"Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, heute eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht, über Grenzübergangspunkte der DDR auszureisen. Also Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Vorraussetzungen, Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse, beantragt werden, die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. Das tritt… nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich." Mit diesen Worten leitete der Chef der Ostberliner SED, Günter Schabowski, am Abend des 9. November gegen 19 Uhr die Auflösung der innerdeutschen Grenze ein.
Die Berliner Mauer an der Adalbertstrasse, Ecke Engeldamm, in Kreuzberg1990 und 2009.
Die Ostberliner ließen sich die Gelegenheit nicht entgehen und forderten allein durch schiere Masse von den Grenzern an den Übergängen nach Westberlin, endlich die Schlagbäume zu öffnen. Dass dieser Abend ohne Blutbad endete, bleibt eines der faszinierendsten Ereignisse in der Geschichte der Bundesrepublik. Es hätte auch anders kommen können, wie der damalige sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow zum Jahrestag des Mauerfalls im ZDF-Interview sagte: "Wir hatten ja auch Panzer. Wenn wir die reingeschickt hätten, dann wäre es so geworden. Das hätte sogar bis zum Atomkrieg führen können. Und das wäre eine fürchterliche Variante gewesen."
3, 2, 1... Mauer!
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So weit kam es glücklicherweise nicht. Stattdessen löste sich die Berliner Mauer immer weiter auf. Neue Grenzübergänge zwischen Ost- und Westberlin entstanden. Die so genannten "Mauerspechte" – eifrige Bürger mit hohem Abrisswillen – demolierten die Betonwand zusehends, vor allem von Westberlin aus. Die Mauersteine, Betonbruchstücke, die oft auf Westberliner Seite noch Spuren von Mauergraffiti zeigten, hatten damals schon Sammlerwert. Beim Online-Auktionshaus eBay bekommt man heute ein Stück Mauer ab einem Euro, Sofortkauf für 3,99. Größere Stücke werden auch angeboten, die Echtheit der Betonblöcke allerdings kann niemand wirklich garantieren. Kommerzialisieren ließ sich der "antifaschistische Schutzwall" ziemlich gut: in westdeutschen Supermärkten standen nach dem 9. November 1989 schnell kleine Modell-Trabis, komplett mit einem kleinen Stück Mauerbeton dazu.
Aber auch ganz erhaltene Teile haben sich in der ganzen Welt verbreitet. Nachdem die Mauer in der zweiten Jahreshälfte 1990 geordnet abgebaut wurde, kauften Institutionen weltweit die 2,75 Tonnen schweren Elemente oder bekamen sie geschenkt. Beispielsweise übergab Eberhard Diepgen, dienstältester Bürgermeister der Stadt Berlin, der Stadt Danzig im Jahr 2000 zum 20. Jahrestag der Gründung von Solidarnosc eines der Betonmonumente. 3,60 Meter hoch und 1,20 breit sind die Teile, aus denen ab dem 12. August 1961 der größte Teil der Abriegelung der Sektorengrenze erbaut wurde.
Das Engelbecken in Berlin 1990, mit Grenzsoldaten an ihrem letzten Arbeitstag und Wachturm im Hintergrund, und 2009 im renovierten Zustand.
Mauerteile von Berlin bis Canberra
Das Mauermuseum in Berlin führt eine Liste mit allen bekannten Orten, an denen Elemente der Berliner Mauer stehen. Unter anderem hat sich der amerikanische CIA für seine Zentrale in Langley ein Mauerstück gesichert. 23 der ehemals 45.000 Elemente, aus denen die Mauer bestand, haben es bis in die USA geschafft, neben Langley auch auf das Firmengelände von Microsoft in Redmond und in diverse Universitäten. Ein Element vom Leipziger Platz wurde dem ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan 2002 übergeben und steht nun im UN-Gebäude in New York, ein anderes ruht als Attraktion in den Toilettenräumen eines Casinos in Las Vegas.
