Für viele Anhänger der orthodoxen Kirche in Russland war das eine Entweihung der ihnen heiligen Stätte, als die jungen Frauen mit den bunten Gesichtsmasken dort vor dem Altar tanzten und ihren wilden Punkgesang anstimmten. Darin kritisierten sie auf derbe Weise die autoritäre russische Regierung und die orthodoxe Kirche, weil sie die Regierung unterstützt. Dann warfen sie sich auf den Boden und beteten zur Jungfrau Maria, sie möge Präsident Putin vertreiben.
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Ist so etwas Kunst, politische Demonstration, ein ernsthaftes Gebet – oder doch Blasphemie, Selbstinszenierung und Rowdytum, wie ihnen vorgeworfen wird? Drei der jungen Frauen – Maria Aljochina, Nadeschda Tolokonnikowa und Jekaterina Samuzewitsch wurden festgenommen und sitzen seitdem in Haft. Ihnen wurde ein aufwändiger Prozess gemacht. Heute soll das Urteil verkündet werden. Den dreien droht eine mehrjährige Haftstrafe, wenn das Gericht dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgt.
Ich kann verstehen, dass sich gläubige Menschen von so einer Aktion in einer Kirche in ihren religiösen Gefühlen verletzt und provoziert fühlen. Und ich habe mich gefragt: Wie würde ich, als Pfarrer oder als jemand aus der Gemeinde reagieren, wenn so etwas in meiner Kirche passierte? Oder in einer so prominenten Kirche wie dem Kölner Dom?
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Ich denke, die Aufregung wäre den Akteurinnen auch hier sicher. Aber sie würde doch in einem anderen Rahmen bleiben: Ein Artikel in der Lokalpresse, vielleicht eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs – das wäre es wahrscheinlich. In Deutschland würde sich wohl kaum ein Gericht so intensiv mit verletzten kirchlichen Vorschriften und religiösen Gefühlen beschäftigen; und Untersuchungshaft käme hier sicher nicht in Frage. Ich meine: Das ist gut so. Denn so wichtig und so schutzbedürftig die freie Religionsausübung ist – ich bin überzeugt: Religion wird nicht durch Strafen geschützt. Sondern am besten dadurch, dass die Gläubigen ihre Sache selbstbewusst und souverän vertreten und mit Andersdenkenden und Kritikern ein offenes Gespräch suchen.
Eine biblisch begründete, christliche Haltung
Deshalb würde es mich wirklich interessieren, mit den Punkerinnen von Pussy Riot zu sprechen. Warum sind sie damals ausgerechnet in die Kirche gegangen für ihre Protestaktion? War es nur die Lust an der skandalträchtigen Provokation, an der öffentlichen Aufmerksamkeit? Also ein gezielter Tabubruch? Oder wollten sie mit ihrem Punk-Gebet gar einen Platz in der Kirche zurückfordern für sich und ihre oppositionelle, feministische Haltung?
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Mindestens eine der Angeklagten hat sich im Prozess als gläubige Christin bezeichnet. Darüber müsste man doch sprechen können. Wie sieht der Glaube einer jungen kritischen Aktionskünstlerin aus, was sind ihre Hoffnungen, woher bezieht sie ihren Mut, sich mit dem übermächtigen russischen Staat anzulegen? Das kann ja eine ganz biblisch begründete, christliche Haltung sein: Den Mächtigen entgegenzutreten, wenn die ihre Macht gegenüber den Schwachen missbrauchen. So, wie es die alttestamentlichen Propheten oft taten, wenn sie das offenkundige Unrecht der Herrschenden und die Missstände in ihrer Zeit mit harten Worten anprangerten.
Geschwisterliche Ratschläge sollten unter Christen möglich sein; auch wenn die Situation der orthodoxen Christen in Russland eine ganz andere ist als unsere hier. So bin ich überzeugt: Es dient dem Frieden in der Gesellschaft, auch dem religiösen Frieden mehr, wenn man versucht, miteinander reden – auch über kritische Fragen und kontroverse Meinungen. Mehr jedenfalls als dieses völlig überzogene Gerichtsverfahren, das die ganze Härte der Staatsmacht gegen eine gewaltfreie Aktion aufbietet. Vorgestern protestierten Gläubige vor der Kirche dagegen. Auf ihren Plakaten stand: Selig sind die Barmherzigen. Mit ihnen hoffe ich trotz aller Befürchtungen darauf, dass die drei angeklagten Frauen nach dem heute zu erwartenden Gerichtsurteil wieder frei kommen.