Von DSDS in die Psychiatrie?

Generalprobe der Castingshow "Deutschland sucht den Superstar" am 16. März 2013 in Köln
Foto: dpa/Henning Kaiser
Generalprobe der Castingshow "Deutschland sucht den Superstar" am 16. März 2013 in Köln mit einem Auftritt von Tim David Weller (r)
Von DSDS in die Psychiatrie?
Castingshows im Fernsehen können krank machen. Eine Studie belegt, dass viele Teilnehmer das Erlebnis nicht verkraftet und durch die öffentliche Demütigung einen Knacks bekommen haben. Einige sind deswegen sogar bis heute in psychologischer Behandlung. Allerdings ist das Ergebnis zwiespältig: Der überwiegende Teil der jungen Menschen empfand die Mitwirkung am öffentlichen Casting als eine positive und stärkende Erfahrung.

Die Untersuchung des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) und der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) unter dem Titel "Sprungbrett oder Krise? Das Erlebnis Castingshow-Teilnahme" wird heute (30. April) vorgestellt. Erstmals wurden bundesweit 59 ehemals Teilnehmende von Musik-Castingshows wie "Popstars", "X Factor" und "Deutschland sucht den Superstar" (DSDS) befragt. Ein Interview mit einer der Autorinnen der Studie, Dr. Maya Götz, Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) in München.

Frau Götz, wieso sind Castingshows für Sie zum Untersuchungsgegenstand geworden?

Maya Götz: Weil es doch um Krisenpotenziale geht, die weder den Jugendlichen noch den Profis ganz klar zu sein scheinen. Am Set herrscht zum Beispiel immer ein ganz netter Ton. Jeder sagt einem backstage, wie toll man ist und wie gut man es macht und dass man bestimmt der nächste Star wird. ###mehr-personen### Die 16- bis 18-Jährigen können nicht unterscheiden, dass das eine professionelle Haltung am Set ist, dass das keine inhaltliche Bedeutung hat, sondern dass die Leute vom Produktionsteam mich nur beruhigen wollen und dass es nur deren Aufgabe ist, mich ruhig ins Sendestudio hineinzubringen. Einige gehen nach angemessener Verarbeitungszeit als gereifte Menschen aus der Erfahrung hervor und können das Erlebnis Castingshow-Teilnahme zur Formung ihrer individuellen Talente und Klärung ihrer Lebensperspektiven produktiv nutzen. Andere tragen tiefliegende Verletzungen mit sich, die nach einer angemessenen Vernarbungszeit vielleicht weniger sichtbar sind, wahrscheinlich aber wieder aufbrechen werden, etwa beim nächsten Krisenereignis in ihrem Leben. In diesem Sinne werden sie die durch die  Castingshow-Teilnahme entstandenen psychischen Schäden - etwa durch  Rufschädigung - noch sehr lange beeinträchtigen.

"Die Portraits werden sehr manipulativ zusammengeschnitten."

Ja aber unsere Jugendlichen wachsen doch mit elektronischen Medien auf, sie sind die viel beschworenen digital natives. Sind Jugendliche denn heute nicht viel abgebrühter?

Götz: Nur weil es digital natives sind, heißt es noch lange nicht, dass sie medienkompetent sind. Dass das alles nur Scripted Reality ist, verstehen sie oft gar nicht. Es gibt das Verführungspotential der Shows, mit vermeintlicher Abkürzung schnell zu Ruhm und Reichtum gelangen zu können. Die Jugendlichen kriegen die Mechanismen gar nicht mit. Da werden Kandidaten bewusst dekonstruiert, wenn es zur Sendung passt. Zum Beispiel wird dann so ein Schmatzton unter den Einspielfilm gelegt, den man kaum hört. Aber das macht die Menschen sofort unsympathisch. Dann werden Musiken oder graphische Elemente eingespielt, um Stimmung für oder gegen einen jungen Menschen zu machen. Die Portraits werden sehr manipulativ zusammengeschnitten. Die sind dann eklig oder eingebildet oder was eben ins Sendekonzept gerade passt.

Aber Frust und Beschämung habe ich doch auch, wenn ich in der Musikschule ein Vorspiel machen muss und eben doch der andere den größeren Applaus oder den ersten Preis erntet.