Auch in Kapstadt, in Mexiko, in der Schweiz, in Japan, Belgien, Portugal, Israel und Frankreich stehen Mauerelemente. Sogar der Papst hat einen Teil der Mauer in den Vatikanischen Gärten stehen. In Schweden nutzt ein Wodka-Hersteller ein Element als PR-Gag, in Südkorea steht eines der Betonstücke als Mahnmal an der Grenze zu Nordkorea. Die Mauer hat es als Symbol damit an viele Stellen geschafft, sogar bis nach Australien, wo der Deutsche Club "Harmonie" in Canberra ein Stück ausstellt. Wofür die Teile stehen, ist unterschiedlich: Mal erinnern sie an das Ende des Kalten Krieges, mal stehen sie als Warnung für die Zukunft, mal sind sie einfach nur ein sehenswertes Stück Touristenattraktion.
Mauer komplett online sehen
In Berlin selbst ist von der Betonhürde, die nicht nur die ganze Stadt teilte, sondern sogar einzelne Straßen in zwei Hälften schnitt, nicht mehr viel übrig. Aber was noch da ist, wird sorgsam erhalten. Die Denkmalpflege des Landes Berlin nennt das "eine große Herausforderung", weil gerade in den Jahren nach der Wiedervereinigung die Bewohner Berlins nicht ständig an die Teilung erinnert werden wollten. Aber verschwunden ist die Mauer nie: Sie gehört zu den größten Anziehungspunkten Berlins für Touristen, das Mauermuseum im Haus am Checkpoint Charlie ist ein Pflichtbesuch. Dort wird auch an die Fluchtversuche erinnert und die kreative Art und Weise, wie manche DDR-Bürger dem Regime in Richtung Westberlin entkommen wollten. Auch der Mauertoten wird gedacht, denjenigen, die den Fluchtversuch mit ihrem Leben bezahlten.
Familienausflug im ehemaligen Todesstreifen am russischen Denkmal in Dreillinden 1990 und 2009.
An einigen Stellen der Stadt steht natürlich auch noch die Original-Mauer, sorgsam behütet. Ein Projekt der Technischen Universität Cottbus hat diese Stellen und auch den früheren Verlauf der innerdeutschen Grenze um Westberlin sorgsam dokumentiert. Eine Karte im Internet zeigt den Verlauf der Mauer. Das Forscherteam um Prof. Dr. Leo Schmidt hat metergenau markiert, wo Grenzpfosten, Grenzübergänge, Wachtürme, Mauerabschnitte damals standen oder heute noch stehen. Fotos zeigen den heutigen Stand der Denkmäler, teilweise sind auch historische Fotos aus der Zeit, in der die Mauer noch stand, eingearbeitet.
Symbol und Mahnung zugleich
So entsteht aus vielen Puzzleteilen ein komplettes Bild dieses einzigartigen Bauwerks in der deutschen Geschichte, das teilweise komplett ausradiert, teilweise aber noch beinahe original erhalten ist. Das symbolischste Bauwerk des kalten Krieges ist heute überwuchert, abgerissen, um die Überreste kann man völlig frei herumgehen und in der Stadt selbst erinnert nur noch eine Pflasterlinie an den ehemaligen Verlauf.
Nur noch lückenhaft erhalten und in alle Welt verstreut ist die Mauer heute. Dort steht sie als ein erfolgreiches Zeugnis der friedlichen Überwindung von staatlicher Trennung. Und damit verbunden ist nicht nur die Erinnerung an die andere Weltordnung in Zeiten des Kalten Krieges, sondern auch die Hoffnung, dass auch die anderen Mauern weltweit sich irgendwann als Relikte einer anderen, vergangenen Zeit in Museen, Universitäten und vielleicht auch in Toiletten in Las Vegas wiederfinden.
Hanno Terbuyken ist Redakteur bei evangelisch.de, zuständig für die Ressorts Gesellschaft und Wissen.