Worum geht es heute in Ihrer Kolumne?
Jens Jensen: Die heutige Folge heißt "Die Virtuosin". Es geht um das, was Meisterschaft von der bloßen Beherrschung eines Handwerks unterscheidet – und welche Rolle das Vergessen dabei spielt.
Wie kommen sie auf Ihre Geschichten?
Jensen: Viele Anregungen kommen mir beim Lesen oder dass ich irgendwo etwas aufschnappe. Ich gehe einfach mit einem Reporterblick durch die Welt und mache mir entweder sofort eine Notiz oder trage es vielleicht auch ein paar Tage mit mir herum. Es sind die kleinen Alltagsbeobachtungen, aus denen ich dann die Geschichten für die Podcasts entwickle.
###mehr-links###Zum Teil sind das schwere Inhalte. In einem Podcast sinnieren Sie über das Scheitern. Haben Sie nicht die Befürchtung, dass die Hörer einschlafen könnten?
Jensen: Das ist ein durchaus nicht unerwünschter Nebeneffekt. Ich hab keine Angst davor, wenn die Hörer während des Hörens einschlafen. Wenn ich Einschlafprobleme habe, komme ich allein deshalb wieder.
An welchen Hörer haben Sie gedacht, als Sie Ihren Gutenacht-Podcast entwickelt haben?
Jensen: Ich denke an Deutschsprachige in aller Welt, die zwar schon müde sind aber immer noch am Computer sitzen. Vielleicht selbst gar nicht so genau wissen, was sie suchen oder warum. Und auf meiner Website gibt es ein letztes Bonbon des Tages. So nenne ich das: Ein Betthupferl, für das sie dann beim Zahnarzt nicht geschimpft bekommen. Die Idee ist, dass sie sich das vielleicht anhören, noch ein, zwei Minuten darüber nachdenken und dann den Computer abschalten können und glücklich einschlafen.
Betrachten Sie sich als eine Art Art Lebenshelfer?
Jensen: Ich gebe keine Lebenshilfe, sondern Einschlafhilfe. Alles andere wäre mir zu hoch aufgehängt. Es sind Alltagsbeobachtungen mit einer Prise Tiefsinn. Man muss auch sehen, dass der Podcast eine Länge von drei Minuten hat und jeden Werktagabend erscheint. Er kann schon aufgrund dessen keine persönlichen Bindungen, keine persönliche Zuwendung, keine Freunde, all das nicht ersetzen.
###mehr-personen###Und welches Ziel verfolgen Sie dann mit Ihren digitalen Betthupferln?
Jensen: Das Ziel ist, dass man im Internet – das ja im Großen und Ganzen eine Fülle an Angeboten beinhaltet, aber doch in weiten Teilen recht unpersönlich ist – eine kleine Insel hat. Eine Anlaufstelle, wenn man beispielsweise tausende von Kilometern entfernt von zu Hause in einem anonymen Hotelzimmer sitzt. Dass man weiß, da erwartet mich heute Abend genau die gleiche Stimme, die ich gestern zu Hause gehört habe. Das schafft ein Quäntchen Geborgenheit. Aber mehr ist es auch nicht.
Geborgenheit aus dem Netz, so weit sind wir mittlerweile!
Jensen: Ich glaube, früher war das Problem die fehlende Abwechslung. Wer in der Provinz gelebt hat, war auf ein paar Hörfunkprogramme, auf drei Fernsehprogramme angewiesen und hatte vielleicht noch ein kleines Dorfkino. Heute haben wir mehr Abwechslung als Lebenszeit, eine unzählige Menge an Angeboten im Internet. Nur was sich tatsächlich verändert hat ist, dass diese Angebote immer weniger uns persönlich meinen. "Gutenachtkuss" ist ein bescheidener Versuch, dieses eher unpersönliche Internet in einer winzigen Ecke etwas persönlicher zu machen.
Was unterscheidet denn Ihren Podcast von anderen "Gutenachtsendungen" im Radio oder im Internet?
Jensen: Der allererste Podcast, der in Deutschland richtig Furore gemacht hat, war "Schlaflos in München" von Annik Rubens und insofern ist diese Idee tatsächlich nicht neu. Man sucht sich Themen, die viele Menschen betreffen. Es gibt ja auch unzählige Kolumnen und Blogs dieser Art. Was bei mir ungewöhnlich ist: Es ist nicht so sehr ironisch oder flapsig. Und was ich anders mache als Annik Rubens, ist zum Beispiel die Ansprache. Annik Rubens duzt ihre Hörer, ich sieze die Hörer. Und ich habe andere Themen und versuche so einen etwas anderen Zugang zu finden. Und da ist es auch für mich ein sehr spannendes Experiment, ob so etwas im Medium Internet überhaupt angenommen wird.
Jensen: Das Internet ist eine sehr einheitliche Masse insofern, als selbst seriöse Angebote mittlerweile sehr informell sind. Selbst die Angebote, die vom Printbereich kommen und etwas konservativer angesiedelt sind, haben mittlerweile auch Foren und Communities. Das heißt, es gibt mittlerweile einen großen Trend zur Nähe, obwohl diese Nähe in der Realität eigentlich gar nicht existiert. Ich versuche gewissermaßen eine freundliche und höfliche Distanz durchzuhalten, die im Internet vielleicht ein Relikt darstellt.
Noch kann man den Podcast nur im Internet bekommen. Dabei wäre das doch auch als tägliche Radioreihe vorstellbar, so wie das Sandmännchen im Fernsehen.
Jensen: Für Angebote bin ich natürlich offen! Der Reiz besteht aber gerade darin, dass ich von Anfang bis Ende ein Projekt gestalten kann, ohne inhaltliche Vorgaben eines Auftraggebers. Das ist ein spannendes Experiment. Flankierend läuft jetzt aber ganz neu auch eine Twitterseite mit, und es sind ein paar Dinge in der Planung, die aber noch nicht spruchreif sind.