Seit fast vier Monaten ist Griechenland in aller Munde. Nachrichten über seine Finanzprobleme beherrschen die Schlagzeilen in den deutschen Medien. Abfällige Bemerkungen und Spott über die Griechen und ihre angebliche betrügerische Verhaltensmentalität sind unüberhörbar.
Das Problem der Spötter ist aber, dass Griechenland sowie Deutschland Mitglieder des noblen Klubs der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion sind. Insofern besteht Ansteckungsgefahr. Daher sind folgende Fragen relevant: Sollen die anderen Mitgliedstaaten helfen, das Problem so schnell wie möglich aus der Welt zu schaffen? Lassen die EU-Verträge dies zu? Ist Solidarität der EU mit Griechenland moralisch vertretbar?
Folgende Punkte werden den Griechen vorgeworfen:
Erstens, dass sie 2001 ihre Mitgliedschaft in der Euro-Zone mit falschen Angaben erreicht haben.
Zweitens, dass sie danach die Stabilitätskriterien nicht nur verletzt, sondern das Ausmaß der Verletzung geschönt haben.
Drittens, dass es den griechischen Regierungen nicht gelungen ist, die Steuereinnahmen zu erhöhen. Korruptes Verhalten - insbesondere im Zusammenhang mit Klientelpolitik und mit der Steuerhinterziehung – gelten als Hauptursache.
Viertens, dass die bisherige Verschuldungspolitik Griechenlands die Staatsverschuldung an die Grenzen der Kreditwürdigkeit geführt hat.
Fünftens: Mehrere Ranking-Agenturen haben daraufhin die Kreditwürdigkeit Griechenlands herabgestuft mit der Folge einer spekulativen Reaktion der Finanzmärkte, die zu einer enormen Zinserhöhung für griechische Kreditaufnahme geführt hat.
Sechstens schließlich, dass dieses hohe Zinsniveau zur Zahlungsunfähigkeit Griechenlands führen kann, was die Stabilität des Euro gefährden würde.
Was ist wahr an diesen Vorwürfen? Passend ist hier die Frage Jesu Christi an die Pharisäer: "Wer von Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein". Verfolgt man die griechischen Medien, dann sind es die Deutschen, die die meisten Steine gegen die Griechen werfen. Und die Griechen fragen: Sind die Deutschen sachlich und moralisch dazu berechtigt? Von der Mehrheit der Griechen, selbst wenn all diese Vorwürfe wahr wären, kommt ein eindeutiges Nein als Antwort, entsprechend den griechischen Medien. Wie begründen sie dies?
Sie geben dem deutschen Finanzminister Recht, wenn er sagt, dass die Deutschen können nicht für die Schulden der Griechen aufkommen könnten. Auch der griechische Ministerpräsident und sein Finanzminister haben erklärt, dass sie keine finanzielle Hilfe von den Deutschen wollen. Aber, fügen die griechischen Medien hinzu, die Deutschen müssten Milliarden Euro an Reparationszahlungen für Kriegschäden leisten und ihre Zwangsanleihen aus der Besatzungszeit zurückzahlen, wofür sie sich vertraglich verpflichtet haben. Dann bräuchte Griechenland tatsächlich keine finanzielle Hilfe von den Deutschen.
Auseinandersetzung der Medien
Die griechischen Medien akzeptieren auch das deutsche Gegenargument nicht, Deutschland habe als Nettozahler der EU seit Griechenlands Beitritt (1981) über 200 Milliarden Euro in die Unionskasse gezahlt und fast die Hälfte davon habe Griechenland erhalten. Die Gegenrechnung der griechischen Medien ist eine andere: Seit dem Beitrittsjahr Griechenlands in die EU haben die Deutschen ihre Handelsbilanzüberschüsse gegenüber Griechenland verzehnfacht. In absoluten Zahlen heißt dies: über 180 Milliarden Euro Überschuss.
Die deutschen Medien behaupten und wiederholen permanent, ohne dies allerdings eindeutig zu begründen, dass Griechenland seinen Beitritt in die Europäische Währungsunion mit falschen Angaben erschlichen hat. Die griechischen Medien antworten, selbst wenn dies wahr wäre, müssten sich die deutschen Medien diesbezüglich zurückhalten, da der deutsche Staat den Beitritt auch erschlichen hat. Denn der damalige deutsche Finanzminister Theo Waigel hätte, um Haushaltsdefizit und öffentliche Schulden zu verringern, Telekom- und Postaktien an die staatseigene Kreditanstalt für den Wiederaufbau (KfW) verkauft, um anschließend fälschlicherweise zu behaupten, er habe eine Privatisierung vorgenommen und die Defizite dadurch gesenkt. Dies ist der Kern des momentanen emotionalen Auseinandersetzung zwischen deutschen und griechischen Medien.
Tatsache ist, dass Griechenland mit über 300 Milliarden Euro verschuldet ist und die meisten Kreditgeber Banken sowie private Geldgeber in den EU-Ländern sind. Insofern ist die Frage berechtigt: Warum haben die Unionsländer und speziell die Deutschen dies entgegegn den Vorschriften des Maastrichts Vertrags ermöglicht? Spanien, Italien, Irland, Portugal und Griechenland sind allein gegenüber den deutschen Banken mit rund 540 Milliarden Euro verschuldet. Sind nicht auch eigene deutsche ökonomische Interessen im Spiel bei der Kreditvergabe deutscher Banken?
Merkel verkündet Solidarität
Sollte Griechenland tatsächlich zahlungsunfähig werden mit der möglichen Folge einer Kettenreaktion auf die anderen genannten hochverschuldeten Länder, wären dann die negativen finanziellen Folgen für Deutschland nicht sehr gravierend, ganz zu schweigen von den genau so gravierenden negativen Auswirkungen auf die gemeinsame Währung? Müssten die Deutschen, und dies nicht aus Solidaritätsgründen, sondern vielmehr aus eigenen ökonomischen (finanziellen) Interessen, nicht bestrebt sein, dass Griechenland und die anderen genannten, an die deutschen Banken verschuldeten Staaten, zahlungsfähig bleiben?
Insofern haben die Worte der Bundeskanzlerin Merkel Sinn und sind nachvollziehbar, wenn sie kürzlich nach dem EU-Sondergipfel sagte, Griechenland gehöre zur EU und die EU-Staaten würden mit Griechenland solidarisch sein. Selbst, wenn die EU-Staaten zunächst keine Notwendigkeit für eine finanzielle Hilfe sehen, schließen sie dies aber nicht aus, um eine mögliche Zahlungsunfähigkeit Griechenlands zu verhindern. Und dies auch aus sachlichen Gründen und nicht nur aus moralischen oder solidarischen Motiven. Darüber hinaus sollten die Euroländer die Lehren aus diesen negativen Erfahrungen ziehen, und in Zukunft sowohl für eine besser abgestimmte Finanzpolitik sorgen, als auch den Euro gegenüber Spekulationswellen schützen.
Über den Autor: Professor Dr. Spiridon Paraskewopoulos (emeritiert), war ehemaliger Lehrstuhlinhaber für Makroökonomik und Direktor des Instituts für Theoretische Volkswirtschaftslehre der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig.