Es war in Rom 19.07 Uhr, als weißer Rauch aus dem Kamin der Sixtinischen Kapelle drang. Am zweiten Tag des Konklaves, im fünften Wahlgang war der Argentinier Jorge Mario Bergoglio, Erzbischof von Buenos Aires, zum Papst gewählt. Ein kurzes Konklave, fast so kurz wie das seines Vorgängers Joseph Ratzinger, dessen Gegenkandidat er seinerzeit bereits gewesen sein soll.
Sympathisch, dass ein Lateinamerikaner an der Spitze der Weltkirche stehen wird. Es ist der erste in der Geschichte der römisch-katholischen Kirche. Auch dass ein Jesuit Papst wurde, hat es noch nicht gegeben. Bergoglio gilt als volksnah, Statusfragen sind ihm nicht wichtig. Alle Welt berichtet, dass er auf einen großen Dienstwagen verzichtete und in eine Wohnung zog statt in ein erzbischöfliches Palais. Zur Arbeit fährt er oft mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Sein einfacher Lebenszuschnitt sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass er ein konservativer Mann von traditionellen kirchlichen Grundsätzen ist. Der Befreiungstheologie erteilte er mehr als einmal eine harte Abfuhr. Drei besonders wichtige Ziele sind es, denen er sich schon in nächster Zeit widmen muss.
Erstens: weltweite Evangelisation ohne Schwarz-Weiß-Denken!
Dass die Wahlmänner einen Kandidaten wählen würden, der sich dem Thema Evangelisation verschrieben hat, ist nicht verwunderlich. In den meisten Ländern der Welt schrumpft die Zahl der Katholiken. Deshalb hatte schon Benedikt XVI. dieses Ziel als das allerwichtigste benannt. Doch unter welchen Prämissen kann der neue Papst für den katholischen Glauben werben? Nicht dadurch, dass er wie Benedikt Glück und Freiheit der Menschen als Irrwege beschreibt, stattdessen Vernunft und Verantwortung als Lebensmaximen festschrieb. Wenn die katholische Kirche mutige Schritte in die Zukunft gehen will, dann muss sie sich befreien von dem Schwarz-Weiß-Denken, ein Christenleben bestehe im Kern aus Pflichten und Verantwortung.
Das Evangelium ist, wörtlich übersetzt, eine Frohbotschaft. Das gilt es, neu zu entdecken. Dann blockiert die Kirche ihr wichtigstes Ziel, die Neuevangelisation, nicht selbst. Als Lateinamerikaner weiß Franziskus, dass auch in seinem Kontinent der Katholizismus an Bedeutung verliert. Seit den siebziger Jahren kam es zu einem beschleunigten Wachstum der Pfingstkirchen und zum Wechsel vieler Katholiken zu diesen Kirchen. In jüngster Zeit nimmt auch die Zahl der Konfessionslosen zu. Buenos Aires ist eine explodierende Großstadt - wie unter einem Brennglas zeichnen sich dort die Folgen von Verstädterung und Globalisierung ab - ein großes Lern- und Betätigungsfeld für die Kirchen.
Zweitens: Heraus aus der sexualethischen Fixierung!
Nicht minder wichtig ist ein zweites Hauptziel für den zukünftigen Papst: die Kirche aus dem selbstgewählten sexualethischen Ghetto zu befreien! Die katholische Kirche ist seit Jahrzehnten gefangen in den unterschiedlichsten sexuellen Streitfällen im weitesten Sinne. Kondome, Familienplanung, Pille danach, Abtreibung, Pädophilie, Zölibat, Frauen in Weiheämtern: Die Kirche hat sich weltweit in eine Situation kapriziert, die sie als eine weltweite Agentur für sexuelle Fragen erscheinen lässt. Nur: Bei den meisten Themen sieht sie nicht gut aus.
Die Kondomfrage: lange überholt. Die Zölibatspflicht: Da hat sich das katholische Kirchenvolk von der Meinung der Kirchenleitung mehrheitlich abgekoppelt. Die pädophilen Priester: Da wurden dienstrechtliche Entscheidungen getroffen und mehrere Milliarden Dollar an Schadensersatz bezahlt, doch die Kernfrage, ob das "katholische System" mit seiner Machtorientierung solche Kriminalität begünstigt, ist nicht aufgearbeitet. Oder die verweigerte Weihe von Frauen: ein dauerndes Ärgernis für die Mehrheit der Kirchenmitglieder. Wenn es dem neuen Papst gelingt, die Allgegenwart sexueller Themen in der katholischen Kirche zurückzudrängen – indem er Lösungen ansteuert, nicht indem er sie verdrängt - dann ist damit schon sehr viel gewonnen. Gerade in den sexualethischen Prinzipien dürfte Franziskus wenig Überraschendes bringen. Da sind Enttäuschungen möglicherweise vorprogrammiert.
Drittens: Eine Kurienreform, die den Namen verdient
Es ist eine einmalige Chance für einen neuen Papst, sich nach seinem Amtsantritt von missliebigen Leitern der Vatikanbehörden zu trennen. Das Gegeneinander von Staatssekretariat unter der Leitung von Kardinal Bertone und der Glaubenskongregation, also von Diplomaten und Theologen, muss ein Ende haben. Die Aufgabe des Staatssekretariats besteht eigentlich darin, die Entscheidungen der einzelnen Ämter zu bündeln und dem Papst zur Entscheidung vorzulegen. Doch unter den beiden letzten Päpsten hat es vor allem seine eigene Macht ausgebaut und so die Stellung des Papstes untergraben. Statt wie ein Scharnier zwischen den einzelnen Behörden und dem Papst zu funktionieren, hat sich das Staatssekretariat wie ein Filter zwischen beide geschoben.
Kardinal Bertone, sein Leiter, gilt für viele im Konklave als größter Problemverursacher in der Kurie. Länger als für eine Übergangsfrist wird er deshalb nicht im Amt bleiben. Doch er ist es nicht allein: Ein Kammerdiener, der Gold und Akten unterschlägt, Seilschaften, die Menschen im Umfeld des Papstes für ihre Machtspiele instrumentalisierten, undurchsichtige Geldgeschäfte: das sind Zutaten für einen schlechten Krimi. Und jede einzelne dieser Machenschaften lässt den hohen Anspruch von Papst und Vatikan, moralische Vorbilder für die Kirche zu sein, in Schutt und Asche sinken. Seit Jahrzehnten geht das Wort von einer Kurienreform um, nie war sie notwendiger als heute.
Die Wahl des Franziskus hat Zeichen gesetzt, was das soziale Engagement der Kirche angeht. Dass er seine Kurie weg von den Machtspielen auf diese Ziele einschwört, das wäre zu hoffen.