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In seiner dicken roten Winterjacke, mit Jeans und Pudelmütze gleicht der kleine Martin seinem großen Namensvetter überhaupt nicht. Als die Schwelmer Grundschullehrerin Christina Heute ihrer dritten Klasse die Hauptfigur aus Doris Dörries gleichnamigem Kinderbuch vorstellt, denkt kein Kind an den Heiligen Martin. Zumal dieser Junge beim Schlittenfahren im Park keinem netten Bettler begegnet, sondern einer alten, obdachlosen Frau, die rauchend auf einer Bank sitzt und vor Kälte schlottert.
Dennoch lässt sich Martin in dem neuen Buch der bekannten Regisseurin auf ein Gespräch ein. "Ich glaube, er merkt im Herzen, dass es der alten Frau nicht so gutgeht", sagt die achtjährige Carlotta. "Und er will ihr helfen, obwohl sie so gruselig aussieht." Als der kleine Martin schließlich seine dicke, rote Jacke mit einem Taschenmesser durchtrennt und der alten, knurrigen Hilde eine Hälfte schenkt, kommt die Szene plötzlich allen bekannt vor. "Das ist ja wie bei Sankt Martin, nur dass der Martin hier ein Kind ist", ruft Sara in die Klasse.
Diskussion um Bettler
Und schon sind die Grundschüler mittendrin in der Diskussion um Bettler und Obdachlose, die Dörrie nicht nur mit ihren Filmen, sondern nun auch mit einem Kinderbuch anstoßen möchte. Sie fragen sich, ob ein halber Mantel besser ist als keiner und ob Martin die alte Frau nicht lieber mit nach Hause genommen hätte, um ihr eine alte Jacke seiner Mutter zu schenken. Die Debatte gefällt Lehrerin Christina Heute. "Das Bilderbuch von Doris Dörrie gibt viele gute Gedankenanstöße", sagt sie. "Vor allem zeigt es, dass wir Vorurteile überwinden müssen, wenn wir teilen wollen."
Längst nicht alle Kinderbücher zur Martinslegende erfüllen nach Ansicht der Pädagogin diesen Anspruch. Meistens würden diejenigen, mit denen Kinder teilen sollten, als harmlose, sympathische Außenseiter dargestellt. Diese verkürzte Darstellung der Martinslegende unterfordere viele Grundschüler, die sich schon viel ernsthaftere Gedanken um soziale Gerechtigkeit machten, kritisiert die 43-jährige Grundschullehrerin.
Lebenseinstellung, die provoziert
"Die Mildtätigkeit des Heiligen Martin war eine Lebenseinstellung, die damals wie heute provoziert", sagt Erich Jooß, Autor des Kinderbuchs "Martins Mantel", das zu den Klassikern der Martinsbücher gehört. Seine Erzählung der Martinslegende beginnt der Geschäftsführer des Münchner Michaelsbunds daher mit der Szene, in der der römische Offizier Martin seinem Knecht die Schuhe putzt.
Jooß zeigt ihn als einen von seinen Kameraden verspotteten Soldaten, der nie genug Geld hat, weil er alles den Armen schenkt. Als einen, "der selbst zum Bettler wird" und schließlich auf alle Privilegien als römischer Offizier verzichtet, um arm wie Jesus Christus durch die Welt zu ziehen. "Martin versuchte seinen Traum von einer besseren Welt zu leben", betont Jooß. "Diese Lebenshaltung möchte ich den Kindern näher bringen."
Für Kinderbuchautor Michael Jahnke ist dabei wichtig zu zeigen, dass Teilen nicht ärmer, sondern reicher macht. "Es ist ein emotionaler Gewinn, denn man nimmt Anteil an der Freude des anderen." Das sei Kindern aber gar nicht so leicht zu vermitteln. "An der Gestalt des Martin können wir sehen, dass zum Teilen Mut gehört und mutig möchten alle Kinder sein." Martin habe sich in seinem Leben "etwas getraut" und damit die Gesellschaft verändert. "Zuerst wurde er verspottet, später hat man ihn zum Bischof gewählt."
Mutig gegen eine Diebesbande
In Jahnkes Krimi "Das Schwert des Reiters" geht es daher auch um eine Gruppe von Kindern, die sich mutig einer Diebesbande entgegenstellt. Die Kinder retten das Originalschwert des Heiligen Martin vor dem Verkauf auf dem Schwarzmarkt. Und erfahren nebenbei noch einiges über sein Leben. "Viele Kinder verbinden mit der Figur des Martin nur noch Laternen, Brezeln und die Mantelteilung", sagt Jahnke. "All das kommt auch in meinem Roman vor, wird aber mit dem tieferen Sinn der Legende verknüpft."
Heutzutage müssten Kinder mehr denn je in ihrer eigenen Lebenswirklichkeit abgeholt werden, urteilt der Erziehungswissenschaftler. Christliche Inhalte seien vielen nicht mehr bekannt. Daher böten zentrale Kirchen- und Brauchtumsfeste wie Sankt Martin einen guten Anhaltspunkt, Kindern die "Kernthemen christlichen Glaubens" nahe zu bringen.
Für Regisseurin Doris Dörrie gehört das Teilen dazu. "Es macht die Menschen glücklich, weil es aus der Isolation in die Kommunikation führt", sagt Dörrie. Dies zeige sich am einfachsten in einem Lächeln, "in der Aufforderung, die Welt gemeinsam wahrzunehmen." So wie bei der obdachlosen Hilde und Martin mit dem roten Anorak. Das Bild der lächelnden, obdachlosen Frau hat vielen Schülern der dritten Klassen in Schwelm sogar am besten gefallen. "Die Frau sah vorher eher böse aus", sagt die achtjährige Alena. "Aber jetzt ist sie richtig nett."
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