Jörg Kachelmann bleibt in Untersuchungshaft. Es geht um einen schweren Vorwurf. Eine Frau, die nach eigenen Angaben seine Lebensgefährtin war, hat Anzeige wegen Vergewaltigung gestellt. Kachelmanns Anwalt spricht von einem "frei erfundenen Vorwurf". Momentan ist dies alles, was es an Fakten zu dem Fall gibt.
Muss und darf darüber in den Medien bei voller Namensnennung berichtet werden? Eine Frage, die zwar auch juristischer, aber vor allem ethischer Natur ist.
Dringender Tatverdacht?
Das Vergehen, das Kachelmann vorgeworfen wird, wiegt so schwer, dass bereits die Berichterstattung darüber den Charakter einer Vorverurteilung trägt. Vor allem dann, wenn einige Medien noch betonen, dass ein Haftbefehl "nicht ohne Grund" erlassen werde und schon ein "dringender Tatverdacht" vorliegen müsse. Wo auch immer die Wahrheit in diesem Fall liegt, man muss damit rechnen, dass etwas an Jörg Kachelmann hängen bleiben wird. Für jemanden, dessen berufliche Existenz als Moderator auch von der Sympathie abhängt, die ihm sein Publikum entgegenbringt, ist dies eine Katastrophe. Wohl auch deshalb begnügte sich die Nachrichtenagentur dpa zunächst damit, lediglich zu vermelden, am Frankfurter Flughafen sein ein "bekannter Journalist und Moderator" festgenommen worden.
Bei dieser sachlichen Meldung blieb es nicht. "Bild.de" veröffentlichte als erstes den Namen Kachelmanns, die meisten anderen Medien – auch evangelisch.de – taten dies später auch. Dies war ein Fehler.
Der Fall Türck
Welche Folgen ein Vergewaltigungsvorwurf haben kann, zeigt der Fall des ehemaligen ProSieben-Moderators Andreas Türck. Im Mai 2004 hatte die Staatsanwaltschaft Frankfurt gegen Türck Anklage wegen Vergewaltigung erhoben. "Wird er böse, wenn Frauen nicht wollen?" oder "Sex im Drogenrausch?" waren nur einige der Überschriften, mit denen sich Türck damals konfrontiert sah. 2005 wurde er freigesprochen, sogar die Staatsanwaltschaft war zu diesem Zeitpunkt von Türcks Unschuld überzeugt. Im Fernsehen ist er seither nicht mehr aufgetreten, er arbeitet als Produzent im Hintergrund.
Ein anderes Beispiel ist der Fall der "No Angels"-Sängerin Nadja Benaissa. Ihr wird aktuell vorgeworfen Körperverletzung vorgeworfen, weil sie trotz HIV-Infektion ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt haben soll. Im Fall Benaissa war es sogar die Staatsanwaltschaft, die nicht nur den Namen der Sängerin sondern auch den konkreten Tatvorwurf publik machte. Eine "massive Persönlichkeitsverletzung durch die Ermittlungsbehörden", stellte dazu der Medienrechtler Gernot Lehr fest. Benaissas Krankheit, die ihre Privatangelegenheit ist und nach wie vor ein Stigma bedeuten kann, ist nun öffentlich.
Ein Haftbefehl und Untersuchungshaft klingen dramatisch. Was die Frage einer möglichen Schuld angeht, bedeutet ein Haftbefehl so gut wie nichts. Für einen Haftbefehl braucht es einen Tatverdacht, wobei ein Verdacht eben ein Verdacht ist und kein Urteil. Zudem muss Fluchtgefahr bestehen. Diese wird aber in der Regel allein schon dann angenommen, wenn jemand in dem Verdacht einer Straftat steht, für die eine hohe Haftstrafe droht, und zudem keinen festen Wohnsitz in Deutschland hat. Bei Kachelmann ist dies der Fall.
Öffentlicher Prozess
Schon jetzt namentlich zu berichten ist daher verfrüht. Kommt es zu einem Prozess, der ohnehin weitgehend öffentlich ist, liegt die Sache anders. Steht ein Exponent des öffentlich-rechtlichen Fernsehens vor Gericht, besteht daran auch ein öffentliches Interesse – auch dann, wenn das Vergehen in den Privatbereich fällt. Der Vorteil einer öffentlichen Verhandlung ist dann aber auch, dass Anklage und Verteidigung gleichberechtigt zu Wort kommen, dass Fakten auf den Tisch kommen und Pressevertreter sich einen Eindruck des Geschehens verschaffen können, der über Verdächtigungen und Mutmaßungen hinausreicht. Wie anders stelle sich beispielsweise der Fall Türck da, wenn man statt der Überschriften und Texte des Boulevards die Reportagen der "Spiegel"-Autorin Gisela Friedrichsen las.
Was Jörg Kachelmann angeht, wäre es inzwischen unsinnig, noch auf eine Namensnennung zu verzichten. An einer bestimmten Stelle ist ein Punkt erreicht, an dem man eben doch nicht mehr gegen den Strom schwimmen kann, ohne sich lächerlich zu machen. Wenn sowieso jeder weiß, dass es um Jörg Kachelmann geht, hilft es ihm nicht, von einem "bekannten Journalisten und Moderator" zu schreiben.
Verlass auf den Boulevard
Und doch bleibt ein fader Beigeschmack. Wir Journalisten können uns darauf verlassen, dass die Kollegen von "Bild" den Namen nennen werden. Und anschließend können wir uns hinter der "Bild" verstecken und so in einer ethischen Debatte auf den Boulevard zeigen. Damit macht man es sich leicht. So unrealistisch es ist, sich einer Namensnennung zu entziehen, so problematisch ist sie. Als Ausweg bleibt den Medien, seriös und sachlich zu berichten und einen Verdacht als solchen und nicht als Tatsache herauszustellen. Verantwortung hat dabei auch das Publikum selbst, durch dessen Einschätzung eine mögliche Vorverurteilung überhaupt erst möglich und wirksam werden könnte.
Jörg Kachelmann ist schon jetzt Unrecht widerfahren. Selbst dann übrigens, wenn sich der Vorwurf, der ihm aktuell gemacht wird, später als wahr herausstellen sollte. Den Namen eines Beschuldigten in den Medien nicht zu nennen, bedeutet aber eben nicht, diesen vorab freizusprechen. Auch dies wäre nämlich ein verfrühtes Urteil.