Die langersehnten Worte für die Malgré-nous

Foto: Getty Images/Apic
Junge elsässische Soldaten, die im zweiten Weltkrieg in die deutsche Armee eingezogen wurden, vor ihrem Abstransport nach Templov Rada in Russland.
Die langersehnten Worte für die Malgré-nous
Sie waren Franzosen und wurden von der deutschen Wehrmacht zwangsrekrutiert. Nach ihrer Rückkehr stießen sie auf Misstrauen in ihrer Heimat. Ein junger Filmemacher arbeitet derzeit an einem Kinofilm über die elsässischen "Malgré-nous".
03.02.2013
epd
Ulrike Koltermann

An die Beschimpfungen der Nazi-Offiziere kann er sich noch gut erinnern. "Was stehen Sie da wie ein in die Luft geschissenes Fragezeichen?" - solche Sprüche musste sich Henry Goetschy bei seiner Musterung für die Wehrmacht anhören. Der heute 86-Jährige kam als Franzose zur Welt, sprach mit seiner Familie Elsässerdeutsch und wurde als Jugendlicher in die deutsche Armee eingezogen. "Das waren unsere Feinde, obwohl sie unsere Sprache sprachen", sagt der alte Herr.

Er erinnert sich noch gut, wie das Elsass 1940 unter die Kontrolle der Deutschen kam. Im Unterschied zum Norden Frankreichs wurde die Region jedoch nicht besetzt, sondern annektiert. Die Grenzregion zwischen Vogesen und Rhein war seit jeher zwischen Deutschland und Frankreich umstritten gewesen und hatte seit Ende des 19. Jahrhunderts bereits zwei Mal die Staatsangehörigkeit gewechselt.

Malgré nous: Gegen unseren Willen

Goetschy gelang es, auf abenteuerliche Weise zu desertieren. Drei Monate lang hielt er sich versteckt, dann war der Krieg vorbei, und das Elsass wieder französisch. Goetschy machte als Regionalpolitiker Karriere und engagiert sich bis heute intensiv für die deutsch-französische Freundschaft und die Zweisprachigkeit des Elsass. "Der Krieg hat mich zu einem überzeugten Europäer gemacht", sagt der alte Herr, der im Laufe eines Gesprächs immer wieder von der einen in die andere Sprache wechselt.

Die meisten seiner ehemaligen Schulkameraden waren an die Ostfront geschickt worden. Insgesamt wurden etwa 130.000 junge Männer aus Elsass-Lothringen zwischen 1942 und 1945 von der Wehrmacht rekrutiert. Etwa 40.000 von ihnen kamen ums Leben oder wurden als vermisst gemeldet. Die letzten "Malgré-nous" kamen erst zehn Jahre nach Kriegsende aus russischer Gefangenschaft frei.

Diejenigen, die nach dem Krieg in ihre Heimat zurückkehrten, stießen dort häufig auf Unverständnis und Misstrauen. Ihre Landsleute verdächtigte sie, Kollaborateure der Nazis gewesen zu sein. Deswegen gaben die Zwangsrekrutierten sich selbst den Namen "Malgré-nous", auf Deutsch: gegen unseren Willen.

"Eine hoch dramatische Geschichte"

Ein halbes Jahrhundert nach der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags, der das Ende der Erbfeindschaft beider Staaten besiegelte, nimmt sich nun der deutsch-französische Filmemacher Christophe Jarosz des Themas an. "Es gibt immer weniger Überlebende aus dieser Zeit. Es ist wichtig, jetzt noch mit ihnen zu sprechen", sagt der 37-Jährige. "Viele von ihnen haben sich nicht akzeptiert gefühlt, als sie ins Elsass zurückkamen."

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Jarosz plant einen Kinofilm, der auf einer wahren Begebenheit beruht: "Es ist die Geschichte eines Vaters, dessen zwei Söhne auf beiden Seiten der Front kämpften", erzählt Jarosz. "Einer von ihnen wurde in die Wehrmacht zwangsverpflichtet, der andere schloss sich der französischen Résistance an - eine hoch dramatische Geschichte."

Ein Vorbild ist für ihn der Kriegsfilm "Tage des Ruhms" des französischen Regisseurs Rachid Bouchareb von 2006. Er zeigte, wie afrikanische und arabische Soldaten während des Zweiten Weltkriegs von der französischen Armee als Kanonenfutter eingesetzt wurden und löste damit eine gesellschaftliche Debatte aus.

"Opfer eines Kriegsverbrechens"

"Frankreich hat das Schicksal der Malgré-nous lange nicht gewürdigt", meint Jarosz. Der frühere Präsident Nicolas Sarkozy fand 2010 beim Besuch einer Gedenkfeier zum Kriegsende im elsässischen Colmar die Worte, die die Betroffenen sich lange erhofft hatten: "Ich bin heute ins Elsass gekommen, um eine Ungerechtigkeit gut zu machen", sagte Sarkozy. "Die Malgré-nous waren keine Verräter, sondern im Gegenteil Opfer eines Kriegsverbrechens."

Jarosz hat im Rahmen seiner Recherchen mit zahlreichen Überlebenden der "Malgré-nous" gesprochen und die Unterstützung des Regionalrates und mehrere Institutionen zugesagt bekommen. Derzeit arbeitet er am Szenario und sucht nach weiteren Partnern für das ehrgeizige Projekt. "Es solle eine französisch-deutsche Koproduktion werden. Das Elsass ist schließlich das Bindeglied zwischen den beiden starken Partnern innerhalb Europas."