Jetzt auch "Neon": Fälschungen in den Medien

Jetzt auch "Neon": Fälschungen in den Medien
Im Magazin "Neon" sind gefälschte Interviews veröffentlicht worden. Der Fall steht in einer Linie mit anderen Fälschungen in den Medien. Oft steht die Marke "Stern" dabei im Mittelpunkt.
19.03.2010
Von Henrik Schmitz

Ausgerechnet beim "Stern"-Ableger "Neon" passiert so etwas: Wegen gefälschter Interviews hat sich das Magazin von einem Mitarbeiter getrennt. Der Autor Ingo Mocek, in der Musikszene durchaus für seine fachkundigen Texte bekannt, soll nach Angaben des Verlags Gruner+Jahr Interviews mit Beyoncé Knowles, Slash, Christina Aguilera, Snoop Doggy Dog und Jay-Z, die seit 2004 in "Neon" erschienen sind, gar nicht geführt haben.

Es ist nicht das erste Mal, dass Fälschungen in den Medien ans Tageslicht kommen. Und wenn es um besonders gravierende Vorfälle geht, steht der Name "Stern" auch gerne im Zentrum des Skandals. Berühmtestes Beispiel: Die "Hitler-Tagebücher". Am 25. April 1983 kündigte der damalige Chefredakteur des "Stern", Peter Koch, an, die Illustrierte befinde sich im Besitz der geheimen Tagebücher Adolf Hitlers. Am 28. April veröffentlichte der "Stern" erste Auszüge aus den angeblichen Aufzeichnungen des Führers und erklärte, große Teile der Geschichte des Dritten Reiches müssten neu geschrieben werden. Am 5. Mai entlarvte das Bundesarchiv die Aufzeichnungen als plumpe Fälschungen.

Alltagsproblem?

Natürlich sind die "Hitler-Tagebücher" ein besonders krasser Fall von Fälschungen in den Medien. Aber es ist durchaus zu befürchten, dass diese den Journalismus letztlich wie ein roter Faden durchziehen. Was auffällt ist, dass bei vielen Fälschungen die Kontrollinstanzen, die Chefredaktionen und Verlagsleitungen, versagen, anders als die enttarnten Fälscher selbst aber vergleichsweise glimpflich davonkommen. 

Am 29. September 1980 präsentierte die "Washington Post" unter der Überschrift "Jimmy's World" einen Artikel der Journalistin Janet Cooke, in dem sie das Schicksal eines achtjährigen heroinabhängigen afroamerikanischen Jungen nachzeichnete. Der stellvertretende Chefredakteur und Watergate-Enthüller Bob Woodward nominierte die Geschichte für den Pulitzer-Preis, obwohl bereits Zweifel aufgetaucht waren. Dennoch gewann Cooke am 13. April 1981 den begehrten Preis. Zwei Tage später musste sie ihre Erfindung zugeben und verlor ihren Job. Woodwards Image ist bis heute tadellos.

Ähnlich fantasiebegabt wie Cooke war der Schweizer Tom Kummer, der 2000 einen Skandal mit seinen Interviews mit Hollywoodstars auslöste, die wie nun wohl auch im Fall "Neon" ebenfalls erfunden waren und überwiegend im Magazin der "Süddeutschen Zeitung" erschienen. Kummer verdingte sich zwischenzeitlich als Tennislehrer in Amerika. Ulf Poschardt, damals Chefredakteur des Magazins der "Süddeutschen", verlor seinen Job, wurde aber später Chefredakteur der deutschen "Vanity Fair" und ist heute unter anderem Herausgeber des deutschen "Rolling Stone".

Jauch nie im Schneideraum

Auch Günther Jauch hat es nicht geschadet, dass in der von ihm moderierten Sendung "Stern TV" gefälschte Beiträge des Filmemachers Michael Born, in denen ein Jäger mit angeklebtem Bart Jagd auf Katzen machte und der rassistische Ku-Klux-Klan Bücherverbrennungen in der Eifel veranstaltete, gezeigt wurden. Born wurde Mitte der 90er Jahre zu vier Jahren Haft verurteilt, nicht wegen der gefälschten Filme, sondern unter anderem wegen Volksverhetzung und Vortäuschen einer Straftat.

Born, Kummer und Cooke sind als Fälscher dabei nicht nur Täter, sondern wohl auch logische Folge der Sensationsökonomie. Das Problem des Fernsehens etwa ist es, dass es zwar viele Geschichten gibt, aber oft nicht die passenden Bilder. Born lieferte Bilder, die "Stern TV" brauchte - vielleicht schaute deshalb lange niemand genauer hin.

Versagen der Kontrolle

Auch beim „Stern“ hätte man 1983 die Fälschung erkennen können. So zierten den Einband einiger angeblicher Hitler-Tagebücher statt der wirklichen Initialen des Diktators die Buchstaben "F" und "H". "Und Fritze Hitler hat er ja nicht geheißen", lautet das wohl schönste Zitat aus Helmut Dietls Filmsatire "Schtonk" über die Hitler-Tagebücher. 9,3 Millionen Mark zahlte der "Stern" für die verschiedenen Bände. Vielleicht auch deshalb wurden erhebliche Zweifel an der Echtheit der Dokumente beiseite gewischt. Nachdem die Tagebücher als Fälschungen entlarvt worden waren, mussten zwar die Chefredakteure Schmidt und Koch zurücktreten, fielen aber eher weich. Auf seinem Posten blieb Gruner+Jahr-Verlagschef Gerd Schulte-Hillen, den der "Eishauch der Geschichte" in Form der Tagebücher ebenfalls angeweht hatte. Umgeweht hingegen wurde Gerd Heidemann. Er hatte als Redakteur die Fälschungen von Konrad Kujau gekauft und wurde 1985 wegen Betrugs zu vier Jahren und acht Monaten Haft verurteilt.


Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de und betreut die Ressorts Kultur und Medien. Der Text ist eine aktualisierte Version eines älteren Artikels des Autors über die "Hitler-Tagebücher".