Die britischen Buchmacher haben mit ihm bereits ein gutes Geschäft gemacht. Noch bevor Großbritanniens Premierminister David Cameron informiert wurde, wer der neue Erzbischof von Canterbury werden soll, war Justin Welby, der höchstdotierte Name in den englischen Wettbüros. Ein Mitglied der geheimen Kommission, die den künftigen Erzbischof vorschlägt, hatte geplaudert und so die Wetteinsätze hoch getrieben. "Unlautere Insidergeschäfte" titelte der "Guardian", von einem "unheiligen Aufruhr" berichtete der "Evening Standard".
Der Maulwurf sollte recht behalten. Am vergangenen Freitag bestätigte die Queen die Ernennung Welbys zum 105. Erzbischof von Canterbury. "Das war wohl nicht das bestgehüteste Geheimnis", kommentierte dieser die Wetten in seiner Nominierungsrede. Und dennoch war Justin Welby anzumerken, dass er bis zum Schluss nicht mit diesem Ausgang gerechnet hatte.
Eine dunkle Zeit
Welby, 56, hager, graumeliertes Haar, Gelehrtenbrille, ist keine schillernde Figur. Auch markige Sprüche sind nicht sein Ding. Seit rund 20 Jahren steht der Vater von fünf Kindern im Dienst der anglikanischen Kirche. "Ich bin gerne bei den Menschen", sagt er. Damit meint er die Männer und Frauen, die in seinen Gottesdienst kommen, genauso wie die Schüler, die er unterrichtet oder seine Nachbarn, mit denen er in seinem Lieblingspub ein Cidre trinkt.
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Was seine Anhänger fasziniert, ist sein "altes Leben". Nach seinem Jura- und Geschichtsstudium an den britischen Eliteuniversitäten Eton und Cambridge zieht es Welby in die Wirtschaft. Elf Jahre lang arbeitet er für verschiedene Ölmultis – zunächst beim französischen Konzern Elf Aquitaine, dann bei Enterprise Oil. "Er hätte als Manager Karriere machen können", sagt ein ehemaliger Kollege. "Er war sehr vertrauenswürdig und überzeugend." Welby reist durch Westafrika, erlebt den Rausch des schnellen Geldes.
1983 kommt seine sieben Monate alte Tochter bei einem Autounfall ums Leben. "Das war eine dunkle Zeit für meine Frau und mich", sagt Welby. "Aber in merkwürdiger Weise hat sie uns Gott näher gebracht." Sechs Jahre später bricht Welby mit der Geschäftswelt und wird Priester.
Unmoralische Geschäftspraktiken
Den größten Teil seiner Amtszeit hat er in der Diözese Coventry verbracht. Das Miteinander ist sein Anliegen, er will versöhnen, wo es Konflikte gibt. Und das nicht nur zuhause. Immer wieder reist er in Krisenregionen, trifft Rebellen in Nigeria, bringt die Parteien an einen Tisch, die der Krieg zu erbitterten Feinden gemacht hat. Welby ist verlässlich, pragmatisch, unkonventionell und einer, der nicht kneift, wenn es darauf ankommt. Um Geld für die Kathedrale zu sammeln, seilt er sich sogar aus 50 Metern Höhe vom Kirchturm ab.
Nach den Jahren an der Basis, steigt Welby schnell in der Kirchenhierarchie auf. Aus Coventry wird er zum Dekan von Liverpool berufen, 2011 dann zum Bischof von Durham. Zwölf Monate später wird er nun zum Oberhaupt der etwa 25 Millionen Gläubigen der Church of England ernannt und steht den rund 85 Millionen Anhänger weltweit vor.
Als Ex-Manager kritisiert er bei den Unternehmern immer wieder die Gepflogenheiten der Geschäftswelt. Zunächst wissenschaftlich mit seiner Dissertation "Können Unternehmen sündigen?". Später wird aus Theorie Praxis. Er greift die Führungsriege der englischen Supermarktkette Tesco für ihre verlängerten Öffnungszeiten am Sonntag an. Von Unternehmen, denen unmoralische oder illegale Geschäftspraktiken nachgewiesen wurden, verlangt er, ihren Aktionären die Dividende zu kürzen. Nur so bliebe ihnen der Fehler langfristig in Erinnerung, glaubt Welby.
Für die Ordinierung von Frauen, gegen die Homo-Ehe
Bisher belächelten Wirtschaftsfunktionäre solche Ideen. Doch dies könnte sich bald ändern. Im Sommer wurde Welby, damals noch als Bischof von Durham, in eine Kommission des britischen Parlaments berufen, die die Geschäftspraktiken im Bankensektor überprüft. Das Gremium soll mehr Transparenz in Finanzgeschäfte bringen und neue Richtlinien schaffen. "Banken sind für die Menschen da, nicht diese, um die Banken zu retten", sagte Welby im Ausschuss. Während die Finanzwelt den Neuling noch argwöhnisch betrachtet, zeigen sich Vertreter aller politischen Richtungen beeindruckt von seiner Expertise. "Er ist ein Kapitalist, der die Banker hart angeht", heißt es aus Parlamentskreisen. "In einem Meer von weltfremden Bischöfen, sticht er klar hervor."
Der Posten in Canterbury ist eine Herkulesaufgabe, ein Job, der zerreißt. Viele Anglikaner setzen große Hoffnung in Welby. Der "Telegraph" nannte ihn sogar den "rising star" - den aufgehenden Stern - der Church of England. Er soll die "Anglican Communion" aussöhnen und Liberale und Traditionalisten wieder einander annähern. Welby gilt als Vertreter des konservativen Flügels, will jedoch etliche Reformen anstoßen. Noch im November wird die Generalsynode über die Ordinierung von Frauen als Bischöfinnen abstimmen. Welby hat bereits angekündigt, sich wie sein Vorgänger Rowan Williams für die Reform auszusprechen. Beim Thema Homo-Ehe bleibt er jedoch beim alten Kurs. "Ich bin mir des Privilegs bewusst, Verantwortung für die Kirche zu tragen," sagt Welby. "In diesen harten Zeiten ist die Sehnsucht nach Spiritualität groß bei den Menschen."