Traute Dreisamkeit der Konfessionen

Foto: epd-bild/Rüdiger Niemz
Der orthodoxe Metropolit Augoustinos bei der Abendmahlsfeier während des Ökumenischen Kirchentages 2010 in München. Mit im Bild der damalige Bundesinnneminister Thomas de Maizière (rechts neben Augoustinos) sowie EKD-Ratschef Nikolaus Schneider (zweiter von rechts).
Traute Dreisamkeit der Konfessionen
In München fand vor drei Jahren der Ökumenische Kirchentag statt - dabei gab es eine viel beachtete Abendmahlsfeier von Christen verschiedener Konfessionen. In der bayerischen Landeshauptstadt steht auch die einzige Universität der Welt, die zugleich katholische Priester, evangelische Pfarrer und orthodoxe Popen ausbildet: eine Hochschule als Hochburg der Ökumene.
02.04.2013
Fabian Kramer

Georgios Siomos ist 25 Jahre alt und verkörpert ganz das Bild eines ostkirchlichen Würdenträgers, wenn er in seinem schwarzen Chorgewand, mit dunklem Vollbart und halblangem Haar, dasteht. Jeden Sonntag begleitet er singend die heilige Messe. Unter der Woche bereitet er sich auf sein Diplom in orthodoxer Theologie vor. Doch wenn man ihn einen "Theologen" nennt, winkt er lachend ab. Diesen Ehrentitel tragen nach seiner Tradition nur der Apostel Johannes und zwei Kirchenväter.

Bis vor kurzem saß Siomos als offizieller griechisch-orthodoxer Vertreter in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) Bayerns. Ein junger Student in diesem wichtigen ökumenischen Gremium, das ist ziemlich ungewöhnlich. Aber ungewöhnlich ist auch der Ort, an dem der Norddeutsche mit Wurzeln am Schwarzen Meer studiert, die Ludwig-Maximilians-Universität von München. Einst ein Hort der Gegenreformation, herrscht an der Hochschule heute ein Miteinander der drei großen christlichen Glaubensrichtungen, das seinesgleichen sucht.

Bereicherung statt Bedrohung

Schon die Gründung der evangelisch-theologischen Fakultät der LMU im Jahr 1967 war ein Akt der Ökumene. Sie geschah auf ausdrücklichen Wunsch der katholischen Professoren, die sich nach den innerkirchlichen Reformen in Rom um den interkonfessionellen Dialog auf akademischer Ebene bemühten. Georgios Siomos und seine Kommilitonen aus den Ostkirchen verdanken ihren Studienplatz indirekt sogar dem letzten Papst persönlich. Denn es war unter anderem der damalige Münchner Erzbischof Joseph Ratzinger, der die Schaffung eines Lehrstuhls für orthodoxe Theologie in der bayerischen Landeshauptstadt vorantrieb.

Theologiestudierende dreier Konfessionen: Michael Bartl, Martina Edenhofer und Georgios Siomos (von links).

Aus dem Lehrstuhl entstand später eine Ausbildungseinrichtung. Inzwischen ist die fakultätsübergreifende Zusammenarbeit längst zur Selbstverständlichkeit geworden. Sie äußert sich in gemeinsamen Lehrveranstaltungen, Festanlässen, Exkursionen und einem ökumenischen Weißwurstfrühstück zu Semesterbeginn. Seit 2001 existiert außerdem ein Zentrum für Ökumenische Forschung (ZÖF), das als Institution weitherum einmalig ist.

Als "Bereicherung, nicht Bedrohung" empfindet der katholische Dekan Knut Backhaus den vertrauten Kontakt. Er hielt beispielsweise schon ein Hauptseminar zur Bergpredigt Jesu mit zwei Neutestamentlern der anderen Konfessionen. Die jeweiligen Profile würden durch die Auseinandersetzung nicht abgeschliffen, sondern beibehalten, ist Backhaus überzeugt. Sein evangelischer Kollege Christoph Levin spricht vom Ideal einer "versöhnten Verschiedenheit". Er schätzt an den Partnerkirchen besonders die "spirituelle Andersartigkeit" ihrer Gottesdienste. Als es kürzlich darum ging, ein verbindendes Thema für einen Studientag zu finden, schlugen die Evangelischen das Zweite Vatikanische Konzil vor und die Katholiken die Reformation. So eifrig ist das Bestreben um gegenseitige Annäherung.

