbrauch und Gewalt und Demütigung in der Erziehung hat ein mutiger katholischer Priester – der Rektor des Berliner Canisius-Kollegs – eröffnet. Er und die kampagnenartige Berichterstattung der Medien haben andere Institutionen unter Druck gesetzt, ihre eigene Gewaltgeschichte offen zu legen. Hätte man nicht erwarten dürfen, dass ein der Reformpädagogik verpflichtetes Internat wie die Odenwaldschule, deren Erziehungsideal die Freiheit des Einzelnen von jedem Zwang ist, als erste die Initiative für eine solche Debatte ergreift? Leider Fehlanzeige. Warum wohl? Die Missbrauchsdebatte hat einige Denkschablonen ganz schön durcheinander gebracht. Auch das ist ein Befreiungsschlag. - Also soll Bischof Mixa nun zurücktreten? Die Antwort sollte jeder nach dem Bedenken meiner vier Erinnerungssätze selber finden.

evangelisch.de: Seit einigen Tagen gilt in Deutschland wieder die Sommerzeit, obwohl das keine Energie spart und Gesundheitsexperten vor Risiken warnen. Macht Ihnen persönlich die Umstellung zu schaffen und halten Sie sie für sinnvoll?

Ernst Elitz: Mich nervt diese Zeitumstellung. Im entscheidenden Moment weiss ich nie, muss ich die Uhr nun vor- oder zurückstellen? Die Einführung der Zeitumstellung ist ein treffendes Beispiel, wie die Politik sich von irgendwelchen Experten eine Entscheidung aufschwatzen lässt, die in der Praxis keinem nützt, die sich aber nie mehr rückgängig machen lässt.


 

Prof. Ernst Elitz, Jahrgang 1941, lebt als freier Publizist in Berlin. Nach seinem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften, Politik und Philosophie kam er über Stationen wie den "Spiegel" und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Deutschlandradio, das er als Gründungsintendant von 1994 bis 2009 leitete.