Tahir Malik kann sich noch genau an den letzten Morgen erinnern: Wie an fast jedem Tag fuhr seine Frau Gul ins Büro des Welternährungsprogramms in Islamabads ruhigem F-8-Viertel. "Ich hol dich um fünf ab", sagte er. Doch gegen Mittag bekam der pensionierte Armeeoffizier einen aufgeregten Anruf. "Es gab einen Bombenanschlag. Fahr zu Gul ins Büro", riet ihm eine Kollegin seiner Frau.
Als Malik im Büro der Hilfsorganisation ankam, kam schon der Hausmeister auf ihn zugelaufen. "Sie haben sie ins Ali Medical Center gebracht", rief er. Im Krankenhaus wies ein Pfleger Malik zur Notaufnahme. "Seien sie stark", sagte er nur. Die Stationsärztin zeigte auf einen Körper, der mit weißen Tüchern bedeckt war. "Sie war sofort tot", sagte sie.
Malik hat eine Mission
Terroranschläge wie der Anfang Oktober vergangenen Jahres, als Maliks Frau getötet wurde, gehören in Pakistan längst zum Alltag. Ein Selbstmordattentäter, der sich zur Tarnung eine Armee-Uniform angezogen hatte, sprengte sich im Büro des UN-Hilfswerks in die Luft. Obwohl das Gebäude stark gesichert war, war es dem Mann gelungen, in den Empfangsraum des Hauses zu kommen. Fünf Mitarbeiter starben.
Seither hat Malik eine Mission. Der 61-Jährige versucht in Pakistan ein Netzwerk für Terror-Opfer aufzubauen, das "Global Survivors Network". "Die Menschen verstehen nicht, dass das ein ganz anderer Tod ist", sagt er. Er redet mit den Familien, die Angehörige verloren haben. Er spricht zu den Studenten, die miterleben mussten, wie Kommilitonen ihr Leben bei einer Explosion in der Cafeteria verloren. Die islamische Republik leidet wie kein anderes Land unter fast täglichen Attentaten religiöser Extremisten. Im Jahr 2009 gab es rund 500 Bombenanschläge, bei denen 1.668 Menschen starben und etwa 15.000 weitere verletzt wurden.
Professionelle Hilfe
Die meisten Opfer sind einfache Menschen, erzählt Malik: Teeverkäufer, Straßenkehrer, Sicherheitskräfte, Wächter oder Fahrer. "Es sind die ärmsten der Armen." Malik will die Überlebenden erreichen, ihnen professionelle Hilfe anbieten, sie auf dem Weg zum Krankenhaus und bei Behördengängen unterstützen. In Pakistan kann niemand mit dem Schmerz und dem Trauma umgehen, ist er überzeugt. "Wir stumpfen immer mehr ab", beklagt Malik. "Wenn ein Anschlag irgendwo in Pakistan verübt wurde, fragen wir uns, ob wir dort jemanden kennen. Wenn nicht, gehen wir wieder zur Tagesordnung über."
Malik will an die Öffentlichkeit. "Sogar innerhalb der Familien sind die Menschen zu scheu, um über die Anschläge und ihre Folgen zu reden", sagt er. "Ich erzähle den Menschen meine Geschichte." Das helfe vielen, auch über ihre schrecklichen Erlebnisse zu reden. "Es gibt keine psychologische Unterstützung in Pakistan. Wer zu einem Psychologen geht, gilt als verrückt."
Verbrannte Leichen
Maliks neue Aufgabe führt ihn durch das ganze Land. Überall hört er sich die Geschichten der Überlebenden an. In Lahore zog ihn die Tochter einer bekannten Pathologin zu Rate. Ihre Mutter habe nach dem Anschlag auf ein beliebtes Einkaufszentrum die verbrannten Leichen untersuchen müssen. Trotz jahrelanger Erfahrung habe die Ärztin viele Nächte wachgelegen. "Das ist Pakistan", sagt Malik.
epd