Der Gebetomat war früher mal ein Passbildautomat. Eine rote Box mit einem kleinen weißen Hocker darinnen und einem dunklen Vorhang am Eingang - für die Privatsphäre. Noch bevor man den Vorhang zugezogen hat, ertönt eine meditative Musik, und eine freundliche Frauenstimme spricht automatisch eine Begrüßung und eine kleine Benutzungsanleitung. Statt Spiegel und Kamera ist vorn im Gebetomaten ein Bildschirm eingebaut - ein Touchscreen, auf dem verschiedene Gebete erscheinen.
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Als erstes listet der Gebetomat Religionen auf - alphabetisch geordnet: "Buddhismus, Christentum, Hinduismus, Islam, Judentum, Weitere." Drückt man auf "Christentum", erscheint ein Ausklappmenü mit 14 christlichen Konfessionen. Unter "Evangelisch" kommen weitere vier Glaubensrichtungen (Reformierte fehlen, Lutheraner gibt es), und zum Schluss erscheint eine Auswahl von Gebeten. Für das Luthertum sind rund ein Dutzend Gebete eingespielt, darunter das Vater Unser, ein Abendgebet und Bonhoeffers "Von Guten Mächten". Sie ertönen - gesprochen oder gesungen - aus zwei runden Lautsprechern im oberen Teil des Gebetomaten.
Eine religiöse Reise um die Welt - in Berlin
Gebetomat-Erfinder Oliver Sturm hat bisher rund 320 Gebete gesammelt (sein Ziel sind 2000), hat dafür etliche Gemeinden besucht und sein Mikrophon in diverse Gottesdienste gehalten. "Mein Anspruch ist, die Vielfalt abzubilden und zu zeigen, was es an Gebet auf der Welt alles gibt." Dafür ist er unter anderem nach Indien geflogen.
Der Gebetomat in Darmstadt. Foto: evangelisch.de/Anne Kampf
Doch zum Gebete-Sammeln musste Sturm seine Heimat eigentlich gar nicht verlassen: Schon eine religiöse Reise durch Berlin deckt die meisten Religionen und Kulte in etlichen Sprachen ab - in der Hauptstadt fand Sturm "riesige Imaginationswelten", über die er bis heute staunt.
Oliver Sturm ist selbst kein gläubiger Mensch, "eher ein Philosoph." Trotzdem betet er manchmal, "das sind dann aber freie Gebete, die aus meinem Herzen kommen." Die Idee, einen Gebetomaten zu bauen, kam dem Künstler in einer U-Bahn-Station in New York: Dort stand ein Automat in einer Ecke, aus dem eine Frauenstimme herauskam. Was sie sagte und welche Funktion der Automat hatte, verstand Sturm nicht.
Er sah die vielen Durchreisenden am Bahnsteig, Menschen mit verschiedenen Hautfarben aus verschiedenen Ländern. Wie wäre das, fragte er sich: Ein Automat, aus dem Gebete herauskommen – jeder könnte sie in seiner Sprache und Religion hören...
Der Gebetomat als Kunstobjekt
Mittlerweile gibt es drei identische Gebetomaten in Deutschland (sie stehen zurzeit in Darmstadt, Berlin und Augsburg) und sogar einen "Pray-O-Mat", das englische Pendant, in Manchester. Geplant sind je ein weiterer Pray-O-Mat in Singapur und New York. Die Boxen bleiben nie lange an einem Ort, sie wandern durch öffentliche Gebäude und Kunstausstellungen.
Einer der drei deutschen Gebetomaten ist momentan Teil der Ausstellung "A House Full Of Music" in Darmstadt. Zum 100. Geburtstag des Musikkünstlers John Cage am 5. September 2012 zeigt das Institut Mathildenhöhe Gemälde, Notenblätter, Filme, Skulpturen, Klangräume und Installationen. Es geht um den inneren Zusammenhang zwischen den Gattungen Kunst und Musik. Da der Gebetomat Töne erzeugt und ein Kunstwerk ist, passt er wunderbar in das Konzept von "A House Full Of Music".
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Das Besondere an der Ausstellung ist der Zugang über zwölf so genannte "Strategien", sich Musik zu erschließen. Die Exponate sind geordnet nach "Speichern, Collagieren, Schweigen, Zerstören, Rechnen, Würfeln, Fühlen, Denken, Glauben, Möblieren, Wiederholen, Spielen". Der Gebetomat steht in der "Glaubens"-Ecke der Ausstellung, würde aber auch in andere Bereiche passen. Denn Gebete sind über alle zwölf Strategien zugänglich – und sogar über noch mehr: Kann man Gebete nicht auch hören, sehen, inszenieren, zelebrieren, rezitieren, herunterleiern, tanzen? Und kann man sie - das ist die entscheidende Frage - automatisch erzeugen?
Das kann man eben nicht. Dem Benutzer des Gebetomaten wird es bald deutlich: Er sitzt in der Kabine und spielt, probiert aus, drückt auf den Bildschirm, hört zu – aber nicht richtig. Ungeduld stellt sich ein, man stoppt das gerade laufende Gebet, will das nächste hören, und noch eins und noch eins… während draußen vor dem Vorhang der oder die nächste Neugierige wartet. Meditative Ruhe stellt sich so nicht ein, außerdem ist es viel zu eng in der Box. Im Gebetomaten geht alles Mögliche – außer Beten.
Auf die Beziehung kommt es an
Nach neutestamentlichem Verständnis soll Beten kein Geplapper und keine Vorführung sein (Matthäus 6, Vers 7). Gebet muss keine bestimmte Form haben, muss noch nicht einmal aus Wörtern bestehen. Der Text eines Gebets – auch des Vater Unser – ist nur ein Hilfsmittel. Entscheidend ist, dass der Beter überhaupt mit Gott kommuniziert, und zwar immer! "Betet ohne Unterlass" heißt es im ersten Thessalonicherbrief (Kapitel 5, Vers 17).
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Das Gebet ist für Christen die permanente Verbindung zu Gott, es ist mehr eine Lebenshaltung als eine Tätigkeit. Auf die Beziehung zwischen Mensch und Gott kommt es an. Gelegentlich äußert sich diese Beziehung in schönen Sätzen oder Melodien, gesprochen oder gesungen, allein oder mit anderen. Genauso gut kann Gebet aber auch aus Schweigen oder Fühlen oder Denken bestehen.
Gebet kann alles – nur nicht gespeichert und automatisch reproduziert werden. Das wird im Kontext der Darmstädter Ausstellung besonders deutlich. Der Künstler Oliver Sturm sagt: "Ich selbst würde nie befürworten, dass es Gebetomaten geben müsste auf der Welt. Der eigentliche Kern des Gebetes ist verloren in einem Automaten: Die Kommunikation mit Gott. Die kann man nicht aufnehmen oder festhalten."