Blick über den Tellerrand

Trotzdem zeichnet sich in kirchenpolitischen Streitfragen wie der Eucharistiefeier auch unter dem Universitätsdach kein schneller Schulterschluss ab, wie eine Diskussion im Studentenkreis verdeutlicht. Es herrscht noch nicht einmal Übereinstimmung, ob es sich dabei um ein zentrales Problem auf dem Weg zur Einheit der Christen handelt. Doch scheint der Blick über den Tellerrand hinaus zu neuen Sichtweisen anzuregen. So äußert der evangelische Fachschaftsvertreter Michael Bartl, der nach seinem Zweitstudium mit Mitte Vierzig noch Pfarrer werden möchte: "In der Auffassung des Abendmahls sind die Differenzen zwischen Lutheranern und Reformierten mindestens so groß wie zwischen Lutheranern und Katholiken. Erstere konnten überwunden werden. Wieso sollten letztere nicht überwunden werden können?"

###mehr-artikel###Unterschiede treten auch im Theologieverständnis der Traditionen auf, was sich schon darin zeigt, dass ein orthodoxer Priester nicht zwingend ein Studium braucht. Diplomand Siomos kann dazu eine Anekdote erzählen. Als er vor einiger Zeit in einem Seminar aus einem Paulusbrief zitierte, entgegnete ihm die katholische Dozentin direkt: "Sie wissen schon, dass dieser Brief eigentlich nicht von Paulus stammt?" Eine solche Feststellung wäre im Osten keinesfalls als theologisches Argument denkbar, obwohl sie dem aktuellen Stand der Forschung entspricht. Dafür sitzt der Respekt vor der Überlieferung zu tief. Dennoch fühlt sich Georgios Siomos im Wissenschaftsbetrieb wohl. Später will er vielleicht noch einen Magister in orthodoxem Kirchenrecht machen, wofür der Vatikan das bekannteste Institut betreibt.

Die 22-jährige Martina Edenhofer, die den Titel einer "Ökumene-Beauftragten" der katholischen Fachschaft trägt, findet sogar, dass sie erst durch ihre Ausbildung richtig in Kontakt mit den anderen Konfessionen gekommen ist. In dem bayerischen Dorf, aus dem sie stammt, gab es das kaum. Es stört sie nicht, dass sie nie ein Priesteramt wird bekleiden dürfen wie manche ihrer männlichen Kollegen, die gleich auf der anderen Straßenseite im zweitältesten Priesterseminar der Welt wohnen. "Die Debatte um die Frauenordination gibt es eigentlich nur im deutschsprachigen Raum", meint sie. Für die Zukunft plant sie, als Religionslehrerin zu arbeiten.

Raumaufteilung zeigt noch die alte Hierarchie

Seit 2010 teilen sich die katholische und evangelische Fakultät einen renovierten Seitenflügel des LMU-Hauptgebäudes sowie eine theologisch-philosophische Bibliothek, die durch die Zusammenlegung der Buchbestände zur umfangreichsten ihrer Art in Deutschland geworden ist. Nur die Raumaufteilung erinnert noch an die ursprünglichen Hierarchien: Die Katholiken befinden sich oben, die Evangelischen unten. Entsprechend sind auch die Größenverhältnisse mit etwas mehr als 400 gegenüber gut 200 Hauptfachstudierenden.

Blick in die Bibliothek der Ausbildungseinrichtung für orthodoxe Theologie, die auch als Seminarraum genutzt wird.

Die Ausbildungseinrichtung für orthodoxe Theologie, die keinen Fakultätsstatus besitzt, hat im Nachbarhaus Platz erhalten. Für ihre rund 50 Diplomstudenten aus ungefähr zehn Nationen bietet sich die in Westeuropa einzigartige Gelegenheit, an einer staatlichen Universität all die christlichen Traditionen kennenzulernen, die im alten Byzanz wurzeln. Es ist womöglich kein Zufall, dass dies nur wenige hundert Meter von jener Münchner Kirche entfernt geschieht, in welcher der erste König Griechenlands begraben liegt - Otto I. kam aus Bayern. Noch immer zeugen die gleichen weißblauen Flaggenfarben beider Völker davon.

Eng wie die historischen Beziehungen sind auch die freundschaftlichen Verhältnisse zwischen den Konfessionen an der Ludwig-Maximilians-Universität. Doch bis zum ersehnten Ziel, "dass alle eins seien", wie es im Johannesevangelium heißt (Joh. 17,21), ist es hier wie anderswo noch ein weiter Weg. Am Ende, sinniert der leitende orthodoxe Professor Athanasios Vletsis, werde die echte Versöhnung sowieso nie ein Menschenwerk sein können. "Geben wir dem heiligen Geist eine Chance!"