Die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland müssen nach Ansicht des katholischen Theologen und Sozialwissenschaftlers Matthias Sellmann radikal umdenken, wenn sie langfristig den Menschen nahe sein wollen. Dabei könnten sie auch von der Popkultur lernen, sagte der Bochumer Professor am Dienstag im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sellmann gehört zu den Referenten des Kongresses "Kirche hoch zwei" in Hannover, bei dem die evangelische Landeskirche Hannovers und das katholische Bistum Hildesheim vom 14. bis zum 16. Februar Wege für die Zukunft diskutieren wollen.
"Das Christentum hatte immer den Anspruch, volksnah, also populär zu sein", erläuterte der Professor für Pastoraltheologie. Für ihn gehöre zum Beispiel christliche Lektüre auch in die Bahnhofsbuchhandlungen. Dort sollten sich die Titel in der Sprache von den anderen auf dem Grabbeltisch nicht unterscheiden. "Auch Computer-Apps, die Spaß machen am Christsein, zum Beispiel am Bibellesen und Beten, sollten wir entwickeln."
Berührungsängste überwinden
Mit seinem "Zentrum für angewandte Pastoralforschung" will Sellmann Anregungen suchen und dabei auch Berührungsängste überwinden. "Dazu gehören Gespräche mit Tätowierstudios", nennt er ein Beispiel. "Menschen suchen sich dort oft religiöse Motive aus, und wir können lernen, was sie antreibt." Auch in der Comic-Zeichner Szene oder modernen Tanzbewegungen wie "urban dance" sieht er Potenzial, um gemeinsam zu lernen, was Glauben überhaupt bedeutet.
###mehr-artikel###
Insgesamt müsse die kirchliche Organisation die Kompetenzen und Talente von Ehrenamtlichen professioneller fördern. Einer aktuellen Studie zufolge fühle sich nur noch die Minderheit des traditionsverbundenen und des konservativen Milieus in den Kirchengemeinden zu Haus. "Die modernen Lebensstile sehen sich in immer größerer Distanz zur Kirche", sagte Sellmann.
Nach dem Missbrauchsskandal habe sich auch die bürgerliche Mitte von der katholischen Kirche entfernt, erläuterte er. "Die gesellschaftliche Mitte war einmal auch die Mitte der Kirche, da ändert sich gerade etwas." Auch die evangelische Kirche sei von dieser Abwanderung mit betroffen. Es gebe allerdings in allen Milieus eine Sehnsucht nach Religion und Spiritualität. Viele Menschen wollten sich aber nicht mehr an eine Institution binden. "Wir haben jetzt die Chance, neue Sozialformen des Christseins jenseits der Gemeinden zu entdecken."