Götz: Klar ist es wichtig, mit dem eigenen Misserfolg umgehen zu lernen. Der Unterschied ist aber, dass wir etwa in einer Musikschule einen pädagogisch intendierten Raum haben. Die Lehrer wollen einen jungen Menschen fördern. ###mehr-artikel### Bei der Castingshow geht es aber nicht darum, den nächsten Superstar zu finden, sondern eine möglichst attraktive Sendung herzustellen. Bohlen, Lena, Nena & Co sind keine Pädagogen. Sie spielen einfach nur ihre Rollen. Das sind international getestete Formate. DSDS etwa geht auf "pop idol" vom britischen Sender ITV zurück, und einer ist immer der Böse, hier in Deutschland eben der Herr Bohlen. Aber das muss einfach durchschaut werden. Das können die Jugendlichen meist noch nicht. In der Musikschule blamieren sich die Schüler vor höchstens ein paar hundert Leuten. In den Castingshows haben wir Millionen vor den Fernsehern und noch nach Jahren lässt sich alles auf youtube nachverfolgen, mit vollem bürgerlichem Namen. Auch alle zukünftigen Arbeitgeber können sich das später anschauen. Das werden die nicht wieder los.

"Beim Jugendschutz denken wir immer an die Kinder vor dem Fernseher. Aber es geht auch um den Schutz der Jugendlichen vor der Kamera."

Also sind die Castingshows schlecht für die Jugendlichen?

Götz: Wir wollen die Produktion sensibilisieren. Die Shows sind ja eher Gladiatorenkämpfe. Brauchen das die Jugendlichen wirklich? Da sollte zumindest ein Therapeut mit am Set sein, und zwar mit Schweigepflicht. Bis jetzt wollen die Sender immer einen Künstlerexklusivvertrag eingehen. Das heißt aber, dass die Jugendlichen ohne professionelle Begleitung, ohne Manager in den Sender gehen und dadurch schutzloser sind. ###mehr-links### Beim Genre Castingshow handelt es sich um eine enge Zusammenarbeit zwischen Fernsehproduktion und Musikgeschäft, bei der junge, im Musikgeschäft unerfahrene und noch nicht etablierte Menschen gebraucht werden. Angesichts der Machtverhältnisse erscheint es als eine Frage des Anstandes, faire vertragliche Regelungen zu finden und den Jugendlichen beratende Fachleute zur Seite zu stellen, die über die Bedeutung der Details aufklären können. Beim Jugendschutz denken wir immer an die Kinder vor dem Fernseher. Aber es geht auch um den Schutz der Jugendlichen vor der Kamera. Mittlerweile wird aber immerhin jede Sendung etwa von DSDS der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen FSF vorgelegt. Und das merkt man der aktuellen Staffel auch an. Die ist jetzt harmloser als die Vorläufer.

Also Finger weg von Castingshows?

Götz: Nur wenige können das wirklich verkraften. Beim Leistungssport etwa ist Ruhm und Erfolg über Jahre gewachsen. Da können sich die Kinder und Jugendlichen dran gewöhnen und sie wissen, wie viel Zeit und Kraft und Ausdauer hinter dem Erfolg stecken.

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Im Fernsehen aber erlangen sie in allerkürzester Zeit eine ungewohnt große Aufmerksamkeit. Alles wird anders, die Mitschüler verändern sich, die Lehrer verhalten sich anders, die Freunde, die Leute im Dorf schauen einen anders an. Damit muss man erst mal zurechtkommen. Wenn es gut läuft, ist es wohl noch gut zu ertragen. Aber was ist, wenn es schlecht läuft und man in der Show als Versager dargestellt wird? Wenn Dieter Bohlen mich nicht toll findet, finden mich auch meine Freunde im Dorf auf einmal doof. Wenn meine Tochter plötzlich als "Schlampe" gilt, damit zurecht zu kommen, da muss eine Familie schon sehr gefestigt sein. Das tut den jungen Menschen nicht wirklich gut. Das dauert zum Teil Jahre, um darüber hinwegzukommen und sich wieder zu festigen.