"Verkehrt miteinander in ewiger Liebe und Eintracht"

Foto: Thomas Klatt
Der neunzackige Stern im Baha'i Alex-Treff gilt als Symbol der Verbundenheit.
"Verkehrt miteinander in ewiger Liebe und Eintracht"
In Berlin leben Menschen aus 180 Ländern - ihre Religionen haben sie mitgebracht. Für Samstagabend hat Oberbürgermeister Klaus Wowereit höchstpersönlich die Berliner zur ersten "Langen Nacht der Religionen" eingeladen, damit die Menschen in der Stadt über Gott, die Welt und deren Probleme reden sollten. Thomas Klatt berichtet von seinem Berliner Religionen-Test.

Zugegeben, in Berlin jagen sich die "Langen Nächte ... " an zahlreichen Wochenenden. Ob nun "... der Museen", oder "... der Wissenschaften" oder "... der weiß nicht was". In dem Berliner Kultur-Überangebot rauscht das mittlerweile so an einem vorbei. Alles andere als ein Aufreger.

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Jetzt also zum ersten Mal "... der Religionen." In dem quadratischen kleinem Programmheft laden mehr als 60 religiöse Gruppen der Stadt ein. Allerdings sind die Außenbezirke nur punktuell vertreten. Will man mehr sehen, muss man sich schon auf die Innenstadt konzentrieren. Und da fällt die Auswahl schwer, denn anders als bei den sonstigen Langen Nächten in Berlin gibt es keinen Bus-Shuttle.

Mennonitisches Friedenszentrum, Neuapostolische Kirche, die Christengemeinschaft, Johannische Kirche, Freireligiöse Gemeinde, Sikh-Tempel, Ahmaddiya-Moschee, Sufi-Zentrum, Hare-Krishna-Tempel, Hindu-Gemeinde. Offensichtlich nutzen besonders kleinere religiöse Gruppierungen das Event, um auf sich aufmerksam zu machen. Die evangelischen und katholischen Kirchengemeinden glänzen fast alle durch Abwesenheit. Ich entscheide mich für die Angebote in Pankow und Mitte längs der U 2. Ein schneller Transport ist wichtig, denn genau betrachtet ist die Lange Nacht der Religionen nur ein später Abend, der in der Kernzeit von 18:00 bis 22:00 Uhr stattfindet.

Dem lieben Gott nicht zu viel zugemutet?

Bei der Christlichen Wissenschaft im Prenzlauer Berg strahlen mich die Menschen an. Ob ich denn auch irgendwie religiös sei und woran ich denn glaube. Ich nuschel etwas verlegen vor mich hin. Wenn ich mich jetzt als Theologe und Religionsjournalist zu erkennen gebe, dann sitze ich in der Glaubens-Schublade, denke ich. Ich will als interessierter Bürger den Abend erleben, der eben allein durch das Programmheft aufmerksam geworden ist.

"Gott ist die Liebe" wird mir hier permanent gesagt. Auf meine naive Nachfrage, ob Gott denn dann auch etwas mit Pornografie oder Prostitution zu tun habe, weil dort auch permanent von Liebe die Rede ist, ernte ich wildes Kopfschütteln. Nein, so sei das nicht gemeint. Die Liebe Gottes sei viel umfassender. Normalerweise wäre ich jetzt in eine theologische Fachdiskussion über Jesus, die Sünderin und Nächstenliebe eingestiegen, aber ich will ja einfach nur mal gucken.

Im Stuhlkreis erzählen Mitglieder der Christlichen Wissenschaft weiter begeistert, wie gut und heilsam Gott in ihrem Leben gewirkt habe. Eine Frau berichtet, dass sie bei betrieblichen Umstrukturierungsmaßnahmen von Arbeitslosigkeit bedroht war. Aber sie habe intensiv zu Gott gebetet und habe ihre Stelle behalten. Auf meine Frage, ob man da dem lieben Gott nicht zu viel zugemutet habe, und man doch lieber dem Betriebsrat und der Gewerkschaft den Rücken stärken sollte, um gegen soziale Ungerechtigkeit anzugehen, schauen mich ein gutes Dutzend beseelte Gesichter fragend an. Gott sei unendlich groß, das könne man ihm zumuten. Ich merke, dass Sozialdiakonie oder Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt hier eher unbekannte Ebenen sind.

Hält oftmalige Meditation jung?

Ein bißchen unerfüllt ziehe ich weiter zum Buddhistischen Zentrum Berlin-Mitte, etwas schwer zu finden im dritten und vierten Stock eines Hinterhofturms versteckt. Ich betrete helle gelb-weiß gestaltete Räume. Weiche Sitzgruppen laden zum Verweilen. Mich lachen Frauen an, die mir etwas über Buddhastatuen, Meditation und die verschiedenen Richtungen des Buddhismus erzählen wollen.

