"Man muss der türkischen Regierung mit aller Deutlichkeit sagen, dass es nicht genügt, die säkulare Demokratie zu beschwören, sondern dass zur Demokratie auch Toleranz gegenüber Andersdenkenden sowie Meinungs- und Versammlungsfreiheit gehören", sagte Verheugen am Montagabend im Fernsehsender Phoenix. Er verwies auf das Vorgehen der islamisch-konservativen Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan gegen Demonstranten.
"Ich hätte nicht damit gerechnet, dass wir bürgerkriegsähnliche Szenen aus der Türkei zu sehen bekommen", sagte der Sozialdemokrat und warnte vor weitreichenden Folgen: "Wenn die Türkei ihre innere Stabilität verliert, verlieren wir sie in der gesamten Region."
Der Bundesregierung warf Verheugen vor, sie habe gemeinsam mit Frankreich die EU-Beitrittspolitik verwässert. "Wenn die Perspektive für die Türkei nicht in den vergangenen Jahren auch durch die Bundesregierung verschlechtert worden wäre, wäre der Reformprozess entschlossener vorangeschritten", sagte der frühere EU-Kommissar. Die seit 2005 laufenden EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei stocken schon länger. Problemfelder sind unter anderem die Frage der Meinungsfreiheit, die ungelöste Zypern-Frage und der Umgang der Türkei mit Minderheiten.