Vor der Eheschließung flogen sie weit weg, weg aus Berlin, weg aus Deutschland, weg aus allen Gemeindekontroversen. Während zu jüdischen Hochzeiten sonst häufig hundert, zweihundert oder gar dreihundert Gäste erscheinen, war die Hochzeit der Künstlerin Anna Adam und der jüdischen Kantorin Jalda Rebling bescheiden. Nur etwa 20 Gäste kamen mit in die Toskana - fast alles enge Freunde des Paares sowie Familie - und feierten drei Tage lang in einem Olivenhain. Sie waren dabei, als die beiden Frauen unter den Traubaldachin traten und den Ehevertrag unterschrieben.
Unter dem Traubaldachin stecken sich Anna Adam (vorne) und Jalda Rebling (in rot) Ringe an. Foto: Maartje Wildemann
Sicher hätte es weit mehr als zwanzig Bekannte gegeben, denn Anna Adam und Jalda Rebling haben beide einen Namen: Kantorin Jalda Rebling leitet die Gottesdienste in der alternativen Berliner Gemeinde Ohel Hachidusch (Zelt der Erneuerung), informiert bei Workshops über jüdische Liturgie, hat CDs mit jüdischen Liedern herausgebracht.
Die bildende Künstlerin Anna Adam ist etwa durch Ausstellungen wie "Feinkost Adam" und ihren bunt bemalten Happy Hippie Jew Bus bekannt, mit dem sie etwa bei Kulturtagen über jüdische Religion informiert und Interessierten zeigt, wie zum Beispiel eine Torarolle aussieht. Anna Adam illustriert auch Kinderbücher, zuletzt "Chaos zu Pessach".
Einfach nur ein Versprechen
Doch in einem waren sich Jalda und Anna sicher: Ihre Hochzeit sollte keine öffentliche Demonstration sein, sollte die Kontroverse über den Traubaldachin für Lesben und Schwule nicht weiter anfachen, sondern sollte einfach ein Versprechen von zwei Menschen sein, die sich lieben.
In Deutschland sind jüdische Hochzeiten von Lesben und Schwulen immer noch selten. Orthodoxe Rabbiner lehnen gleichgeschlechtliche Ehen ab. Liberale Rabbiner sind zwar der Homosexualität gegenüber offener, aber auch sie verheiraten kaum jemals Lesben und Schwule, wohl weil sie den Konflikt mit der Orthodoxie fürchten. Nur gerüchteweise ist von gleichgeschlechtlichen Trauungen zu hören. "Die jüdische Welt hinkt in Deutschland der gesellschaftlichen Realität weit hinterher", sagt Jalda Rebling. Denn mittlerweile sei etwa die eingetragene Partnerschaft weithin akzeptiert.
Keine Akzeptanz im orthodoxen Mainstream
Weltweit gibt es im Judentum sehr kontroverse Ansichten zum Thema Homosexualität: von Akzeptanz bis hin zu wütender Ablehnung. Viele Rabbiner in den USA trauen Lesben und Schwule - vor allem im Reformjudentum und im sogenannten konservativen Judentum, das eine Mittelposition im Spektrum der jüdischen Richtungen einnimmt. Liberale und konservative Seminare ordinieren Lesben und Schwule zu Rabbinern und Kantoren.
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Auch in der Orthodoxie bewegt sich manches. So feiern manche modern- orthodoxen Gemeinden in den USA Segnungszeremonien für Homosexuelle. In Israel gehen orthodoxe Lesben und Schwule selbstbewusst an die Öffentlichkeit, doch der orthodoxe Mainstream dort akzeptiert Homosexualität weiterhin nicht. So gibt dort religiöse Telefonhotlines, die auf den angeblich richtigen Pfad der Heterosexualität zurückhelfen sollen.
Dreh- und Angelpunkt der jüdischen Diskussion um Homosexualität sind Bibelstellen aus dem Buch "Wajikra" der Tora, das Christen als "Leviticus" oder 3. Buch Mose kennen. Die Tora ist für Juden der wichtigste Teil der hebräischen Bibel. Ihr Text umfasst die Fünf Bücher Mose. Dort heißt es: "Einer männlichen Person sollst du nicht auf weibliche Weise beiwohnen. Ein Gräuel ist es" (Lev. 18,22, Toraübersetzung nach Moses Mendelssohn).
"Sie sollen des Todes sterben"
Etwas später ist gar zu lesen: "Wenn jemand einer männlichen Person auf weibliche Weise beiwohnt, dann haben sie beide ein Gräuel begangen. Sie sollen des Todes sein. Sie haben das Leben verwirkt." Der Sex zwischen Männern kommt als eine von vielen "Abscheulichkeiten" vor, die die Israeliten vermeiden sollten: Ehebruch, Sex mit Vater oder Mutter, Bruder oder Schwester, Sex mit Tieren.
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Auch die spätere rabbinische Literatur lehnt Homosexualität ab, allerdings mit weniger harschen Worten. Sie spricht auch nicht mehr von Todesstrafen. Der wichtige jüdische Philosoph Moses Maimonides handelt Homosexualität im Mittelalter als ziemlich theoretisches Problem ab: "Juden sind nicht verdächtig, mit einem Mann zu liegen oder Sodomie zu begehen", schreibt Maimonides lapidar. Er nimmt an, dass Homosexualität für Juden keine Versuchung ist. Daher sei es völlig unproblematisch, wenn sich zwei Männer alleine treffen. Diese Argumentation zeigt: Gleichgeschlechtliche Liebe ist für den jüdischen Philosophen indiskutabel.
Bis heute lehnen weite Teile der jüdischen Orthodoxie Homosexualität ab. Für orthodoxe Juden ist es besonders wichtig, das jüdische Gesetz genau zu beachten - die so genannte Halacha. Orthodoxe Juden versuchen denselben Lebensstil zu pflegen wie vor Jahrhunderten. Die Regel zu ändern, ist für sie undenkbar.
"Homosexualität ist Teil des göttlichen Plans"
Liberale Juden finden es hingegen wichtig, die Texte historisch zu verstehen. Manchmal ist es für sie durchaus geboten, Regeln zu verändern. "Alles, was die Generationen vor uns gedacht haben, kann dazu dienen, einen Schritt weiter zu kommen," sagt Adrian Schell, der am liberalen Abraham-Geiger-Kolleg Potsdam gerade sein Rabbinatsstudium abschließt und voraussichtlich im nächsten Jahr zum Rabbiner ordiniert wird.
"Einen Schritt weiter kommen" heißt in diesem Fall: Schwule und Lesben zu akzeptieren. Man müsse die biblischen und rabbinischen Texte aus ihrer Zeit heraus verstehen. So bedeutet für Adrian Schell das Wort "Gräuel" im Bibeltext, dass es ausschließlich um die Reinheit des Heiligtums geht. Im Tempelzelt und später im Tempel soll nicht stattfinden, was bei anderen Völkern gang und gäbe gewesen sein soll: Tempelprostitution mit Männern. Das Verbot sei keine allgemeine Regel, sondern auf den Raum des Tempels beschränkt.
Dass Menschen dauerhaft gleichgeschlechtlich lieben, habe sich die Bibel noch nicht vorstellen können. Eine Partnerschaft zwischen zwei Männern oder zwei Frauen war damals noch nicht denkbar. Die Bibel spricht lediglich von sexuellen Handlungen. Heute hingegen wüssten wir, dass Homosexualität bei Menschen wie Tieren ganz einfach eine biologische Tatsache sei. Das bedeutet für Adrian Schell: "Homosexualität ist Teil des göttlichen Plans."