Figuren im Buddhistischen Zentrum. Foto: Thomas Klatt

Diese hier folgen der Karma-Kagyü-Linie. Ihr Meister ist der dänische Lama Ole Nydahl. Ich sage, den kenne ich, auf den Bildern sieht er immer so martialisch aus wie ein US-Marine. Mein Gegenüber lacht und freut sich und bejaht, dass ihr geistiger Lehrer eine unglaublich große innere Kraft besitze. Ja sage ich, jetzt sehe er aber schon älter aus, eher wie Clint Eastwood, geläuterter. Ach ja, sagt mein Gegenüber, sie sei auch schon 40. Ich staune, sie sieht 10 Jahre jünger aus. Die Frau an der Theke setzt dagegen, sie sei sogar schon 44 und ich staune noch mehr. Ob denn der Buddhismus und oftmalige Meditation so jung hält? Und dann kommt noch ein Mann aus der Greifswalder Gruppe, der hier zu Besuch ist. Ich rate, er sei sicher Student. Nein, er sei schon 46. Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus und beneide seinen Waschbrettbauch.

Aber nein, ich bin hier wirklich nicht in ein Körperkultstudio oder eine Mukkibude geraten. Überall hängen fernöstlich buddhistische Bilder an den Wänden. In einem kleinen Nebenraum werden mir mehrere Buddhastatuen gezeigt. Ob die denn heilig oder gesegnet seien, frage ich. Ja, sie sind bis oben hin mit Mantra-Rollen voll und damit heilig. Was? Ich sage, ich kenne nur die Manta-Rolle, und die hätte mal Till Schweiger gespielt. Die Dame, die nach Anfang 30 aussieht aber wahrscheinlich schon im Vorruhestand ist, lacht und quiekt und zeigt mir vergnügt eine Mantra-Rolle, die in Streifen geschnitten und dann in solche Buddhastatuen versenkt wird. Ob ich denn auch eine haben darf? Schließlich bekomme ich von anderen ja auch Bibeln oder Koranausgaben geschenkt. Aber nein, das sei sehr kostbar und werde nicht einfach so aus der Hand gegeben.

Schwarz-weiße Gruftis hocken auf gelb-orangenen Matten

Anders als bei der vorigen Station sind hier schon deutlich mehr Besucher. Es ist wie im Taubenschlag. Im oberen Meditationssaal kommen immer wieder Nicht-Buddhisten herein, sogar eine Gruppe jugendlicher Gruftis hockt sich schwarz-weiß auf die gelb-orangenen Matten. Ich strecke mich aus, genieße die Weite des Raums. Ich könnte hier glatt einschlafen. Und dann träume ich und dann weckt mich ein kleines Mädchen mit Tee und sagt, eigentlich sei sie schon vierfache Oma. Ach, bin ich hier wirklich an einen heiligen und verwunschenen Ort, eine Art Jungbrunnen geraten? Ich könnte mir jetzt vorstellen, öfters hierher zu kommen. Wer so jung und attraktiv und freundlich rüber kommt, da muss doch was dran sein. Dann kündet sich ein Kamerateam von einem Berliner Lokalsender an. Ich will mich aber beim Meditieren und Ausruhen nicht filmen lassen. Für mich das Aufbruchsignal.

Meditation im Buddhistischen Zentrum Berlin-Mitte. Foto: Thomas Klatt

Bald schließen schon die ersten Angebote auf der Ersten Berliner Langen Nacht der Religionen. Ich schaffe es noch zum Baha'i Alex-Treff, Lesestube und Vortragsraum. Jetzt sind die Gäste eindeutig in der Mehrzahl. Sogar ganze Religionsklassen nebst ihren Lehrern schieben sich die Treppe rauf und runter. Ich lausche einer Andacht. Eine Frau singt wunderschön. Es werden Texte des Gründers Baha'u'llah zitiert. "Ihr seid die Früchte eines Baumes und die Blätter eines Zweiges. Verkehrt miteinander in ewiger Liebe und Eintracht, in Freundschaft und Verbundenheit. So machtvoll ist das Licht der Einheit, dass es die ganze Erde erleuchten kann."

Die Leute hören interessiert zu. Ich erfahre noch, dass bei den Baha'i die Zahlen 9 und 19 heilig sind. Aha, denke ich, das was die schon wesentlich älteren Weltreligionen eben an Heiligen Zahlen übrig gelassen haben. Auch hier werde ich eingeladen, möglichst bald wiederzukommen. Ja, so ein Lesecafé mit guten Büchern und Religion, das fehlt in Berlin noch. Aber ohne ein gutes Glas Wein? Hier wird allein Schwarztee und Wasser ausgeschenkt.

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Ich schwanke religionsvoll und beinmüde nach Hause. Bei aller Skepsis, die Erste Berliner Nacht der Religionen zündet. Die Leute sind interessiert und kommen. Neidlos muss ich dazu den Initiatoren im "Berliner Dialog der Religionen" meinen Glückwunsch sagen. Ich denke, im nächsten Jahr wird das noch wesentlich größer und prominenter werden, mit Bus-Shuttle und dann hoffentlich längeren Öffnungszeiten.