Wahrscheinlich mehr als 100.000 Tote. Durch ein Beben der Stärke 7. Und das ausgerechnet im Armenhaus der Erde. Die Welt hatte Haiti fast vergessen. Und jetzt ist es auf grauenvolle Weise zurück ins Licht der Öffentlichkeit katapultiert worden.
Am meisten verblüfft mich aber, wie gespalten ich selbst auf diese Katastrophe reagiere. Einerseits erschrecke ich irgendwie über meinen Gleichmut. Ich meine: Haiti? Das ist doch weit weg. Ich habe genug Sorgen. Was kümmert mich Haiti?
Und dann stelle ich mir eine Sekunde lang vor, einem meiner Kinder wäre dort etwas zugestoßen. O Gott! Und plötzlich ahne ich etwas von dem Schmerz, der jetzt in Haiti hunderttausendfach die Menschen überfällt. Der ihnen im wahrsten Sinn des Wortes den Boden unter den Füßen wegzieht. Die große Zahl der Toten ist nicht allein das Bedrückende, sondern die hunderttausend Einzelschicksale.
Gott den Schmerz hinhalten
Wie soll man solche verzweifelten Menschen trösten? Ich weiß es nicht. Aber über eines staune ich: Es sind ja nicht viele Leute letzte Nacht aus Haiti am Telefon durchgekommen. Aber die, die es geschafft haben, sagten fast alle: "Ich habe angefangen zu beten."
Die haben mit Gott gesprochen. Ihm ihren Schmerz hingehalten. Verzweifelt - und doch voller Hoffnung. Und zwar einer Hoffnung, die über den Tod hinaus weist. So, wie die Bibel das sagt: "Eines Tages kommt eine Welt, in der wird kein Schmerz und kein Schreien mehr sein." Ich hoffe sehr, dass dieser Glaube ganz viele Leute tröstet. Jetzt, wo es darum geht, - mit starker Hilfe von außen - das Land wieder aufzubauen.
Fabian Vogt ist Rundfunkpfarrer der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und lebt in Oberursel bei Frankfurt. Außerdem ist er Schriftsteller, Musiker und Kabarettist.