Fußballer und Schmerzmittel: Auf Voltaren durchs Turnier

Schmerzmittel im Fußball
Foto: iStockphoto/Jan-Otto
Fußballer und Schmerzmittel: Auf Voltaren durchs Turnier
Doping oder nicht? Der Medikamentengebrauch bewegt sich in einer Grauzone
Schmerzmittel sind im Profifußball weit verbreitet: Knapp 40 Prozent der Fußballer betäuben sich bei Großereignissen vor jedem Spiel. Zu kurze Pausen werden so mit Medikamenten kompensiert. "Die Spieler verkaufen sich mit Haut und Haaren", sagt Schmerz-Experte Ingo Froböse.

Bastian Schweinsteiger, auf Knien trauernd, Elfmeter verschossen, Champions League verloren: Dieses Bild ist erst wenige Wochen alt. Eine lange Saison mit zum Teil mehr als 60 Pflichtspielen, gleich darauf die Europameisterschaft - kein leichtes Programm. Viele Nationalspieler stehen diese Belastungen nur mit Medikamenten durch. Schmerzmittel sind im Fußball so weit verbreitet, dass Experten nicht mehr vom Gebrauch dieser Medikamente sprechen, sondern vom Missbrauch. Einige überlegen gar, die Substanzen auf die Dopingliste zu setzen.

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Ingo Froböse leitet das Zentrum für Gesundheit an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Froböse und seine Kollegen beobachten den Konsum von Schmerzmitteln im Profifußball seit Jahren. "Leider ist der ökonomische Druck auf die Spieler extrem hoch geworden. Der Terminplan wird immer enger", sagt Froböse. "Die Spieler verkaufen sich mit Haut und Haaren. Ich kenne viele ehemalige Spieler, die therapeutisch behandelt werden. Die sind Sportinvaliden, können mit ihren Kindern nicht mehr laufen gehen, weil ihre Knochen so kaputt sind."

Mehr als 60 Prozent der Profis haben bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika mindestens einmal im Turnier Schmerzmittel geschluckt oder gespritzt. 39 Prozent nahmen gar vor jedem Spiel Schmerzmittel. Diese Zahlen veröffentlichten die Wissenschaftler Phillipe Matthias Tscholl und Jiri Dvorak Ende März im "British Journal of Sports Medicine". Dvorak ist gleichzeitig Chefmedizinier der FIFA. 2010 nahmen ihm und seinem Co-Autor zufolge mehr Spieler Schmerzmittel als noch bei den Weltmeisterschaften 2002 und 2006. Schon damals hatten sich viele über den umfassenden Missbrauch gewundert. Dvorak und Tscholl überschrieben ihre neue Studie treffend: "Lektion nicht gelernt”.

"Klarer Missbrauch"

Der oberste FIFA-Arzt Dvorak ist besorgt: "Für uns ist der Einsatz von Schmerzmitteln ganz klar ein Missbrauch von Medikamenten." Dvorak fordert, dass verletzte Spieler genügend Zeit zur Regeneration bekommen. "Wenn zu wenig Zeit bleibt, wird mit Medikamenten kompensiert. Man muss sich überlegen, wie man gegen den wirtschaftlichen Druck überhaupt noch ankommt."

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Immer wieder erzählen auch deutsche Fußballer vom massiven Schmerzmittelkonsum. Von Jens Nowotny über Jens Jeremies, Marko Pantelic oder Jermaine Jones - die Liste der lange Zeit betäubten Spieler ist lang. Willi Landgraf stand mehr als 500 Mal in Liga zwei auf dem Platz. Der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung sagte er 2010: "Es wurde so viel genommen, wie man vertragen konnte.” Alexander Klitzpera wurde im selben Beitrag noch deutlicher: "In unserem Geschäft ist die Hemmschwelle extrem niedrig. Ich kenne Spieler, die machen sich richtige Schmerzmittel-Cocktails. Die verstärken die Wirkung dadurch, dass sie verschiedene Präparate zusammen einnehmen." Klitzpera spielte monatelang trotz einer Entzündung an der Plantarsehne, baute vor Spielen bewusst einen hohen Spiegel von Schmerzmitteln im Blut auf.

Nach Nierenversagen Millionen-Prozess

Das Extrembeispiel ist Ivan Klasnic. Der ehemalige Bremer Stürmer verklagt Werder Bremens Mannschaftsarzt Götz Dimanski auf mehr als eine Million Euro Schmerzensgeld: Klasnics Niere versagte und er wirft Dimanski vor, die Krankheit nicht erkannt und durch hohe Mengen an Schmerzmitteln verschlimmert zu haben. Seit vier Jahren warten die Beteiligten auf ein Urteil. Weder Dimanski noch Klasnic wollen sich derzeit zum laufenden Verfahren äußern.

Hans Geyer ist Geschäftsführer des Zentrums für präventive Dopingforschung in Köln und kann stundenlang von Schmerzmitteln im Sport erzählen. "Schmerzmittel erfüllen alle Bedingungen einer Dopingsubstanz", sagt Hans Geyer. "Sie schalten den Schutzmechanismus des Körpers aus, und so kann eine Leistung gebracht werden, die ohne nicht gebracht werden könnte. Schmerzmittel werden schon im Training genommen, dadurch sind höhere Trainingsumfänge und -intensitäten möglich." Schmerzmittel sind nicht verboten, sind für Geyer aber in einer Grauzone angesiedelt. Ein Missbrauch kann zu nicht mehr heilenden Gewebe-, Gelenk- und Bänderschäden führen. Auch können Magen oder Niere stark geschädigt werden – siehe Ivan Klasnic.

Doping oder nicht, das ist hier die Frage

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Sind Schmerzmittel als Doping einzustufen? Auch Geyers Kollege Ingo Froböse tendiert zu dieser Ansicht: "Jeder Sportler sucht nach der kleinsten Kleinigkeit, noch besser zu werden." Fußballtrainer wie Dortmunds Jürgen Klopp sehen das anders. "Im Leistungssport werden natürlich Schmerzmittel genommen, um Einsätze zu ermöglichen. Aber mit Doping hat das gar nichts zu tun. Wenn Sie eine Kopfschmerztablette nehmen, um ins Büro zu gehen, ist das doch auch kein Doping", sagte Klopp vor drei Jahren im Interview.

Hans Geyer und seine Kollegen untersuchten vor einigen Jahren zahlreiche Dopingproben auf Schmerzmittel, vor allem aus der Bundesliga. Das Ergebnis: 33 Prozent aller Fußballer hatten vor einem Spiel Schmerzmittel genommen. Selbst im Training hatte mehr als jeder fünfte Spieler Schmerzmittel im Blut. Am häufigsten fanden die Forscher den Wirkstoff Diclofenac, enthalten etwa im Mittel Voltaren. Geyer fragt sich, woher die Spieler das bis vor kurzem noch rezeptpflichtige Diclofenac bekommen. "Ich glaube nicht, dass bei jedem dieser Spieler eine saubere Untersuchung durchgeführt wurde", sagt Geyer.

Zur Europameisterschaft erreicht die Belastung einen weiteren Höhepunkt. "Es werden alle Mittel genutzt, um sich durch die EM zu retten, die Schmerzen einigermaßen in den Griff zu bekommen. Für die Nation schafft man es." Froböse ist sich sicher, dass nicht die Nationalmannschaft, sondern die Spieler und Vereine die Zeche zahlen. In der Hinrunde der Bundesliga dürfte es nach der EM manch langwierige Verletzung geben.