Gewalt und sexuelle Übergriffe gehörten im renommierten Internat des Benediktinerklosters Ettal bis in die 1980er Jahre hinein zum Alltag. Das geht aus einem rund 160-seitigen Untersuchungsbericht des Instituts für Praxisforschung und Projektberatung München hervor, der am Donnerstag vorgestellt wurde.
Der an der Studie beteiligte Sozialpsychologe Heiner Keupp sagte, dass es über mindestens drei Jahrzehnte zu zahlreichen Formen von Misshandlungen gekommen sei: physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt. Die meisten Übergriffe seien zwischen den 1960er und 1980er Jahren geschehen. Gründe seien sadistische Neigungen von Patres gewesen, vor allem aber auch "totale Überforderung", weil sie keine pädagogische Ausbildung gehabt hätten.
Körperstrafen damals "legitimes Mittel"
Er sehe keinen strategischen Plan hinter den Übergriffen, sagte Keupp. Faktoren wie der kirchlich-institutionelle Rahmen, die Tabuisierung von Sexualität, mangelnde Kommunikation in einem hierarchischen Klostersystem sowie fehlende pädagogische Erfahrung hätten Missbrauch begünstigt. Es habe aber kein "System Ettal" gegeben, wohl aber "über viele Jahre eine Kultur der Ermöglichung". Er empfehle dem Kloster unter anderem ein Präventionskonzept, professionelle Pädagogen, weniger starre Strukturen sowie eine sichtbare Form der Erinnerung, um der Opfer zu gedenken.
Der ebenfalls an der Studie beteiligte Wissenschaftler Florian Straus sagte, dass eine wirkliche Reue der Täter noch ausstehe. Körperstrafen seien damals als legitimes pädagogisches Mittel verstanden worden. Einige Täter sähen in ihrem Handeln daher immer noch keine Verfehlung. Der Dialog zwischen allen Beteiligten sei aber auf einem guten Weg. Die Mehrheit der Opfer trage den Aufarbeitungsprozess mit.
Keine "neuen Schrecklichkeiten"
Der Ettaler Abt Barnabas Bögle sagte, dass die Studie ein wichtiger Schritt in der Aufarbeitung "eines dunklen Kapitels" des Klosters sei. Die Studie solle kein Abschluss des Aufarbeitungsprozesses sein, er wolle weiter Kontakt mit den Opfern halten. Das Kloster behalte eine "schmerzende Narbe", weil "durch unsere Schuld" Menschen zu Schaden gekommen seien. Für die Zukunft des Internatslebens forderte der Abt eine "Kultur des Hinschauens und des Respekts".
Robert Köhler vom Verein Ettaler Misshandlungs- und Missbrauchsopfer sagte, die Studie habe keinen Aspekt ausgelassen. Man habe keine "neuen Schrecklichkeiten" aufzeigen, sondern untersuchen wollen, wie es zu den Missbrauchsfällen kommen konnte. Da sei das Kloster Ettal bereits weiter als andere betroffene Einrichtungen. Sein Verein werde die Umsetzung von modernen Erziehungskonzepten aber kritisch begleiten.
Im Jahr 2010 wurden Fälle von sexuellem Missbrauch und Misshandlungen in zahlreichen katholischen Einrichtung in Deutschland bekannt - unter ihnen auch das Kloster Ettal. Das Institut für Praxisforschung und Projektberatung München war daraufhin beauftragt worden, die Vorwürfe wissenschaftlich zu untersuchen. Die Missbrauchsstudie beruht auf vom Kloster zur Verfügung gestellten Unterlagen und 41 Interviews mit Schülern, Angehörigen und Patres.