Es ist ein Markenzeichen des Ostens. Mit Zipfelmütze und Spitzbart stiefelt das Sandmännchen allabendlich über den Bildschirm. Kaum einer kann sich dem Charme der animierten Puppe entziehen, die am Ende jeder Sendung den Kindern symbolisch Traumsand in die Augen streut und sie damit sanft in den Schlaf bringen will. Seine Premiere erlebte der kleine Mann mit dem schlohweißen Bart im drolligen Gesicht vor 50 Jahren, am 22. November 1959, im DDR-Fernsehen.
Spannend sind vor allem seine Fortbewegungsmittel und seine Kleidung. "Womit kommt er heute?" fragen viele Kinder am Abend. Eines gilt als sicher: Als Raumfahrer, Kutscher, Pilot, Ballonflieger, Radfahrer, im fliegenden Koffer, auf dem schwebenden Teppich oder im Segelboot - es gibt wohl kaum ein Fahrzeug, welches das Gute-Nacht-Männchen nicht schon ausprobiert hätte. Auch auf Tieren kommt es gelegentlich geritten.
Kindliches und Würde
Spektakulär wie seine Auftritte war auch seine Entstehung - in nur drei Wochen wurde der Sandmann geschaffen. Als die DDR-Führung vom West-Sandmännchen erfuhr, das im Sender Freies Berlin (SFB) am 1. Dezember 1959 auf Sendung gehen sollte, gab es für die Genossen kein Halten mehr. Um schneller zu sein als die politische Konkurrenz, musste ein Ost-Sandmännchen her. Beauftragt wurde der Berliner Regisseur, Puppen- und Szenenbildner Gerhardt Behrendt (1929-2006).
Den Ohrwurm "Sandmann, lieber Sandmann" soll der Komponist Wolfgang Richter (1928-2004) gar an nur einem Abend geschrieben haben. Den Text habe er sich durchs Telefon diktieren lassen, heißt es. Seither ertönt sein Lied am Beginn und Schluss einer jeden Sandmännchen-Sendung. Dazwischen wird eine Gute-Nacht-Geschichte als Kurzfilm erzählt.
Behrendt verlieh seiner Puppe eine liebevolle Gestalt. Das Sandmännchen habe sowohl "Kindliches als auch das Merkmal der Weisheit und der Würde des Alters", soll er über sein Werk gesagt haben. Dennoch muss er mit seinem ersten Entwurf nicht recht zufrieden gewesen sein, erzählt Sandmännchen-Forscher Volker Petzold. Berendt habe sich für das "hutzelige Männchen", das bei seiner Premiere durch den Schnee stapfte, zunächst sogar geschämt.
Mehr als 450 Folgen
"Etwas müde und schläfrig aussehend schlurfte er durch die Szene", erinnert sich Petzold, der sich seit 1992 intensiv mit dem Sandmännchen beschäftigt. Behrendt habe dann bis zum Sommer 1960 an der Figur weitergearbeitet und ihm die heutige Gestalt gegeben.
Inzwischen gibt es mehr als 450 verschiedene szenische Sandmann-Folgen. Und am Anfang wie am Ende setzte sich in diesem Fall das Ostprodukt durch. Denn dem DDR-Fernsehen gelang es im Herbst 1959 tatsächlich, mit seinem Kinderprogramm den Klassenfeind auszustechen. Der SFB konnte mit seinem Sandmännchen erst acht Tage später auf Sendung gehen - und das auch nicht als Trickfilmgeschöpf, sondern nur als Handpuppe.
Schon gleich zu Beginn wurde das Ost-Sandmännchen vom Publikum begeistert aufgenommen. Dabei liegt der Schlüssel zum langjährigen Erfolg nach Worten Petzolds in der "Dreieinigkeit" von Puppe, Lied und wechselnden Fahrzeugen.
Das DDR-Sandmännchen war im Gegensatz zum Westprodukt natürlich auch politisch engagiert: Es besuchte sozialistische Freunde in der Sowjetunion, Kuba und Vietnam, aber auch das Pionierlager und die Nationale Volksarmee (NVA). In den Westen durfte es jedoch genauso wenig wie seine Zuschauer. Dafür flog es mit dem ersten deutschen Kosmonauten Sigmund Jähn ins All.
West-Sandmännchen ist verschwunden
Fast vergessen ist heute, dass das Ost-Sandmännchen trotz großer Beliebtheit im vereinten Deutschland vom Bildschirm verschwinden sollte. Petzold, der 1991 Vizechefredakteur des ehemaligen DDR-Fernsehsenders DFF war, bezeichnet diese Episode zwar heute im Rückblick auch nur noch als Gerücht. Unstrittig ist aber, dass der Traumsand-Wichtel im Januar 1992 in Mecklenburg-Vorpommern abgeschaltet wurde und aufgrund des großen Zuschauerprotestes nach kurzer Zeit wieder auf dem Bildschirm erschien.
Inzwischen hat er seinen Wirkungsbereich erheblich vergrößert und ist allabendlich im RBB, MDR und im Kika zu erleben. Im Kinderkanal von ARD und ZDF ist der Ost-Sandmann mittlerweile ein gesamtdeutsches Phänomen und mit täglich einer Million Zuschauern auch Quotenkönig geworden. Das West-Sandmännchen hingegen verschwand von den Bildschirmen.
Das Filmmuseum Potsdam würdigt den drolligen Schlafbringer seit Mitte Oktober mit der Familienausstellung "Sandmann auf Reisen". Noch bis Dezember 2010 sind dort unter anderem 100 Puppen und 70 Original-Fahrzeuge des Publikumslieblings sowie drei komplette Fernseh-Sets zu sehen. Und im nächsten Jahr soll der erste Sandmann-Kinofilm auf die Leinwand kommen.