Juden in Deutschland fürchten wachsenden Antisemitismus

Juden in Deutschland fürchten wachsenden Antisemitismus
Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, sieht einen wachsenden Antisemitismus in Deutschland.

Zwar sei die Judenfeindlichkeit von heute nicht mit derjenigen in der Zeit der Reichspogromnacht vor 75 Jahren vergleichbar, sagte Kramer am Samstag dem Radiosender NDR Info: "Aber wir haben Gewalt gegen Sachen, gegen Gräber, gegen Gemeinden wie auch gegen Menschen." Kramer erinnerte daran, dass in Berlin ein Rabbiner "am helllichten Tage" angegriffen worden sei. Judenfeindlichkeit zeige sich "in ihrer ganzen Brutalität". Antisemitische Einstellungen seien mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Der Generalsekretär sprach von einem "Salon-Antisemitismus": "Der ist wieder en vogue geworden."

###mehr-artikel###Antisemitismus erscheine heute auch in Form von Feindschaft gegen Israel, so Kramer. "Ich bin mir im Klaren darüber: Nicht jede Kritik am Staat Israel und an der Regierung ist antisemitisch", betonte Kramer: "Aber es gibt schon sehr deutliche Beispiele dafür, wie hier blanker Antisemitismus gepflegt wird." Zudem mache sich der religiöse Antijudaismus wieder bemerkbar. Tagtäglich begegneten Juden Aussagen wie: "Naja, ihr Juden habt ja unseren Jesus Christus umgebracht." Hier beobachte er eine "Tendenz nach oben".

Nach Angaben von Experten haben rund 15 bis 20 Prozent der Deutschen eine latent antisemitische Einstellung. Jährlich gebe es rund 1.400 antisemitisch motivierte Straftaten, sagte Juliane Wetzel vom Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" (Samstagsausgabe). Im Fokus stünden dabei junge Muslime, doch 90 Prozent gingen von Rechtsextremisten aus.

Israelkritisches Gedicht von Günter Grass

Wie tief der Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft verankert sei, habe sich im vergangenen Jahr in den Reaktionen auf ein israelkritisches Gedicht von Günter Grass gezeigt, sagte Wetzel. Sie erinnerte auch an die Diskussion um die Beschneidung jüdischer Jungen. Immer wieder begegneten dabei Stereotypen wie die Aussage, die Juden profitierten vom Holocaust. Auf Schulhöfen werde das Wort "Jude" inzwischen analog zum Begriff "Opfer" verwendet. Daran zeige sich, dass Juden im Schulunterricht nur als Opfer von Pogromen oder Völkermord zum Thema würden, nicht aber in ihrem Alltag.