Die Wandernden legen brav einen Schritt zu, können aber unterwegs dennoch die steinige Landschaft des Palästinensergebiets in ihrer kargen Schönheit bewundern. Die vereinzelten Ölbäume am Wegesrand werfen in der Nachmittagssonne immer längere Schatten.
Benannt ist der teils grüne, teils felsige Pfad nach dem Stammvater der drei Weltreligionen: Juden verehren ihn als Avraham, Christen als Abraham und Muslime als Ibrahim. Der biblischen Überlieferung nach ist er vor etwa vier Jahrtausenden von Ur am Euphrat in Mesopotamien - dem heutigen Irak - nach Haran in der heutigen Türkei und anschließend nach Kanaan gewandert. Von dort aus zog er weiter nach Ägypten und dann wieder zurück nach Kanaan, wo er in Hebron sesshaft wurde. In Hebron im heutigen Westjordanland soll er auch beerdigt sein, im Grab des Patriarchen.
Abrahamspfad soll kulturelle Einheit symbolisieren
Von diesem legendären Wanderpfad des Erzvaters ist das Projekt "Masar Ibrahim al-Chalil" inspiriert, das Touristen aus aller Welt dazu anhält, Abrahams Spuren zu folgen und die Region zu besuchen, die sonst eher für ihre kriegerischen Auseinandersetzungen bekannt ist. Der moderne Nahe Osten ist allerdings durch den politischen Konflikt zwischen Israel und seinen Nachbarn so gespalten, dass bislang nur Teilabschnitte des Pfads begehbar sind, und zwar in Jordanien, den Palästinensergebieten, der Türkei sowie in Zukunft auch in Syrien und Israel.
"Der Abrahamspfad soll die kulturelle Einheit des Nahen Ostens symbolisieren, unabhängig von den verschiedenen Religionen", erklärt Frederic Masson, Mitarbeiter der Abraham Path Initiative im Westjordanland, einer Partnerorganisation des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED). "Wir hoffen, dass in Zukunft wirklich alle Teile zusammenhängend bewandert werden können."
Der Verlauf des etwa 70 Kilometer langen Pfads zwischen Nablus und Jericho im Westjordanland ist auch nur symbolisch, weil niemand den genauen Weg kennt, den Abraham in grauer Vorzeit mit seiner Sippe durchwandert haben soll. Wer dem ganzen Wanderpfad folgen will, ist je nach Tempo vier bis sieben Tage unterwegs. Die deutsche Gruppe unter Führung von Eid läuft jedoch nur knapp zwei Stunden zwischen dem palästinensischen Dorf Kufr Malik - 17 Kilometer nordöstlich von Ramallah - nach Ein Samia.
Für wenig Geld bei örtlichen Familien übernachten
Mit der berühmten arabischen Gastfreundschaft empfängt der Bürgermeister von Kufr Malik, Bakr Abu Aiman, die Gäste in seinem Wohnzimmer, in dem viele wuchtige und bequeme Sessel bereitstehen. Ein junger Mann zieht niedrige Holztische heran und gießt heißen, süßen Tee in kleine Glastassen. Wie andere palästinensische Gemeinden entlang des Pfads verspricht sich das 3.000-Seelen-Dorf von dem Tourismusprojekt eine neue Einkommensquelle. Die Besucher können ihrerseits für wenig Geld bei örtlichen Familien übernachten und mit etwas Glück auch muslimische Feiertage oder traditionelle Hochzeiten miterleben.
Viele Besucher hätten wegen des Konflikts in der Region anfangs Bedenken, auf dem Abrahamspfad zu wandern, erklärt der bärtige Bürgermeister, der eine sehr würdevolle Aura besitzt. Er hoffe jedoch, dass das Projekt dazu beitragen könnte, "das Ansehen der Palästinenser und des Nahen Ostens allgemein zu verbessern".
Im vergangenen Jahr haben nach Angaben von Masson etwa 250 Menschen den Wanderweg besucht. "Die Besucher waren sehr bunt zusammen gewürfelt, von Nonnen bis zu Menschen, die mit Religion absolut nichts zu tun haben", sagt er. "Etwa 75 Prozent der Besucher übernachteten in einem Dorf entlang des Wegs - das ist ein echter Erfolg."
Keine Schwierigkeiten mit der israelischen Armee
Der Wanderpfad führt durch besetztes Palästinensergebiet, am Ende des Abschnitts ist kurz vor Anbruch der Dämmerung in der Ferne die jüdische Siedlung Kochav Haschachar (hebräisch für Morgenstern) zu sehen. Mit der israelischen Armee habe man aber nur einmal Schwierigkeiten gehabt - bei der ersten Wanderung im Sommer 2008, erzählt Masson. "Sie wussten einfach nicht, was dort passiert, wir mussten es ihnen erst erklären - seitdem haben wir keine Probleme mehr gehabt."
Bislang sind es jedoch nur kleine Reisegrüppchen, die sich in das Gebiet trauen, auch wenn es dort nur noch ganz selten zu Kampfhandlungen kommt. Die größte Gruppe seien 14 Personen gewesen, erzählt Bürgermeister Abu Aiman. "Ich hoffe, dass die Besucher in Zukunft mehr als nur eine Nacht bleiben."