"Ich bin auf einer Mission", sagt Charles Hazlewood. Dass der britische Dirigent das ernst meint, glaubt man ihm sofort: "In den vergangenen 20 Jahren, seit ich Orchester weltweit dirigiere, sind mir nicht einmal eine Handvoll behinderter Orchestermusiker begegnet. Ich will, dass sich das ändert."
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Seine jüngste Tochter, die mit einer spastischen Lähmung zur Welt kam, inspirierte ihn zu der Idee, ein Orchester für behinderte Musiker zu gründen, das British Paraorchestra. Fast 80.000 Mal wurde ihre Coverversion des Cyndi-Lauper-Songs "True Colors", den sie gemeinsam mit einem Kinderchor aufgenommen haben, inzwischen auf Youtube abgerufen. Nicht einmal ein Jahr alt, spielte das Orchester bereits bei der Abschlusszeremonie der Paralympics und zur Weihnachtsansprache der Queen. Noch in diesem Jahr soll das erste Album erscheinen.
"Meine kleine Tochter hat mir eine Welt eröffnet, zu der ich vorher gar keinen Zugang hatte", sagt Hazlewood, der bereits 50 Weltpremieren dirigiert hat und in Konzertsälen wie der Carnegie Hall in New York zu Hause ist. Er war Gastdirigent des BBC Concert Orchestra, mit dem er mehrfach bei den BBC Proms aufgetreten ist.
Zum British Paraorchestra gehören Musiker mit unterschiedlichen Behinderungen. Nicholas McCarthy beispielsweise ist ein einarmiger preisgekrönter Pianist. Clarence Adoo ist Trompeter. Seit einem Autounfall ist er vom Hals abwärts gelähmt und spielt das Instrument nun elektronisch mittels einer Saug- und Blassteuerung und einer Kopfmaus, die mit dem Computer verbunden sind. Ausgetüftelt hat diese Steuerung der Komponist, Musiker und Experte für elektronische Musik, Rolf Gehlhaar. Gehlhaar war in den 60er Jahren der Assistent des deutschen Komponisten Karlheinz Stockhausen (1928-2007) und nutzt moderne Technologie, um vor allem behinderten Kindern die Möglichkeit zu geben, ein Instrument zu spielen.
"Kein Interesse, ein Ghetto zu kreieren"
Seit einem Sturz 2007 ist Gemma Lunt gelähmt und sitzt im Rollstuhl. Vergangenes Jahr hat sie ihr Musikstudium am renommierten "Trinity Laban Konservatorium" in Greenwich beendet. Sie spielt Bratsche und Sopransaxophon im Paraorchestra. "Das war eine tolle Erfahrung im Buckingham Palace zu spielen", sagt die 30-Jährige.
Allerdings sei ihr etwas Peinliches passiert. Man habe nicht einmal Wasser mit in den Raum nehmen dürfen, um den königlichen Teppichboden vor Wasserflecken zu schützen. Beim Einspielen merkte Gemma Lunt, dass sich in ihrem Saxophon Wasser angesammelt hatte - und so leerte sie die Flüssigkeit einfach aus - auf den teuren Teppich: "Ich habe also indirekt auf den königlichen Fußboden gespuckt."
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"Ich glaube, die Einstellung von Musikern untereinander muss sich ändern, dann gibt es auch mehr behinderte Orchestermusiker", sagt Lunt. Als sie nach dem Unfall ihr Studium wieder aufnehmen wollte, stieß sie auch auf viele bauliche Barrieren. "Viele Musikhochschulen sind nicht barrierefrei. Die könnten viel mehr machen", sagt sie. "Und Bühnen sind teilweise auch schwer zugänglich." Dennoch ist es ihr Traum, in einem regulären Orchester zu spielen. "Dirigenten und Leute aus dem Musikgeschäft werden durch das Paraorchester sehen, was behinderte Musiker leisten können, welche begabten Musiker es gibt. Ich hoffe, dass das die Einstellung innerhalb der Branche ändern wird."
Für Gemma Lunt ist klar, das Paraorchestra in dieser Form ist nur ein erster Schritt, denn wenn alle von Inklusion reden, warum dann ein Orchester nur für behinderte Musiker? "Ich habe kein Interesse daran, ein Ghetto zu kreieren", macht Hazlewood klar. "Aber ich möchte eine Plattform schaffen, auf der behinderte Musiker ihr Können zeigen können, um von dort weiterzumachen und anderen Ensembles beizutreten."