Wann immer ein Literaturklassiker fürs Kino verfilmt wird, sieht man dem Ergebnis mit hohen Erwartungen, aber auch großen Befürchtungen entgegen. Dementsprechend teilten sich bereits die Reaktionen, als 2008 bekannt wurde, dass der Australier Baz Luhrmann F. Scott Fitzgeralds Roman "Der große Gatsby" für die Leinwand adaptieren sollte. Luhrmann hatte bereits mit seiner hemmungslos modernen und zugleich textgetreuen "Romeo & Julia"-Version die Literaturkenner gespalten. Sein "Moulin Rouge!" von 2001 machte ihn endgültig als furchtlosen "Remixer" bekannt, der seine Filme eher nach Art moderner Musikproduzenten als der klassischen Regisseure macht. Altes und Neues, Buntes und Gebrauchtes werden zusammengeführt, übereinanderlegt, neu orchestriert. Das Ergebnis ist oft absolut modern - und voller Nostalgie. Für den "großen Gatsby" könnte es keinen besseren Ton geben.
Entgegen der Vorabgerüchte, die Luhrmanns aufwendige Produktion als ersten großen Flop der Filmsaison 2013 vorhersehen wollten, erweist sich "Der große Gatsby" als fesselndes Spektakel, dem man entweder die kalte Schulter zeigen oder sich ganz überlassen kann. Es ist fast wie auf den ominösen Partys von Gatsby selbst: Die Hüter der Literatur, die Luhrmanns Zugriff als vulgär und popfixiert abtun, sie gleichen ein wenig jenem "alten Geld", wie es in der Gestalt von Gatsbys verhasstem Gegenspieler Tom Buchanan missbilligend auf all das Feiern herabblickt. Doch wer ohne Angst davor, dass hier ein Verrat an der Literatur stattfindet, eintaucht in den Fluss der Bilder, in die musikalisch untermalten Champagnerfontänen und tanzenden Leiber, versteht vielleicht zum ersten Mal, worin der Reiz des Buches besteht. Geht es im "großen Gatsby" doch um Lebensgefühl und Atmosphäre, um Verschwendung und das Festhalten an der Liebe als Lebensziel.
Luhrmann führt in einer Rahmengeschichte Erzähler Nick Carraway (Tobey Maguire) ein, der in Depression und Alkoholismus verfallen auf seine Bekanntschaft mit Jay Gatsby (Leonardo DiCaprio) zurückblickt. Berühmte Stellen des Romans schweben schon mal als Schriftzug in 3-D durch den Raum, ansonsten folgt das Drehbuch erstaunlich treu dem Aufbau der Vorlage. Mit Archivaufnahmen, die im Nachhinein in 3D umgewandelt wurden, geht es ins New York der Wilden Zwanziger, wo Nick nach einiger Zeit die Bekanntschaft seines unermesslich reichen Nachbars Gatsby macht, der legendäre wilde Partys schmeißt. Der eigentliche Zweck dieser Verschwendungsfeiern enthüllt sich Nick und dem Zuschauer erst nach und nach: Gatsby hofft darauf, seiner große Liebe Daisy (Carey Mulligan) wieder zu begegnen. Doch die ist inzwischen mit dem reichen Tom Buchanan (Joel Edgerton) verheiratet.
Die Wehmut des Heute
Zwei große Stärken machen die Attraktion des Filmes aus: Die eine heißt Leonardo DiCaprio. Der 38-jährige Schauspieler gibt den ehrlichen Blender Gatsby, als habe Fitzgerald ihn beim Schreiben vor Augen gehabt. Die zweite ist der sensationelle Soundtrack, gespickt mit modernen Popgiganten wie Jay-Z (der zusammen mit Luhrmann produzierte und komponierte), Beyonce, Will.i.a.m, Jack White, Lana del Rey u.v.m. Vor allem Del Rays "Young and Beautiful" erweist sich in seiner eindringlichen Melancholie als regelrechtes Seelengespenst des Films. Zusammen mit der aufwendigen 3-D-Inszenierung entwickeln die Songs mit treibend modernen Rhythmen und nostalgischen Einschlägen wahre Sogkraft. Die Wehmut des Romans trifft auf die Wehmut des Heute, in der man der Unwiederbringlichkeit gewisser Dinge nachtrauert. So feiert Luhrmann den "großen Gatsby" in Form eines selbst fast untergegangenen Kulturprodukts: als eine Art letztes großes Musikvideo.
Australien/USA 2013. Regie: Baz Luhrmann. Buch: Baz Luhrmann, Craig Pearce (nach dem Roman von F. Scott Fitzgerald). Mit Leonardo DiCaprio, Tobey Maguire, Carey Mulligan, Joel Edgerton, Isla Fisher, Elizabeth Debicki, Jason Clarke. Länge 143 Min.