Die Muslime in Österreich feiern. Schon seit Wochen folgt ein Festakt zum hundertjährigen Bestehen des Islamgesetzes, das am 15. Juli 1912 in Kraft trat, auf den anderen. In seiner Form ist das Gesetz bis heute europaweit einzigartig. Nicht nur der Präsident der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, Fuat Sanac, betont die Vorbildhaftigkeit des "österreichischen Modells" der Anerkennung.
Das Islamgesetz in Österreich hat historische Gründe: Im Jahr 1908 okkupierte die Donaumonarchie das weitgehend muslimische Bosnien. Mit den rund 600.000 dort lebenden Muslimen stand das Habsburgische Reich erstmals in seiner Geschichte vor der Herausforderung, eine islamische Bevölkerung in ihren Herrschaftsbereich aufzunehmen. "Nachziehverfahren" nennt der Verfassungsrechtler Richard Potz das Vorgehen, 1912 ein eigenes Gesetz zu erlassen. Der Leiter des Instituts für Rechtsphilosophie an der Universität Wien ist Mitautor des eben erschienen Bandes "Muslime in Österreich".
Rechtlich gleichgestellt
Die Muslime waren seit der Okkupation in der k.u.k. Monarchie präsent: Bosniaken dienten in der Leibgarde des Kaisers, es gab muslimische Militärseelsorger und in Wien planten Muslime den Bau einer eigenen Moschee - ein Plan, den allerdings der Ausbruch des Ersten Weltkrieges zunichtemachte. Doch erst durch das Islamgesetz 1912 bekamen die Muslime denselben rechtlichen Schutz wie andere gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaften.
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Unter dem Schutz des Staates stehen seither etwa die Lehren des Islams, seine Einrichtungen und Gebräuche. Muslime dürfen Stiftungen einrichten, sie haben das Recht der Selbstverwaltung und Selbstbestimmung, solange sie mit dem geltenden Recht nicht in Konflikt geraten.
Anfangs umfasste das Gesetz lediglich die Hanafiten, eine der vier Rechtsschulen des sunnitischen Islam. Als nach dem Ersten Weltkrieg kaum mehr Muslime in Österreich lebten, kam das Gesetz faktisch nicht mehr zur Anwendung. Dies änderte sich in den 60er Jahren, als vor allem Migranten aus der Türkei und aus dem damaligen Jugoslawien nach Österreich zuzogen. 1979 wurde, um diese Muslime unter ein Dach zu bekommen, die Islamische Glaubensgemeinschaft gegründet. Sie hat Körperschaftsstatus und vertritt seither alle Muslime im Land. Heute leben nach Schätzungen des Österreichischen Integrationsfonds wieder rund eine halbe Million Muslime im Land.
Das Islamgesetz sei nicht durch einen Aushandlungsprozess entstanden, merkt der islamische Theologe Mouhanad Khorchide an. Damit unterscheidet sich die Situation in Österreich maßgeblich von der in Deutschland, wo es zwar seit Jahren Forderungen nach einer rechtlichen Annerkennung gibt, es jedoch aufgrund der fehlenden Strukturen an einer Umsetzung fehlt. Während man sich in Deutschland in mehreren Bundesländern mit Hilfskonstrukten, wie etwa einem Beirat bei der Einführung des islamischen Religionsunterrichts behilft, ist der islamische Religionsunterricht in Österreich seit dem Schuljahr 1982/83 gang und gäbe.
Allein die islamische Glaubensgemeinschaft entscheidet
Zugleich verweist Khorchide, der mehrere Jahre in Wien als Imam tätig war und heute das Zentrum für Islamische Theologe an der Universität Münster leitet, jedoch auch auf Probleme in Österreich: "Beim Religionsunterricht entscheidet alleine die islamische Glaubensgemeinschaft, wer unterrichtet." Gerade in der Anfangszeit hätten viele Lehrer kein Staatsexamen abgelegt, kritisiert Khorchide. Bis heute gebe es viel zu wenige qualifizierte Lehrkräften.
"Es gibt in Österreich kaum einen Austausch zwischen Staat und Muslimen", fügt der islamische Theologe hinzu. Aufgrund der Anerkennung bestehe nicht, wie etwa in Deutschland durch die Islamkonferenz, die Notwendigkeit, sich an einen Tisch zu setzen. Für die Integration sei dies nicht unbedingt förderlich, merkt Khorchide an. Zwar gebe es durch das Islamgesetz eine juristische Anerkennung, weite Teile der Mehrheitsbevölkerung sähen Muslime allerdings immer noch nicht als gleichberechtigte Bürger an.
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Gleichwohl gibt es in Österreich Bestrebungen, Muslime besser zu integrieren. So hat der vor rund einem Jahr eingesetzte Staatssekretär für Integration, Sebastian Kurz, ein Dialog-Forum mit den Muslimen gestartet. Und die evangelische Kirche hat - 100 Jahre nach Verabschiedung des Islam-Gesetzes - eine Orientierungshilfe mit dem Titel "Respektvoll miteinander. Evangelische Christen und Muslime in Österreich" veröffentlicht. "Im Mittelpunkt steht die Herausforderung eines friedlichen Zusammenlebens", betonte die Mitautorin Susanne Hein bei der Vorstellung im Juni.