Zwar habe sich die Aufmerksamkeit in der Gesellschaft gegenüber Ausländerfeindlichkeit seitdem geändert, sagte der Bielefelder Rechtsextremismusforscher dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Gleichwohl war es schon negativ überraschend, dass es nach der Aufdeckung der NSU-Mordserie keine breite gesellschaftliche Bewegung gegeben hat."
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Die Gefahr von rechtsextremer Gewalt sei nach wie vor hoch, warnte der langjährige Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung. Das gelte besonders für schwache Gruppen in der Gesellschaft. "Unsere Langzeitstudie mit jährlichen Bevölkerungsbefragungen zeigt, dass die fremdenfeindlichen Einstellungen nach einem langsamen Rückgang seit drei, vier Jahren wieder zunehmen", sagte der Wissenschaftler. In einigen ländlichen Gebieten, besonders in Ostdeutschland, herrsche ein "Demokratienotstand", und es drohe ein Kontrollverlust.
Die Politik sei jedoch dabei, "aus einem gesellschaftlichen Problem ein juristisches und verfolgungstechnisches Problem zu machen", kritisierte Heitmeyer. Ein Verbot der rechtsextremen NPD bringt nach seiner Einschätzung nicht viel. "Der parteiförmige Rechtsextremismus à la NPD hat meines Erachtens keine Zukunft", sagte der Forscher. Die NPD verliere Wähler und Mitglieder und sei finanziell so gut wie pleite. Die eigentliche Gefahr sieht Heitmeyer in radikalisierten Milieus des rechtsextremen Spektrums. Dies werde völlig unterschätzt. "Staatliche Repression erzeugt immer auch rechtsextremistische Innovationen", erklärte der Experte.
Für die Bekämpfung des gewaltbereiten Rechtsextremismus gibt es nach Heitmeyers Einschätzung keinen Königsweg. An die Kader komme man nicht heran. "Mit den anderen Jugendlichen muss man reden, reden, reden", rät Heitmeyer, der im April die Leitung des renommierten Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung abgab. Diesen Jugendlichen müssten Anerkennungschancen geboten werden, "so dass sie diese Anerkennung nicht in gewaltbereiten Gruppen suchen oder gar suchen müssen, weil sie keine Alternativen haben".
Der Brandanschlag von Solingen, der sich am 29. Mai zum 20. Mal jährt, war das folgenschwerste ausländerfeindliche Verbrechen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Zwei Frauen und drei Mädchen wurden getötet, als vier junge Neonazis in der Nacht zum 29. Mai 1993 das Haus der türkischen Familie Genç in der Unteren Wernerstraße anzündeten. Die Tat rief weltweit Entsetzen hervor.