TV-Tipp des Tages: "Der Jahrhundertsturm" (Arte)

TV-Tipp des Tages: "Der Jahrhundertsturm" (Arte)
1999 sorgte der Orkan "Lothar" für Verwüstungen in Europa. Die Dokumentation "Der Jahrhundersturm" zeichnet die Ereignisse nach und prüft, welche Fehler damals gemacht wurden.
15.12.2009
Von Tilmann P. Gangloff

"Der Jahrhundertsturm", Dienstag, 15. Dezember, 21 Uhr auf Arte

Vielen Menschen kam es vor wie der Tag der Apokalypse. Doch der Sturm "Lothar", der am zweiten Weihnachtsfeiertag 1999 mit einem Tempo von bis zu 200 Stundenkilometern über Westeuropa hinwegfegte, war vielleicht bloß ein Vorbote. Von Entwarnung kann keine Rede sein; und womöglich müssen wir uns auf ungleich schlimmere Orkane einstellen. "Lothar" würde seine Bezeichnung "Jahrhundertsturm" dann allein der Tatsache verdanken, dass das er das neue Jahrhundert knapp verpasst hat.

Der Allensbacher Fernsehjournalist Willy Meyer ist für seine Dokumentation, die der deutsch-französische Kulturkanal Arte ab 21.00 Uhr im Rahmen des Themenabends "Risiko Natur" ausstrahlt, der Spur der Verwüstung gefolgt: von der Betragne, wo "Lothar" erstmals aufs Festland prallte, bis in den Schwarzwald. Sein Film ist zwar auch ein Tagebuch der Katastrophe, aber in erster Linie geht es um perspektivische Fragen: Was hat sich seit und durch "Lothar" geändert? Sind Städte und Gemeinden gegen weitere Katastrophen dieser Art gewappnet? Können Meteorologen solche Ereignisse mittlerweile langfristiger vorhersagen?

Zunächst aber zeigt Meyer noch mal die Bilder jenes Tages, als der "Monstersturm" an der bretonischen Küste eine verheerende Sturmflut auslöste, in Paris sechzig Prozent aller Dächer beschädigte, in Versailles 400 Jahre Geschichte eliminierte und im deutschen Südwesten ganze Wälder umknickte wie Streichhölzer. Die Aufnahmen wirken mitunter wie Ausschnitte aus einem Katastrophenfilm von Roland Emmerich ("2012"). "Lothar" forderte mindestens 110 Menschenleben, die Schäden beliefen sich insgesamt auf 11 Milliarden Euro; selbst Wissenschaftler hatten bis dahin keine Ahnung, dass ein Orkan in unseren Breiten solche Ausmaße annehmen kann.

Meyer konnte für seinen Film eine Katastrophenexpertin gewinnen, die er mit der Kamera begleitet hat. Gemeinsam finden sie raus, dass der französische Lotsendienst bereits 48 Stunden vorher über die bevorstehenden Ausmaße des Sturms informiert war; der Wetterdienst hingegen hat die Informationen offenbar falsch eingeschätzt, ein Fehler, den später auch die deutschen Meteorologen begingen. Als Tags drauf ein zweiter Orkan ("Martin") folgte, stand Frankreich kurz vor dem völligen Zusammenbruch. Im Januar 2009 sorgte "Klaus" erneut für verheerende Schäden.

Die Dokumentation verdeutlicht nicht nur, dass diese bislang stets regional wahrgenommenen Winterstürme keine Einzelfälle bleiben werden. Bei den Versicherungen werden sie mittlerweile ähnlich kategorisiert wie Vulkanausbrüche und Erdbeben. Meyer weist zudem auf Dimensionen hin, die weitaus größere Folgen haben können als abgedeckte Dächer und zerstörte Wälder: In Frankreich musste ein Kernkraftwerk notabgeschaltet werden, als größere Schäden drohten. Immerhin endet der Film versöhnlich: Der "Lothar-Pfad" im Nordschwarzwald ist ein verblüffendes Beispiel dafür, wie sich die Natur von selbst wiederherstellt.

 


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und die "Frankfurter Rundschau" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).